Mit brennender Sorge verfolgen viele Menschen zur Zeit die Diskussion um unsere Energieversorgung. Studien zeigen, dass Bürgerenergie oder Energy Sharing einen Ausweg bieten. Wie das gemeinschaftlich gelingen kann, zeigen die Menschen in Großbardorf, einer 950-Seelen-Gemeinde in der Rhön.
Warum Bürgerenergie?
Bei einem Ausfall der Gasversorgung muss man sich um Strom und Wärme keine Sorgen machen: Die Großbardorfer erzeugen seit 2011 ihre eigene Energie. Reinhold Behr, einem der Gründer, ist der Stolz auf das Erreichte deutlich anzumerken. „Wir können uns hier jeden Tag anschauen, was wir mit unserer Arbeit und unserem Geld erreicht haben“, sagt er. Der pensionierte Nachrichteningenieur ist Vorsitzender der Friedrich-Wilhelm-Raiffaisen-Energie Großbardorf eG.
„Erneuerbare Energien haben mich immer fasziniert“, erzählt er. Behr baute 1989 eine Wärmepumpe in seinem Haus ein. 1996 folgte ein Solarkollektor für Warmwasser, und 2003 eine Photovoltaik-Anlage. Behr trieb die allgemeine Abhängigkeit vom Öl um.
„Ich wollte mir nicht im Alter Sorgen um den Ölpreis machen oder Holz hacken müssen“, sagt er über seine Motivation. So wurde die Erneuerbare Energie neben Familie und Beruf zu seiner wichtigsten Beschäftigung. Die Technik faszinierte ihn. Und sie bot ihm und Gleichgesinnten die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden.
Wann gab es die erste Bürgerenergie?
In den frühen 2000ern fragten sich viele Bürger, wie die wirtschaftlich schwächelnden Dörfer in der Region belebt werden konnten. Um die Land- und Forstwirtschaft stand es damals nicht allzu gut. In den Diskussionen kristallisierte sich die Idee heraus, sich mit der Energieerzeugung ein neues wirtschaftliches Standbein zu schaffen. Behr und einige Gleichgesinnte gaben den Anstoß zur Gründung erst von Bürger-Gesellschaften, dann der Genossenschaft.
2005 ging die erste Bürger-PV-Anlage von vier Hektar in Betrieb. Einige Jahre später wurde sie auf acht Hektar erweitert. 2009 gründete sich dann die Genossenschaft mit 40 Mitgliedern. Heute sind es um die 100, die alle aus Großbardorf und der näheren Umgebung kommen. Die Genossenschaft ist die Keimzelle für weitere Bürgergesellschaften, mit denen der Ausbau der Erneuerbaren Energien weiter ging. 2011 errichtete eine GmbH & Co KG eine Biogasanlage samt Wärmeversorgungsnetz. 2016 gründeten Genossenschaftsmitglieder eine zweite GmbH zum Bau von Windrädern. Die baute vier Windräder, drei davon in Großbardorf, eines in der Nachbarschaft.
Weil Behr und seine Mitstreiter von Anfang an auf Kommunikation und Kooperation setzten, gab es nur wenige Konflikte. „Wir hatten hier nie Proteste gegen eine neue Anlage“, sagt er. Dass Behr und seine Mitstreiter aus ortsansässigen Familien kommen und auch durch lokapolitische Arbeit Respekt genießen, trug zum Erfolg bei.
Aktuelle Lage und Stromexport
Heute liefert die Biogasanlage 80 Prozent des Großbardorfer Wärmebedarfs – an Privathaushalte, Gewerbebetriebe und öffentliche Einrichtungen gleichermaßen. Photovoltaik, Biogas und Windkraft erzeugen sogar das 15-fache des in der Gemeinde benötigten Stroms. Die Erlöse bleiben dabei überwiegend in der Gemeinde und in der Nachbarschaft.
Die Wärmeversorgung brachte sogar Arbeitsplätze. So erweiterte das Technologieunternehmen Ifsys wegen der günstigen Heizungspreise seine Fertigung. Denn durch Anschluss an das Nahwärmenetz sparte das Unternehmen 350 000 Tonnen Heizöl ein und konnte expandieren. Dort arbeiten mittlerweile 250 Menschen.
Damit schloss sich ein Kreis, denn die Gemeinde war schon einmal in Sachen Energieversorgung autark. 1921 hatten Großbardorfer erstmals eine Genossenschaft gegründet, um ihre Gemeinde zu versorgen. Ein Windrad wurde aufgestellt, das die nächsten eineinhalb Jahrzehnte Strom lieferte. Damit war Großbardorf damals in der Region auch eine der wenigen Orte, in denen jeder Haushalt einen Stromanschluss besaß. Das Windrad wurde 1939 für die Waffenproduktion eingeschmolzen.
Energy Sharing und Bürgerenergie als Motor der Energiewende
Dass die Energiewende auch ohne die großen Erzeuger und Versorger gelingen kann, zeigen nicht nur die Großbardorfer. Denn nach einer jüngst veröffentlichten Studie des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung gGmbH könnten Bürger mit lokalen Erzeugergemeinschaften bis zu 42 Prozent des Ausbaus selbst übernehmen und helfen, die Klimaziele bis 2030 zu erreichen.
Die Autoren der Studie fanden in ganz Deutschland geeignete Standorte für PV-Anlagen und Windkraftwerke, oft nahe genug an zukünftigen Verbrauchern. Viele Menschen könnten sich also über Bürgerenergie-Lösungen selbst versorgen.
Bürgerenergie und das EU-Recht
Aber die deutschen Förderrichtlinien bevorzugen weiterhin die großen Erzeuger, obwohl das nach EU-Recht nicht mehr sein müsste. Auf EU-Ebene gibt es seit 2018 einen entsprechenden Vorstoß, den Deutschland nicht umgesetzt hat.
Für einzelne Einspeiser ist das ein Problem. „Wenn ich eine Anlage ans Netz anschließe und den Strom selbst nutze, muss ich viele Abgaben und Umlagen bezahlen“, sagt Dr. Jan Wiesenthal, einer der Autoren der Studie. „Ich werde quasi als Energieversorger behandelt“. Deswegen sind Sharing-Lösungen nicht besonders populär. Außerdem mögen viele mögen keine Windräder nebenan.
Ändern könnten das mehr Beteiligung von Bürgern und Gemeinden aber auch finanzielle Anreize. Außerdem, so Jan Wiesenthal, würden dezentrale und kleine Anlagen immer wichtiger. „Ihr Anteil an der Energieversorgung steigt“, sagt er.
Finanzierung von Energie Sharing
Allerdings bleibt es eine Frage der Finanzierung. Zu gemeinschaftlichen Lösungen trägt jeder bei. Der Beitrag hängt von der Betriebsgröße ab. Wiesenthal hält Aufwendungen von 100 bis 200 Euro pro Jahr pro Mitglied für realistisch. Reinhold Behr nennt für Großbardorf ähnliche Zahlen. Die Anlagen dort haben einen Gesamtwert von 36 Millionen Euro.
Entstanden sind die Anlagen über einen Zeitraum von 20 Jahren. Die Genossenschaft und die Bürgergesellschaften brauchten Eigenkapital von 9 Millionen Euro. Über 20 Jahre sind das 225 000 Euro im Jahr. Bei 1000 Einwohnern sind das Investitionen von 225 Euro pro Jahr pro Einwohner.