Etwa 60 dieselbetriebene Boote setzen die Fährgesellschaften in Stockholm heute ein, um die schwedische Hauptstadt mit dem so genannten Schärengarten zu verbinden, um Berufspendler und Touristen fahrplanmäßig in die Stadt und raus auf die Inseln zu transportieren. Die kleinen Fähren sind langsam und laut, stoßen zudem bei ihren Rangiermanövern in den Häfen und auf ihren Fahrten mit ihren Dieselmotoren jede Menge Schadstoffe aus. Umwelt- und Verkehrspolitikern in Stockholm ist das schon seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge.
Doch jetzt kommt eine Lösung in Sicht: Candela, das schwedische Unternehmen, das im vergangenen Jahr mit einem elektrisch angetriebenen Tragflächenboot auch bei einer Stippvisite auf dem Rhein für Furore sorgte, hat zusammen mit der schwedischen Transportagentur den Prototyp einer Fähre entwickelt, die mit dem gleichen Antriebs- und Auftriebsprinzip wie das spektakuläre Sportboot bis zu 30 Personen transportieren kann – mit Spitzengeschwindigkeiten um die 30 Knoten. Im Auto wären das etwa 55 km/h.
Betriebskosten von sechs Euro pro Stunde
Ein erstes Exemplar der 12 Meter langen Candela P-30 soll schon im kommenden Jahr Testfahrten im Schärengarten vor Stockholm aufnehmen. Ein fahrplanmäßiger Einsatz ist für 2023 geplant. Sollte sich die Technik im Fährbetrieb bewähren, könnte nach und nach die gesamte Flotte elektrifiziert werden.
Über die Kosten der neuen Öko-Fähre schweigen sich die Bootsbauer von Candela aus. Sie sprechen lieber von den im Vergleich mit den Diesel-Fähren deutlich geringeren Betriebskosten ihrer Boote von nur etwa sechs Euro pro Stunde. Und sie verweisen auf die Möglichkeit, aufgrund der höheren Fahrgeschwindigkeit deutlich mehr Menschen transportieren zu können. Und das völlig emissionsfrei und ohne großen Wellenschlag.
Angetrieben wird die Candela P- 30 von zwei Elektromotoren mit jeweils 60 kW (82 PS) Leistung, die den Fahrstrom aus einer Lithium-Ionen-Batterie mit 180 Kilowattstunden (kWh) Speicherkapazität bezieht. Damit sollen sich Reichweiten von bis zu 60 nautische Meilen, umgerechnet etwa 112 Kilometer, darstellen lassen. Beim Sportboot Candela 7 betrug die Antriebsleistung 55 kW und wurde der Strom in einem 40 kWh großen Akku aus einem BMW i3 gespeichert.
Der eigentlich Clou aber ist das System, mit dem das Boot Fahrt aufnimmt: Kurz nach dem Ablegen hebt sich der aus Carbon gefertigte Bootsrumpf mit Hilfe von kleinen Tragflächen aus dem Wasser und fliegt über die Wellen – die gleiche Technik nutzten kürzlich Rennyachten beim Americas Cup vor Neuseeland. Fünf Jahre Entwicklungsarbeit stecken in der so genannten Hydrofoil-Technologien.
Entwickelt wurde sie von dem Maschinenbauingenieur Gustav Hasselskog zusammen mit einem Team aus Spezialisten aus 12 Ländern – Experten in Elektrotechnik, Spezialisten für Leichtbau und Steuerungselektronik. Denn ist alles andere als leicht, ein Boot zum Fliegen zu bringen – und in dem Zustand stabil zu halten. Trotz Wellen und auch bei schnellen Fahrmanövern. Erst recht bei einer vollbesetzen Fähre – die Passagiere sollen ja nicht seekrank werden, sondern die schnelle Fahrt über die Wellen genießen.
Hasselskog und sein Team denken deshalb auch schon über andere Einsatzgebiete für ihre fliegende Elektro-Fähre jenseits des Schärengartens nach. An Einsätze der P-30 auf europäischen Seen, in der Lagune von Venedig, auf den Wasserstraßen von Amsterdam und Bangkok, zu den griechischen Inseln – oder zwischen Städten entlang des Rheins.
„Die Öffnung städtischer Wasserwege für den elektrischen Hochgeschwindigkeitsverkehr kann das Pendeln in Städten revolutionieren – und das zu sehr geringen Kosten“, sagt Candela-Gründer Hasselskog. Es sei nicht nötig, neue Straßen zu bauen – wenn man Personentransporte wo immer möglich auf die Wasserwege verlagere.