Motorkraft und Akku-Kapazität gelten als die wichtigsten Kriterien bei der Wahl eines passenden E‑Bikes. Immer mehr Hersteller setzen zusätzlich auf Digitalisierung – das „E-Bike wird darüber zu einem Teil des Internets der Dinge“, wie es Claus Fleischer von Bosch formuliert. Durch smarte Lösungen und spezielle Apps profitieren sowohl Käufer als auch der Handel. Wir geben einen Überblick über den aktuellen Stand der Dinge und erklärt, warum Konnektivität zu einem neuen Kaufkriterium bei E‑Bikes wird.
Die Fahrräder mit elektrischer Trittunterstützung, auch Pedelecs genannt, haben in dieser Fahrradsaison technologisch nochmals einen großen Schritt nach vorn gemacht. Für Kaufinteressenten wird es allerdings mitunter schwieriger, die Fortschritte auf den ersten Blick zu erkennen. Die neuen Meilensteine sind nämlich digitaler Art.
Mehr als eine Spielerei
„Die digitalen Lösungen sind weit mehr als eine ‚Spielerei‘. Sie bringen einen deutlichen Mehrwert für Nutzer und beim Service“, sagt Angela Bieli, Marketingmanagerin von Fit, einem Anbieter von Software-Lösungen zur Systemintegration und Service-Anwendungen. Das Unternehmen wurde als Spin-off des E‑Bike-Pioniers Flyer gegründet und ist dabei, Elektroräder mehr und mehr ins digitale Zeitalter zu führen. Ziel ist es, eine möglichst einfach zu steuernde, individuelle Lösung für E‑Biker zu schaffen – sowohl bei der Soft- als auch bei der Hardware. So lassen sich an den Rädern Akkus und Displays nach Wunsch konfigurieren. Ähnlich wie beim Auto, wo die Karosserie gleich bleibt, der Motor sich aber ändert, ist beim E‑Bike der Rahmen identisch, die Zusammenstellung des Antriebssystems jedoch individuell.
App wird zur Schnittstelle zwischen Mensch und E-Bike
Herzstück des Fit-Systems ist die hauseigene App. Sie verbindet Software, Hardware und Anwender und bietet einige Sonderfunktionen. Besseres Akku-Management sorgt beispielsweise für längere Lebenszyklen der Energiespeicher; das Freischalten von höherer Motorleistung durch den Fachhandel ist ebenfalls möglich.
„Das bedeutet jedoch kein illegales Tuning, sondern ein Anpassen der Motorleistung im legalen Bereich“, stellt Bieli klar. Wenn man beispielsweise im Stadtverkehr mit einer harmonischen, Akku sparenden Einstellung unterwegs ist, kann man im Urlaub mehr Motorleistung für längere Anstiege oder die Fahrt mit dem Kinderanhänger freischalten lassen. Die Fit-App kann dazu das Display ersetzen und bei der Navigation helfen. Elektronische Komponenten können mit einem „Digital Key“ als eine Art Wegfahrsperre geöffnet und verriegelt werden. Zubehör, wie ein digitales Schloss oder ein Reifendrucksensor, lässt sich per App verbinden und steuern.
Zusätzlich können Fachhändler eine Cloud nutzen, um die Service-Arbeiten am E-Bike zu verbessern und bei kniffligen Fragen schnell Kontakt zu einer Fachperson beim Hersteller oder dessen Unterlagen zu bekommen. „Den Vorteil dieser Entwicklung haben am Ende E‑Biker, weil ihre Fahrzeuge nicht mehr so lange in der Werkstatt stehen müssen“, sagt Bieli. Das Unternehmen plant noch weitere Funktionen, die auch unterwegs Anwendung finden können.
Ressourcen bündeln und stärken
Dabei ist das Fit-System nicht nur auf einen Motoranbieter beschränkt. Zwar wurde das System zusammen mit Panasonic entwickelt, es ist mittlerweile aber auch mit Brose-Antrieben kompatibel. Kooperationen mit weiteren Motorenanbietern sind in Planung. Die Zusammenarbeit ermöglicht den Unternehmen deutlich mehr Möglichkeiten bei der Digitalisierung des Rades, da Ressourcen gebündelt werden.
Der Berliner Antriebshersteller Brose hat zusätzlich aber auch eine eigene App entwickelt. Hier können Radler Fahrdaten abrufen oder auch Navigationsmöglichkeiten laden. Die App ist dabei eine logische Funktionserweiterung des Displays. Für Kaufinteressierte bedeutet das: Auf alle Fälle eine Probefahrt machen und dabei die digitalen Features testen. Die Funktionsvielfalt und die Abstimmung auf den eigenen Anwendungsbereich sind entscheidende Kaufkriterien.
Angebotsvielfalt nimmt deutlich zu
Die Angebotsfülle ist nämlich äußerst komplex. Kaum ein Motorenhersteller verzichtet auf die digitalen Schnittstellen. Marktführer Bosch präsentierte beispielsweise zur Eurobike 2021 sein „Smart System“. Per App werden hier Smartphone und System gekoppelt und ermöglichen den Austausch von Fitnessdaten oder eine Individualisierung der Fahreinstellungen. Wichtige Informationen wie der nächste Service-Termin sind ebenfalls direkt abrufbar, ein Alarmmodul für Diebstahlschutz und GPS-Tracking sind bereits Standard.
„Diesen Weg der Digitalisierung werden wir in Zukunft immer häufiger sehen. Das Smartphone ist nicht nur zusätzliches Display, es wird zur Verwaltungsstelle und hebt das E‑Biken auf das nächste Level“, sagt Christian Morgenroth von Ghost Bikes, einem Fahrradhersteller, der das neue Bosch-System bei seinen Highlight-Modellen verbaut. Sportler, die mit analogem Rad und E‑Bike trainieren, haben hingegen beim neuen „PW-X3“-System von Yamaha die Möglichkeit, ihren Trainingscomputer von Sigma zu koppeln.
„Es besteht dadurch die Möglichkeit, die Motordaten über den Trainingscomputer zu erfassen und so noch gezielter zu trainieren“, erklärt Matthias Rückerl von Haibike, der das System in neuen E‑Mountainbikes einsetzt. Ganz ohne Display am Rad und rein steuerbar über App-Funktion ist das Hinterradantriebssystem von Mahle: „Der Antrieb ist in erster Linie für den Alltag entwickelt und da hat man das Smartphone jederzeit dabei. Ein zusätzliches Display wirkt an dem Rad störend und alle Display-Funktionen sind mittlerweile problemlos per App abbildbar“, sagt Birgit Greif von Winora. Der Hersteller verwendet das System an seinem neuen Stadtrad „E‑Flitzer“.
Apps auch für analoge Räder
Aber nicht nur die Antriebshersteller erweitern ihr Angebot um digitale Lösungen. Auch Fahrradhersteller bringen ihre eigenen Apps und smarten Lösungen auf den Markt. Riese & Müller bietet die sogenannten RX-Services an. Die Abkürzung steht für Rider Experience. Mit unterschiedlichen Hard- und Software-Lösungen erhalten E‑Biker die Möglichkeit, ihr E‑Bike vollumfänglich zu vernetzen und abzusichern – vom GPS-Tracker bis zur Vollkaskoversicherung und Mobilitätsgarantie im Schadenfall.
„Vieles, was beim Auto seit Jahren selbstverständlich ist, wird auch beim E‑Bike mehr und mehr gefragt. Dazu gehört auch das Thema Konnektivität. Mit unserer RX-App erhalten E‑Biker wichtige Informationen über ihr Fahrzeug direkt aufs Smartphone. Z. B. einen digitalen Alarm, wenn das Bike bewegt oder entfernt wird“, sagt Jörg Matheis, Sprecher von Riese & Müller.
Laufradsensor sammelt Daten in Echtzeit
Ähnlich verfährt Tout Terrain, ein Anbieter hochwertiger Reise- und Cityräder. „Bei unserem neuen Modell ‚Camden‘ integrieren wir serienmäßig einen GPS-Chip für die Ortung des Rades. Über die App lässt sich die Position bestimmen, was bei einem Diebstahl hilft, das E‑Bike wiederzubeschaffen“, sagt Tobias Neukamm, Produktmanager Fahrrad von Tout Terrain. In Zusammenarbeit mit einem Versicherungspartner können auch diverse Versicherungen zusätzlich gebucht und verwaltet werden.
Auch der US-Hersteller Cannondale hat eine App entwickelt, die sich mit einem hauseigenen Laufradsensor koppeln lässt. „Das verbessert die Aufzeichnung und liefert Echtzeitdaten für Geschwindigkeit, Strecke und Fahrzeit – nicht nur für E‑Biker, sondern für alle Radfahrer. Der Laufradsensor zeichnet auch Daten auf, wenn das Smartphone einmal nicht dabei ist und die Infos erst später verarbeitet werden können“, so Daniel Häberle von Cannondale. Zudem informiert das System, wenn ein Service bevorsteht, außerdem sind Videos und Daten mit weiteren Informationen rund ums Rad hinterlegt. Die digitalen Möglichkeiten werden also immer mehr.
„Am Ende sind es die Nutzer, die entscheiden müssen, was sie brauchen und was zu ihrem Einsatz passt“, so Neukamm.