Eigentlich hätte Maximilian Günther vergangenes Wochenende mitten in Paris am Invalidendom um Sieg oder Niederlage kämpfen sollen. Die Aussichten auf einen Podiumsplatz im geplanten Formel E-Rennen wären für den Fahrer aus dem BMW-Werksteam gar nicht schlecht gewesen. Schließlich hat es der 22-Jährige während seiner ersten Saison als Werksfahrer der Münchner in den fünf bisher stattgefundenen Wettläufen einmal auf Platz 2 und einmal auf Platz 1 geschafft – als jüngster Pilot überhaupt der elektrischen Rennserie. Aktuell steht er damit auf Rang 4 der Fahrerwertung.

Doch statt mit seinem 250 Kilowatt starken und bis zu 280 Kilometer pro Stunde schnellen Boliden herumzurasen, sitzt der deutsch-österreicher Günther Zuhause bei seinen Eltern im Allgäu. Trotzdem fährt er weiter Rennen. Und hat schon wieder einen Sieg errungen: im virtuellen Monaco, beim ersten Testrennen der neuen digitalen Formel-E-Saison, die etwas umständlich ABB Formula E Race at Home Challenge heißt. „Es hat großen Spaß gemacht“, freut sich Günther. Er schaffte es auf Anhieb auf die Poleposition und errang von dort einen Start-Ziel-Sieg. „Auch wenn es ein Testlauf war, gibt es ein gutes Gefühl für die weiteren Rennen, in denen es dann um Punkte geht“.

Der Motorsportler hat nicht freiwillig das Lenkrad seines Rennstromers mit dem seines heimischen Simulators getauscht. Doch die Corona-Pandemie hat auch ihn in die eigenen vier Wände gezwungen, wie Abermillionen Menschen auf der ganzen Welt. Nachdem der Gründer und Chairman der Formel E, der Spanier Alejandro Agag, und sein neuer CEO, der Kanadier Jamie Reigle, gemeinsam mit dem Motorsport-Verband FIA bereits die Läufe in Paris, Seoul und Jakarta abgesagt hatten, verlängerten sie nun vergangene Woche das Ausetzen der Saison bis mindestens Ende Juni. Das betrifft auch den Grand Prix in Berlin auf dem Rollfeld des ehemaligen Flughafens Tempelhof.

Szene aus dem virtuellen Formel E-Rennen auf einer Strecke durch Monaco.
Monaco – unwirklich echt
Szene aus dem virtuellen Formel E-Rennen auf einer Strecke durch Monaco.
Quelle: Fia Formula E

Womöglich gibt es bald Geisterrennen ohne Publikum

Wie es danach weitergeht, ist noch nicht klar. Zumindest in Deutschland soll es bis Ende August nach dem Beschluss der Bundesregierung und der Ministerpräsidenten keine Großveranstaltungen geben. Damit wäre allenfalls ein Geisterrennen der Formel E ohne Publikum denkbar. Oder Agag & Co. verschieben die Renntermine weiter und führen dann an den Wochenenden jeweils Doppelläufe aus, um den Zeitverlust wieder aufzuholen. Selbst die Nutzung permanenter Strecken, wie sie beispielsweise mit den Hockenheimring existieren, zieht das Management in Erwägung. Das wurde es vermutlich erleichtern, die Besucherströme zu steuern – oder bei Geisterrennen ungebetene Gäste fernzuhalten.

Nach dem Ende der fünften Saison steht die elektrische Rennserie am Scheideweg. Es gibt Gerüchte über einen neuen CEO und Geldsorgen. Der Einfluss mächtiger Autokonzerne wächst. Will das Motorsportspektakel raus aus der Nische, sollte es sich radikal reformieren – und sich mit dem E-Sports verbünden. Ein Debattenbeitrag. Formel E

Der Formel E, aber auch den Rennteams drohen damit Einnahmeverluste, weil womöglich Sponsorengelder und Erlöse aus der Vermarktung der Übertragungsrechte wegfallen. Auch deshalb haben Veranstalter und Rennställe vereinbart, die Entwicklungskosten für die Fahrzeuge über die nächsten beiden Saisons zu halbieren. In diesem Zeitraum darf jedes Team nur einmal wesentliche Komponenten am Antriebsstrang verändern statt zweimal. Anders als in der Formel 1 mit ihren Materialschlachten erlaubt es das Reglement den Techniker generell nur in engen Grenzen, die E-Renner zu modifizieren. Der nächste größere Entwicklungsschritt soll dann in der zweiten Jahreshälfte 2021 mit Fahrzeuggeneration Gen2 Evo erfolgen – ebenfalls später als ursprünglich geplant.

Die Absage des Rennen in Berlin trifft auch den ehemaligen Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg schwer, mittlerweile einer der Anteilseigner der Formel E. Er wollte zum zweiten Mal am Rande des Rennens in Tempelhof sein Greentech Festival organisieren, das im vergangenen Jahr Tausende Besucher angelockt hatte. Mit einer Konferenz, einer Preis-Gala und einer Ausstellung präsentierte er dort grüne Technologien für eine nachhaltigere Wirtschaft und Mobilität. Jetzt will er die Veranstaltung im Herbst nachholen.

E-Gamer am Steuer echter Rennwagen

Um den Fans in der Zwangspause dennoch Wettkampfatmosphäre und spannende Wettkämpfe bieten zu können, hat die Formel E nun eine virtuelle Rennserie gestartet – und sammelt dabei Spenden für UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, etwa um während der Corona-Pandemie Fernunterricht für Schüler über das Internet zu finanzieren.

Bei der neunwöchigen Race at Home Challenge treten alle Formel-E-Teams gegeneinander an, in einem zweiten Starterfeld ausgewähle E-Sportler. Deren Sieger darf sich dann an einem Rennwochenende – sobald das wieder möglich ist – hinter das Steuer eines echten Rennwagens setzen und auf einer realen Strecke seine Runden drehen.

„Der Motorsport ist tatsächlich eine der wenigen Sportarten, in dem sich die Fähigkeiten aus der virtuellen in die reale Welt übertragen lassen“, meint dazu António Félix da Costa, Fahrer im Team DS Techeetah. Und räumt umgekehrt ein: „Es wird also interessant sein zu sehen, wie wir uns an die neuen virtuellen Bedingungen gewöhnen.“

Die E-Sportler müssen sich unter der Woche qualifizieren. Am Wochenende treten dann 18 von ihnen gegeneinander an. Parallel dazu messen sich die Formel-E-Piloten mit derselben rFactor-2-Simulationssoftware. Allerdings lässt die Formel E die Gamer nicht direkt mit den Motorsportlern konkurrieren. Dennoch ist es für die vielen E-Sportlern an ihren heimischen PCs eine Chance, so dicht wie möglich an die Profis der realen Rennen heranzukommen. Was so geschickt Werbung für die Serie in dieser jungen Szene macht.

Die jeweiligen Finalrennen beider Gruppen überträgt die Formel E im Internet auf der eigenen Seite wie auch auf den einschlägigen Social-Media-Plattformen (unter anderem Youtube und Twitch). Sogar einige Fernsehsender werden dabei sein.

Durch seinen Sieg beim Testrennen am vergangenen Wochenende hat sich Maximilian Günther bereits eine Favoritenrolle für die offiziellen Wertungen ab dem 25. April erkämpft. Aber ob es zum Gesamtsieg im großen Finale am 13. Juni reicht, wird er noch beweisen müssen.

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