Wie waren die alten Zeiten doch einfach: Im Frühjahr, wenn die Heizölpreise sanken, hat man die Tanks im Keller einfach randvoll gefüllt. Dann war man bis zur nächsten Saison alle Sorgen los. Auch für das Auto gab es Sprit an jeder Ecke. Rund um die Uhr. Volltanken, weiterfahren – fertig.

Der Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft macht es für Sparfüchse deutlich schwerer. Nun ändern sich die Energiepreise nicht mehr jährlich, sondern stündlich. Solarstrom gibt es zur Mittagszeit zwar im Überfluss – am Abend jedoch liefert die tiefstehende Sonne kaum noch Energie. Gleichzeitig lassen heimkehrende Arbeitspendler den Strombedarf in Stadt und Land rapide ansteigen. Der Effekt ist auf Verbrauchsgrafiken so deutlich zu sehen, dass Wissenschaftler ihm einen eigenen Namen gegeben haben: «Duck-Curve» (Entenkurve). Wenn die Ente ihr Haupt erhebt, wird es teuer für alle, die nun Strom beziehen müssen.

Wer also Energie sparen will – und Geld – braucht also Köpfchen. Beim Energie-beziehen auf die Uhr schauen wäre also schon einmal wichtig – für Elektroautofahrer wie für Hausbesitzer. Wer günstig und zugleich umweltschonend die verfügbare erneuerbare Energie nutzen will, kann sich in Zukunft nicht mehr auf fest installierte Thermostate und manuell betätigte Knöpfe verlassen. Da braucht es schon intelligentere Lösungen.

Ein vielschichtiges Problem

Bratislav Svetozarevic, forscht im „Urban Energy Systems„-Labor an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dübendorf bei Zürich. Er hat das Problem längst erkannt: Gefragt ist eine automatische Steuerung, die Energie zu günstigen Tageszeiten hamstert und für teure Tageszeiten nutzbar macht. Als Speicher könnte zum Beispiel die Antriebsbatterie des eigenen Elektroautos dienen, das in der Garage an der Ladestation hängt.

Strom verteilen mit Köpfchen
Die KI-Steuerung verteilt Strom aus den Sonnenkollektoren auf ideale Weise. Sie kennt die Bedürfnisse der Hausbewohner ebenso wie die aktuellen Strompreise. Grafik: Empa

Doch Svetozarevic hat mit einem vielschichtigen Problem zu tun: Jedes Haus ist anders. Und seine Bewohner sind es auch. Je nach Wetter und Jahreszeit ändert sich zudem die Stromerzeugung der Solaranlagen, sowie der Bedarf an Heiz- oder Kühlleistung. Eine optimale Energiesteuerung muss also den Tagesrhythmus eines Hauses und seiner Bewohner erlernen – und sollte auch während des Betriebs flexibel reagieren können, etwa wenn ein Wetterumschwung alle Kalkulationen umwirft.

Schritt eins: die Theorie

Die Lösung für solche Probleme bietet Künstliche Intelligenz. Der Empa-Forscher entwarf eine KI-Steuerung die auf dem  Reinforcement Learning Prinzip basiert. Wenn das System „richtig“ agiert, erhält es eine Belohnung. Allmählich perfektioniert die Steuerung auf diese Weise ihr Verhalten.

Zunächst wurde die Steuerung nur am Computer simuliert. Die Vorgaben: Ein bestimmter Raum in einem Gebäude musste elektrisch auf die gewünschte Temperatur geheizt werden und diese halten. Zugleich musste das System ein Elektroauto mit Strom versorgen, das morgens um 7 zu mindestens 60 Prozent geladen sein sollte und auf die Reise geht. Abends ab 17 Uhr kehrt das Elektroauto mit einer Restladung Strom zur Ladestation zurück und kann während der Nachtstunden auch Strom ins Haussystem einspeisen. Die Steuerung wurde mit Wetterdaten und Raumtemperaturen aus dem zurückliegenden Jahr gefüttert und musste mit zwei Stromtarifen klarkommen: teurer Strom am Tag zwischen 8 und 20 Uhr, billiger Strom während der Nachtstunden.

Das Ergebnis war verblüffend: die selbstlernende Steuerung sparte gegenüber einer fest programmierten Lösung rund 16 Prozent Energie ein und hielt im Theorieversuch auch die gewünschte Raumtemperatur deutlich exakter ein.

Schritt zwei: Test im realen Gebäude

Nun musste die Steuerung den Test in der Wirklichkeit bestehen. Svetozarevic nutzte dazu das Forschungsgebäude NEST auf dem Empa-Campus. In der Unit „DFAB-House“ steuerte der KI-Algorithmus eine Woche lang die Temperatur eines Studentenzimmers. Zugleich wurde die 100 kWh-große Speicherbatterie im NEST genutzt, um die Batterie des Elektroautos zu simulieren. Diesmal fiel das Ergebnis noch deutlicher aus: In einer kühlen Woche im Februar 2020 sparte die KI-Steuerung 27 Prozent Heizenergie ein – im Vergleich zum benachbarten Studentenzimmer, dessen Heizung mit einer fest programmierten (regelbasierten) Steuerung betrieben wurde.

„Das Schöne an unserer selbstlernenden KI-Steuerung ist, dass man sie nicht nur im NEST, sondern auch jedem anderen Gebäude einsetzen kann“, sagt Bratislav Svetozarevic. „Es braucht keinen Ingenieur, der die Steuerung programmiert, und niemanden, der das Haus zuvor analysiert und eine massgeschneiderte Lösung errechnet.“

Wohlige Wärme auf sparsame Art

In einem nächsten Schritt wollen Svetozarevic und seine Kolleginnen und Kollegen nun ermitteln, wie sich das System von einem Raum auf grössere Gebäude erweitern lässt. „Wir haben in unserem ersten Experiment einen typischen Haushalt der Zukunft abbilden wollen“, sagt der Forscher.

Der Einfachheit halber hat sich das Team aufs Heizen und Fahrzeugladen beschränkt. Die Arbeit legt jedoch die Basis für deutlich mehr. Svetozarevic ist sich sicher: „Unsere KI-Steuerung kommt auch dann noch zurecht, wenn eine Photovoltaik-Anlage Strom liefert, eine Wärmepumpe und ein lokaler Heisswasserspeicher bedient werden muss – und sich die Komfortansprüche der Bewohner immer wieder ändern.

Um das KI-System in Zukunft für eine optimale Energieversorgung nutzen zu können, ist allerdings eine neue Generation Elektroautos nötig. Die heute üblichen Elektroautos aus europäischer und nordamerikanischer Produktion mit einem Schnelladestecker nach der CCS-Norm können nur Strom tanken, jedoch keinen liefern. Japanische Autos mit CHAdeMO-Stecker sind dagegen fürs sogenannte bidirektonale Laden ausgelegt. Der südkoreanische Hyundai-Konzern kündigte allerdings im Dezember an, seine neue Elektroauto-Plattform E-GMP ebenfalls für das bidirektionale Laden auszurüsten. Der kleine Sonnenwagen Sion von Sono Motors wird von Anfang an für das bidirektionale Laden gerüstet sein. Und auch Volkswagen sowie Fiat arbeiten an der Thematik. Damit könnten Elektroautos langfristig beim Energiesparen helfen und zugleich das Elektrizitätsnetz stabilisieren.

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