Wie was, der Strom ist günstig? Was steht denn da für ein Unfug in der Überschrift? Teuer ist der! Zumindest behaupten das rechtspopulistische Medien und Politiker gerne. Der Focus sekundierte unlängst diesem AfD-Energieexperten:

Und auch die Energiewendefeinde der Industriegewerkschaft BCE sagen:

Es ist eine bunte Mischung von Atomlobbyisten, neurechten Bloggern und populistischen Politikern, die die „explodierenden“ Strompreise anprangern. Meist geht das Hand in Hand einher mit ablehnender Beschimpfung der EEG-Umlage, mit der Erneuerbare Energien subventioniert werden.

Ist aber Quatsch. Nicht nur, dass die Subventionen für Kohle und Atomkraft deutlich höher sind. (Die tauchen allerdings nicht auf der Stromrechnung auf und damit gilt: Aus den Augen, aus dem Sinn.) Die Strompreise in Deutschland explodieren gar nicht. Rechnen wir es einmal sachlich durch: Ein Zweipersonenhaushalt verbraucht im Schnitt rund 3000 Kilowattstunden im Jahr. Bei einem teuren Tarif von 30 Cent sind das pro Nase 37,50 Euro Stromkosten im Monat.

Frage 1: Ist das viel? Antwort: Nein!

Wann bitte waren die Strompreise für Verbraucher denn mal niedriger als heute? Vor zwei Jahren? Vor fünf? Nein, da waren sie nach Zahlen des Vergleichsportals Verivox mehr oder weniger gleich. Hier die Zahlen:

Sie sehen: Derzeit steigt nix.

Den rasantesten Preisanstieg gab es etwa zwischen 2002 und 2012, davor und danach aber lange Phasen stabiler Preise. Man kann natürlich alle Diagramme manipulieren. Die vergangenen fünf Jahre sehen sehr glatt aus, die vergangenen 13 steigen schon steiler an – vor allem, wenn man wie Verivox die Balken erst bei 15 Cent beginnen lässt, was den Anstieg noch rapider macht. Dass viele Diagramme, die den Anstieg der Strompreise belegen sollen, Anfang der 2000er beginnen, ist übrigens kein Zufall: Von 1990 bis 2002 stieg der Strompreis nämlich nur um rund zwei Cent!

Spannend wird es, wenn wir die Preissteigerungen beim Strom mit der allgemeinen Preissteigerung, der Inflation vergleichen. Die Europäische Zentralbank peilt eine Teuerungsrate von zwei Prozent im Jahr an, um die Wirtschaft stabil zu halten. Zumindest im Idealfall.

Schlagen wir nun auf den Strompreis im Wendejahr 1990 jährlich diese zwei Prozent Inflation auf, dann wären wir heute bei einem Strompreis von 26,12 Cent pro Kilowattstunde. Etwas weniger als der von Verivox errechnete Preis, aber kein extrem abweichender Wert. Der Strompreis eines Bewohners unseres Beispielhaushalts läge dann bei 32,65 Euro. Also 4,85 Euro niedriger.

Wissen Sie, welche Preise sich identisch entwickelt haben: die von Benzin. Und Zahnpasta. Und von vielen anderen Dingen im Warenkorb, die nicht dank technischer Fortschritte billiger und leistungsfähiger werden, wie etwa Computer.

Das Rechenbeispiel mit der Inflation wird noch spannender, wenn man es mal auf die Strompreise der vergangenen fünf Jahre aufschlägt, siehe unten. Dann sehen wir, dass eine normale Inflation den Preis höher hätte steigen lassen, als er tatsächlich gestiegen ist. Im Vergleich zum durchschnittlichen Warenkorb ist Strom seit fünf Jahren billiger!

Frage 2: Aber es fühlt sich so an …?

Zwischen 1990 und 2000 ist der Strompreis kaum gestiegen. Damals war das schön, später wurde es zum Problem, denn die Preise blieben nicht nur wegen der Liberalisierung des Strommarktes Ende der 90er niedrig, sondern auch wegen fehlender Investitionen ins Stromnetz. Die müssen nur leider irgendwann nachgeholt werden.

Aber nicht nur diese Investitionen ließen den Strompreis sprunghaft ansteigen, sondern auch die Erneuerbaren, keine Frage. Binnen 13 Jahren verdoppelte sich der Preis. Eine Anschubfinanzierung für die neuen Stromerzeuger mit Sonne und Wind, die wir immer noch bezahlen. Aber: Neue Solar- und Windkraftwerke sind nicht ansatzweise so teuer. Die Preiskurve hat sich zu unseren Gunsten entwickelt. (Wir = die Verbraucher.) Und ab 2020 fangen die teuersten Anlagen an, aus der EEG-Förderung herauszufallen.

Frage 3: Und darüber, dass die Erneuerbaren meinen Strom teurer machen, soll ich mich wahrscheinlich auch noch freuen?

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sorgt dafür, dass der Stromkunde alle Subventionen für die Erneuerbaren zahlt. Klingt nicht gut, aber bislang gab es noch nie Energieerzeugung ohne Subventionen: Der Kohlebergbau ist bis heute teuer, die Überreste der Kernkraft werden noch für Jahrhunderte teuer bleiben. Das Geld dafür kommt zwar nicht vom Stromkunden aber dafür vom Steuerzahler und – kein Geheimnis – das sind auch Sie.

Wenn Sie Steuern zahlen und Strom kaufen, und das trifft auf 99% unserer Leser zu, dann haben sie 2017 Subventionen für mehr oder weniger jede Art der Stromerzeugung gezahlt. Mit dem EEG wissen Sie aber immerhin, für was Sie draufzahlen.

Dass Ökostrom sauber ist, weder chronische Bronchitis noch Legionärskrankheit verursacht, gut für das Klima und die Luft ist, uns unabhängig von Energieimporten aus politisch zweifelhaften Staaten macht und Arbeitsplätze schafft, die nicht am Subventionstropf hängen, das können Sie vermutlich eh nicht mehr hören.

Davon abgesehen: EEG und Stromerzeugungskosten machen ohnehin nur den kleineren Teil der Stromkosten aus. Dazu kommen noch Steuern, Netzentgelte und noch mehr Steuern. Wenn Sie also mal wieder lesen, dass Deutschland im internationalen Vergleich die höchsten Strompreise hat: Das liegt eher daran, dass der Staat gut mitverdient, als an Ökostrom oder Netzausbau. Andere Staaten zahlen nämlich eher drauf. Was etwa der britische Staat für sein Kernkraftwerk Hinkley Point draufzahlen wird, dürfte nach Einschätzung des Handelsblatts eine Menge sein.

In Deutschland hingegen zahlt der klassische Verbraucher die Hälfte des kWh-Preises an den Staat. Auch die Strom-Unternehmen zahlen Steuern oder Dividende. In den meisten anderen EU-Staaten macht der Steueranteil nur 15 bis 35 Prozent aus. Und trotz EEG-Umlage und Riesensteuer: Gemessen am Einkommen ist der deutsche Strompreis laut Eurostat absolut durchschnittlich.

Frage 4: Kann ich mich wehren?

Klar, wehren Sie sich, sparen Sie Strom und stellen Sie den Erneuerbaren und dem Staat weniger Geld zur Verfügung. Oder wenn Sie – auch das ist legitim – keinen Strom sparen und trotzdem keinen Cent für den „Gier-Staat“ und den „Öko-Wahn“ bezahlen wollen, dann können Sie auch das. Niemand zwingt Sie, Strom zu kaufen. Kappen Sie die Leitung! Kündigen Sie dem Stromanbieter. Machen Sie sich untenrum (=im Verteilerkasten) frei.

Ganz im Ernst: Es gibt kein Strommonopol. Sie können ihn selbst erzeugen, ob mit Holzofen, Wärmepumpe oder Dieselgenerator: Die Technik ist da. Bauen Sie Ihr eigenes Hausnetz auf. Im Zweifel mit einem kleinen Pumpspeicher, auch das geht. Nur beim Atomstrom dürften die Behörden nicht mitspielen.

Oder wollen Sie gar keine radioaktiven Materialien in der Küche lagern? Ist Ihnen der Dieselgenerator neben dem Bett zu dreckig? Der Holzkauf auf Dauer zu teuer? Soso.

Klar, ein Privathaushalt ist nicht mit dem europäischen Strommarkt vergleichbar. Aber das war ja gar nicht das Thema, sondern die Strompreise. Die explodieren seit Jahren nicht mehr, und unsere Regierung hat über die hohe Steuer auch eine Möglichkeit, diese weiterhin stabil zu halten. Die Chance ist hoch, dass wir künftig weniger Öl, Kohle oder Uran importieren, dass wir keine Abermillionen in den CO2-Handel stecken müssen und nebenbei wird die Luft besser. Portugal zeigt bereits, wie das aussehen kann.

Wenn Sie einen richtigen Skandal suchen, eine Preissteigerung, die wirklich ins Geld geht, da habe ich einen größeren Aufreger für Sie: Der Bierpreis hat sich seit der Wende 1990 vervierfacht.

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1 Kommentar

  1. Easy

    Das ist gealtert wie Milch. Aber im Nachhinein ist man immer schlauer.

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