Karl-Heinz Land, 58, ist ein Pionier der digitalen Transformation. Nach 35 Jahren in der Computer- und Software-Branche, unter anderem bei Oracle und SAP, gründete er 2014 in Köln die Strategieberatung „neuland“, die seitdem Unternehmen und Kommunen auf dem Weg ins „digitale Neuland“ begleitet und Startups finanziell fördert. Einen Namen machte sich Land auch als Verfasser von Managementbüchern über „Digitale Markenführung“ und „Dematerialisierung“. 2018 forderte er in dem Buch „Erde 5.0. Die Zukunft provozieren“, die Menschen dazu auf, die Zukunft nicht nur als Schicksal zu ertragen, sondern mit Lust aktiv mitzugestalten. Hier knüpft Land mit dem nachfolgende Beitrag zu den Folgen der Corona-Krise an.

Was ist passiert? Ausgehverbote und Kontaktsperren, Absturz der Wirtschaft und Börsen, Angst um Arbeitsplätze, geschlossene Läden und Restaurants und eine hohe und immer noch steigende Anzahl von Toten weltweit. Die Lage ist ernst – vieles ist beängstigend – einiges sogar existenzbedrohend.

Katastrophe als Wendepunkt

Karl-Heinz Land
Der Digitialisierungs-Spezialist will „die Zukunft provozieren“.

Tatsächlich haben wir schon längere Zeit einige Krisen vor uns hergeschoben: Klimawandel, Artensterben, Plastik in den Weltmeeren, wachsende Ungleichheit, Bevölkerungsexplosion, Migration und Flüchtlinge und in der Konsequenz, tiefe soziale Instabilität.

Krise bedeutet im ursprünglichen Sinne des griechischen Wortes „Krisis“ – trennen, beurteilen, oder auswählen. Die „Krisis“ war also der Punkt, an dem man sich eine Meinung gebildet hat, um dann eine Entscheidung zu treffen. Der Ursprung des Wortes Katastrophe liegt in den Worten „Kata“ – herab und „Strephein“ – wenden. Es ging also nicht wie in unserem Sprachgebrauch heute üblich um die Katastrophe, die alles zerstört hat, sondern ganz im Gegenteil um einen Punkt der Umkehr – einen Wendepunkt.

Der Klimawandel und Greta sind durch Corona schon fast vergessen. Was der Klimawandel und das Artensterben, in ihrer existenziellen Bedrohung der Menschheit bisher nicht geschafft haben, das hat das Coronavirus nun innerhalb weniger Tage und Wochen erreicht: Es hat unser Verhalten grundlegend verändert.

Könnte es sein, dass die Corona-Krise und der Klimawandel auch eine Chance für uns Menschen sind?

Auf einmal können wir auf Reisen verzichten, statt für jedes Meeting durch die Welt zu fliegen. Videokonferenzen und Konferenz-Telefonate machen es möglich. Unterricht findet auf einmal Zuhause statt. Hausaufgaben kommen per E-Mail.

WOW – das war wirklich mal eine neue Erfahrung! In unserer überdrehten Burn-Out-Konsumgesellschaft, mit McKinsey-Wachstums und Effizienz-Glauben war auf einmal Pause.

Pause für fast alle. Corona hat wirklich in wenigen Tagen geschafft, was beharrliche Apelle und Überzeugungsarbeit von Umweltorganisationen in den letzten Jahrzehnten nicht geschafft hatten.

Neue Lösungen innerhalb von Tagen

Jahrelang hat man die Bedeutung der Digitalisierung, des Netzes und des technologischen Fortschrittes unterschätzt oder sogar heruntergespielt. Die Bundesregierung ließ sich nach langwierigen Verhandlungen darauf ein, eine Datenübertragungsrate von 50 Mbit für jeden Bürger bis zum Jahr 2025 zu versprechen. Unternehmen, Privatpersonen, Politik und Organisationen erkennen auf einmal den Wert des Netzes als wichtige Infrastruktur der Kommunikation und des eigenen Geschäftes und unseres zukünftigen Wohlstandes.

Innerhalb von Tagen wurden neue Lösungen, Tools, Methoden und agiles Arbeiten in verteilten Netzwerk-Organisationen möglich gemacht. Die Lernkurve der Unternehmen und Organisationen war enorm. Die Bedenken, die früher vieles verhinderten, wurden ausgeblendet: Man legte einfach los.

Die gesammelten Erfahrungen waren dann auch noch überraschend positiv. Meetings per Video-Konferenz oder Konferenz-Calls waren erfreulich effizient. Die Bedenken vieler Arbeitgeber, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich im Home-Office um alles außer ihre Arbeit und den zu erledigenden Aufgaben kümmern würden, wurde schnell von den Arbeitnehmern ad Absurdum geführt. Die Fahrzeit, die normalerweise zum und vom Büro benötigt wurde, verbrachte der Mitarbeiter jetzt am Bildschirm im Home-Office.

Raus aus dem Hamsterrad

Die Zukunft der Arbeit und die Zukunft der Büroflächen, besonders in den Großstädten, ist noch relativ offen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass viele Unternehmen gelernt haben, dass Home-Office ein geeignetes Konzept ist und am Ende des Tages sogar zu erheblichen Einsparungen führen könnte.

Und ganz nebenbei entlastete man den Straßenverkehrs von den Berufspendlern. Damit verschwanden viele Staus, sank in vielen Städten die Belastung der Luft mit Schadstoffen.

Viele Menschen haben derzeit das Gefühl, mit dem Corona Virus auch aus dem Hamsterrad herausgekommen zu sein. Vieles wurde in der Zeit des Lockdowns hinterfragt. Wir kauften Dinge, die wir nicht brauchen – um Menschen zu beeindrucken, die wir nicht einmal mögen. Oder um uns selbst von dem abzulenken, was uns wirklich fehlt. Jetzt auf einmal gehen wir wochenlang nicht shoppen – und wir vermissen eigentlich nichts.

Der Reiz der Großstadt schwindet

Auch denken wir darüber nach, ob die Stadt wirklich der ideale Ort für unser Leben ist. Die Stadt ist viel teurer, bietet weniger Platz, die Luft ist schlechter. Könnte das Landleben eine Alternative sein – jetzt wo Home-Office und Video-Konferenzen bereits zum Alltag geworden sind? Der alltägliche Stau zur und von der Arbeit, hat eh’ immer schon genervt.

Was aber wäre, wenn wir unser Leben neu denken dürften? Eine neue Ökonomie und Ökologie, vielleicht sogar ein neues Gesellschafts- oder Sozialsystem? Eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft , in der Ökologie, Soziales und Ökonomie miteinander versöhnt sind.

Wie wäre es mit einem neuen Bildungssystem? Ein Bildungssystem, dass die Schüler und Studenten tatsächlich auf die Berufe und die komplexen Lebenswelten der Zukunft vorbereitet? Ein Bildungssystem, das Schüler und Studenten mit Methoden- und Sozialkompetenzen versieht, sie mit Empathie und Teamfähigkeit ausstattet?  

Smarte Städte mit Künstlicher Intelligenz

Uns weiterbringen könnte auch ein Wirtschaftssystem, in dem die Digitalisierung eine zentrale Rolle spielt. Intelligente Plattformen könnten uns helfen, Dinge zu teilen statt zu besitzen.  Und Künstliche Intelligenz könnte unsere Städte zu „Smart Cities“ machen, die mit 70-90 Prozent weniger Verkehr funktionieren, die weniger Energie und Ressourcen verbrauchen und in denen es keine Belastungen durch Feinstaub und Stickoxide mehr gibt. Die Luft über China und in vielen deutschen Großstädten war seit Jahren nicht mehr so gut wie jetzt in Corona-Zeiten.

Wenn wir Digitalisierung und den technologischen Fortschritt zu Ende denken, könnten wir auch den Klimawandel meistern und die Probleme, die mit Ressourcenknappheit und der Umweltzerstörung einhergehen, in den Griff kriegen.

Wir müssen den Dingen, die wir produzieren, einen echten Preis geben

Wenn wir das Bahn- oder Flugticket nicht mehr ausdrucken, sondern nur noch als QR-Code auf unserem Handy haben, brauchen wir weder den Drucker, noch die Energie und das Papier für das Ticket zu produzieren.

Gründergeist statt Wiederaufbau-Programm

Kurzum: Wir brauchen jetzt kein Wiederaufbauprogramm, wie es EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordert. Wir brauchen jetzt einen neuen Gründergeist – und den Start in eine neue Gründerzeit!

Die Gründerzeit am Ende des 19. Jahrhunderts brachte den Übergang von der Agrarwirtschaft zum Industriezeitalter. Jetzt, am Anfang des 21. Jahrhunderts, geht es darum, vom Industriezeitalter in das Informations- und Wissenzeitalter zu gelangen.

Zu erreichen wäre dies relativ einfach. Wir müssen den Dingen und Dienstleistungen, die wir produzieren, nur ihren „echten Preis“ geben. Dabei werden dann auch alle Kosten von der Gewinnung bis zur Rückführung in den Wertstoffkreislauf bewertet. In den Preis von Kunststoffen würden die Umweltschäden, die durch die CO2-Emissionen bei ihrer Produktion entstehen, ebenso eingepreist wie die Belastungen durch Mikroplastik in den Weltmeeren. Auch im Preis von Fleisch und Wurstwaren würde der CO2-Fußabdruck, der bei ihrer Erzeugung entsteht, niederschlagen. Die Dinge würden sich so sehr schnell von alleine regulieren – ganz ohne Verbote!

Was wäre, wenn wir – statt weiter das alte Geschäftsmodell der Autoindustrie zu reparieren – in neue Energie-Konzepte und und etwa in synthetische Treibstoffe investieren würden? Wir könnten dann möglicherweise in wenigen Jahren weltweit auf fossile Kraftstoffe komplett verzichten. Wir könnten, indem wir solche Produktionsanlagen auch in Afrika bauen, die Menschen dort an unserer Wertschöpfung beteiligen und gleichzeitig unseren CO2-Fußabdruck als Industrienation dramatisch senken.

Zeit der großen Transformation

Denn eines ist klar: Für uns in der westlichen Welt kann Corona eine Chance sein. Aber für die Menschen in den Entwicklungsländern ist sie eine Katastrophe biblischen Ausmaßes.

Hoffen wir das die Corona-Krise auch für uns ein wichtiger Wendepunkt wird und die Zeit der „großen Transformation“.

Bleiben Sie gesund, bewahren Sie den Blick für Positives und denken Sie immer daran, bei den alten Griechen war die Katastrophe nicht der Endpunkt – die Vernichtung, sondern der Wendepunkt. Jeder einzelne von uns entscheidet nun, wohin die „Reise“ gehen wird. Solidarität, Empathie und Mut werden vermutlich die wichtigsten Werte für uns sein – in der nahen und fernen Zukunft – für uns Alle.

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