PS spielen keine Rolle mehr

Ich bin inzwischen mit Elektroautos kilometermäßig einmal zum Mond und zurück gefahren. Ich bin noch nie wegen Strommangel liegengeblieben. Ich nutze auch den Zug, wenn es geht, aber oft muss ich aus beruflichen Gründen in entlegene Ecken. Ich fahre im Winter in die Berge, auch bei 10 Grad minus und die Reichweite sinkt dann vorübergehend vielleicht um 15 Prozent. Ich empfinde Elektromobilität als eine elegante, schöne und natürlich noch entwickelbare Technologie. Ich bin kein Verzichtsfanatiker, im Gegenteil. Die Art und Weise, wie ein Elektroauto beschleunigt, ist allen Verbrennern überlegen. E-Autos überwinden auf elegante Weise alte automobile Reflexe. Sie haben unfassbar viele PS, aber PS spielen plötzlich keine Rolle mehr.

Tesla-Ladestation in Hilden bei Düsseldorf
„An den Superchargern standen hin und wieder Männer mit verschränkten Armen um mein Auto. Und stellten seltsam verdruckste Fragen mit aggressivem Unterton.“ Foto: Rother

Man fährt mit dieser Technologie langsamer, konstanter, ruhiger. Man steigt aus dem Statusrennen auf der linken Autobahnspur aus. E-Fahren ist eher ein Gleiten. Es lehrt uns, Pause zu machen und diese Pausen auch zu genießen. Es nähert das Autofahren wieder dem Reisen an, wie wir es früher machten, als wir unterwegs auch mal eine Kleinstadt am Rande der Straße besuchten.

Tesla hat angekündigt, dass ab nächstem Jahr die Supercharger in 15 Minuten die ganze Batterie laden. Wir sind eigentlich eher dagegen. Uns ist das zu schnell. Zu jeder Technik gehört eine Kulturtechnik. Und vielleicht geht es gerade darum.

Zugegeben: Ich war früher nicht anders

Ich will nicht selbstgerecht sein. In meinem früheren Autofahrerleben habe ich selbst alles durchgezogen, was ein deutscher Autofreak für den Vorsprung der Technik hält. Ich habe 1.000 Kilometer (Hamburg-Wien) mit einer Tankfüllung am Stück heruntergehobelt, ohne Pause. Ich habe mit Vergnügen lahme Golfs geschnitten und Suzuki-Fahrer verachtet. Mea culpa! Ich habe in meinem Auto „Male Cocooning“ betrieben, eine Art automobiler Selbst-Vereinsamung mit kurzen Adrenalinschüben. Meine Öko- und Seelenbilanz früher war nicht die Beste.

Autofahren à la Deutschland hat, soviel habe ich begriffen, wenig mit Mobilität zu tun. Sondern eher mit Kontroll- und Statusgefühlen. Mit dem Anrecht auf Verbrennen und den dicksten Brocken Fleisch. Autos sind nicht selten Fluchtfahrzeuge vor Bindungen und Familien. Kontrollgeräte im Wirklichkeitsraum, der einem selbst unsicher geworden ist.

Unfähigkeit zum Wandel

Michael Lehofer, ein befreundeter Arzt und Psychiater, nennt das die „Selbstrekonstruktion“: Wir versuchen immer wieder mit aller Macht jenen inneren Zustand wiederherzustellen, in dem „alles so war, wie wir es wollten“. Wir konstruieren aus unseren Gewohnheiten und inneren Konstrukten ein normatives Normal, das in der Vergangenheit liegt. Auf der kognitiven Ebene führt das zur „Confirmation Bias“ – man nimmt nur noch wahr, was dem eigenen Theorem dient. Auf der weltanschaulichen Ebene führt es ins Reaktionäre, in die Zukunfts-Feindlichkeit, und letztendlich in die Unfähigkeit zum Wandel.

Die Regnose der Technologie

Eine weitere Methode, Wandel zum Besseren zu bekämpfen, ist es, das utopische Neue zu verherrlichen. Der momentane Trend, die Möglichkeiten der Elektromobilität zu leugnen, ist die Lobpreisung des Wasserstoffs, der alle Probleme mit der Mobilität und Umwelt lösen soll. So wie die Künstliche Intelligenz, die ja demnächst auch das Problem unserer Dummheit lösen wird.

Elektroautos sind eine Übergangstechnologie, natürlich. Alle Technologien sind Übergangstechnologien. Und jede Technologie hat einen Umwelteffekt. Allerdings unterscheiden sich diese Effekte erheblich. Im Vergleich zu dem, was die fossilen Energien in der Atmosphäre, der Umwelt, der Kultur und nicht zuletzt der Ökonomie (Venezuela!) anrichten, ist eine Lithium-Ökonomie bei Weitem schonender. Sie mag nur ein Schritt ins Bessere sein. Aber ein großer.

Technischer Wandel entsteht wie jeder Fortschritt nach einem Regnose-Prinzip. Am Anfang wirken neue Techniken noch unfertig. Sie haben kleine Nachteile. Das war ja auch beim Verbrennungsauto so, das immerhin 50 Jahre bis zu einer nahtlosen Infrastruktur brauchte. Verbesserungs-Technologien erzeugen aber schnell eine eigene Marktdynamik, eine Innovationskaskade, die die Lücken der Anwendungen schließt.

Man denke an den sagenhaften Fortschritt der Computertechnik in den letzten 20 Jahren. Oder an den Siegeszug des effektiven Lichts. Können wir uns noch an den Shitstorm erinnern, der vor zehn Jahren zum Abschied von der viel zu viel Wärme erzeugenden Glühbirne ausbrach? Damals hortete der deutsche Bürger Glühbirnen im Keller, unter anderem mit dem Argument, dass die Energiesparlampen giftig und teuer waren. Das stimmte auch, aber es dauerte nur wenige Jahre, bis sich preiswerte LED-Technik in allen Formen und Farbschattierungen durchgesetzt hat. Als nächstes kommt OLED, das organische Leuchten.

Nicht immer von den Problemen her denken

So wird es auch mit der Elektromobilität sein. Sie verbessert sich selbst aus der Zukunft heraus. Und irgendwann, nach vielen Hürden, kommt der Wasserstoff.

Ich habe jetzt meine Taktik geändert. Auf Diskussionen über die Zukunft der Automobilität lasse ich durchblicken, die E-Mobilität sei etwas ganz Besonderes. Nichts für jeden. Wie heißt das so schön in der Fishermans-Friends-Werbung? „Sind sie zu stark, bist du zu schwach!“ Dabei lasse ich durchblicken, dass es derzeit sehr komfortabel an den E-Chargern zugeht, kaum jemand versperrt die Ladegeräte. Großer Komfort, großer Vorteil. In Österreich darf man in Umwelt-100-Zonen mit einem E-Auto 130 fahren. Und so weiter.

Neid hilft. Seitdem bekomme ich plötzlich reihenweise Zuschriften, in denen ich nach dem besten Elektroauto gefragt werde und wo man es kaufen kann. Ich antworte nie.

Ich träume von einer neuen Höflichkeit. Einem Respekt gegenüber der Zukunft. In der wir von den Lösungen und nicht immer nur von den Problemen her denken. In der das Neue nicht das Bessere erschlägt. Und in der das ewige Abwerten, Negativieren und populistische Schlechterwissen degoutant ist.

Ebenso wie überdimensionierte Auspuff-Bürzel, die mir auf jeder Autobahn entgegenstarren.

PS: In der Corona-Krise hat sich der Absatz von E-Fahrzeugen in Europa verdreifacht: Auf immerhin 7,2 Prozent der Neuwagen. Und 9,6 Prozent Hybriden. In Deutschland fahren jetzt fast 400.000 E-Autos. Die eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen, die Angela Merkel vor zehn Jahren für dieses Jahr 2020 prognostizierte, werden im Jahr 2022 oder 2023 realisiert. Von da an geht es steil bergauf. In zehn Jahren werden 50 Prozent aller Neuanmeldungen vollelektrisch fahren, ähnlich wie heute in Norwegen. Tankstellen werden vielleicht Lade-Lounges, in denen es endlich auch etwas Gutes zu essen gibt, nicht diesen dickmachenden Schlangenfraß.

PPS: Ich habe nichts gegen Oldtimer.

10 E-Auto-Irrtümer-Revisionen

Artikel teilen

9 Kommentare

  1. Jurgen Tas

    „Auf der Autobahn, auf der ich …. mit konstanten 125 km/h segelte“:
    Als holländische Tesla Model 3-Fahrer (und Liebhaber) bin ich meistens gezwungen 105 km/h zu fahren (100 ist unser offizellen max. tagsüber). Dann macht es ehrlich gesagt viel Spass, wenn ich mal in Deutschland fahre, mal schneller zu fahren und die traditionellen schnelle Deutsche Tiefflieger zu zeigen das ein Model 3 auch leicht über 200 fahren kann 🙂

    Antworten
  2. Matthias Moser

    Nicht immer von den Problemen her denken > das ist der beste Satz, den wir am besten alle in unser Leben aufnehmen sollten

    Antworten
  3. Roger Hobbs

    Es geht doch nicht um’s nicht wollen…es geht um’s können. Ich kann mir keinen mindestens 86k€ teuren Tesla kaufen oder leasen (denn mal ehrlich, mit z.B. nur der Hälfte der Reichweite oder keiner Schnellladefunktion sieht so eine Reise ganz anders im Ablauf aus).
    Zumal ein solches Fahrzeug meinen Anforderungen gar nicht entspricht…wo ist also ein z.B. Ford Galaxy für die Familie? Einer der für Einkauf, Kinder und Freizeit reicht. Und bitte nicht auf die V Klasse o.ä. verweisen. Erstens falsche Gattung und zweitens auch nicht günstiger.
    Schade, ich bleibe beim Verbrenner…auch schon auf Grund der aktuellen Preisanhebung für den Strom zum Laden.

    Antworten
  4. Ralf Neuhäuser

    Ich bin bekennender Fan der Elektromobilität, aber 6 Autos in 10 Jahren zu konsumieren, hat mit Nachhaltigkeit auch nicht so wirklich viel zu tun, Matthias Horx.

    Antworten
    • Franz W. Rother

      Denke mal, es handelte sich um Leasingautos. Wer E-Mobile kauft, macht einen Fehler. So schafft man günstige Gebrauchte

      Antworten
      • Ralf Neuhäuser

        Hej Franz, ich grüße Dich.
        Wie auch immer, es sorgt für hohe Frequenz des Konsums und geringe Lebensdauer. Und „günstig“ steht meist sowieso im Gegensatz zu Nachhaltigkeit, weil Sekundärkosten nicht berücksichtigt werden.

        Antworten
        • Jürgen Baumann

          Wenn keiner kauft, mietet oder least, gehen die Preise nicht runter. Dann bleiben die Fahrzeuge was besonderes. Ich lease auch und bin eben der Eisbrecher für alle, die vorne nicht mit schwimmen wollen oder können.

          Antworten
  5. Jürgen Baumann

    Cool. Danke für den Artikel!! Bin seit 2011 dabei und für mich gibt es nichts anderes mehr als Elektrofahrzeuge. Bin derzeit mit dem Kona electric unterwegs. Geht auch … 🙂

    Antworten
    • Burghardt Garske

      Habe seid Ende 2019 einen Kona elektric 64. Habe ihn aus Technikbegeisterung gekauft. Sollte für lange Strecke genutzt werden.

      Nach nun 22.000 km, Corona bedingt bin ich monatelang nur wenig gefahren, bin ich restlos begeistert. Das Fahren mit Elektromotor ist einfach fantastisch, es ist leise und die Beschleunigung unerreicht. Auf langen Strecken mal 30 Minuten Ladepause zu machen, finde ich entspannend. Kostentechnisch übrigens auf Vollkostenbasis deutlich günstiger als der Verbrennen. Allein, dass man etwas mehr plant, ist etwas ungewohnt.

      Rein gefühlsmässig kann es doch nicht gut sein, ständig Öl zu verbrennen. Der Kona verbraucht im Schnitt, inkl. Winter 16,5 KWh, also das Äquivalent von ca. 1,7 Liter Diesel. Das begeistert mich.

      Die Ladesäulen sind immer frei und es werden ständig neue gebaut. Nun wurde das WEG Gesetz geändert und ich kann in unserer TG eine Wallbox installieren.

      Antworten

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert