Die steigende Zahl privater Elektroauto-Ladestationen und strombetriebener Wärmepumpen könnte in Deutschland zu einer Überlastung des Stromnetzes führen, warnte kürzlich Klaus Müller, der Präsident der Bundesnetzagentur. „Wenn weiter sehr viele neue Wärmepumpen und Ladestationen installiert werden, dann sind Überlastungsprobleme und lokale Stromausfälle im Verteilnetz zu befürchten, falls wir nicht handeln“, sagte der Grüne in einem Interview. In Zeiten hoher Netzauslastung könnten regionale Netzbetreiber gezwungen sein, die Stromzufuhr für Wärmepumpen und private Ladestationen per Fernzugriff zeitweise zu drosseln. Garantiert werde in der Zeit dann nur eine Mindestversorgung – um eine Vielzahl von Wärmepumpen störungsfrei betreiben zu können oder die Batterie eines Elektroautos in drei Stunden Ladezeit mit Strom für 50 Kilometer Reichweite zu versorgen. Eine entsprechende Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes könnte schon zum 1. Januar 2024 in Kraft treten.

In einem offenen Brief an die Bundesnetzagentur haben sich der Verband der Automobilindustrie (VDA), der Bundesverband Wärmepumpe (BWP), der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE) sowie der Bundesverband der Verbraucherzentralen Einspruch gegen diese Pläne erhoben.

Die Sorgen sind unbegründet, sagt hingegen Kerstin Andreae, die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung und Mitglied des Präsidiums des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Der Vorschlag der Bundesnetzagentur sei nicht Teil des Problems, sondern ein bedeutender Schritt auf dem Weg zur Lösung, sagt die ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen in einem Gastbeitrag.

Zahl der Stromverbraucher wächst

In den vergangenen zehn Jahren hat die Energiewirtschaft in Deutschland den Anteil an Erneuerbaren Energien an der Stromversorgung etwa verdoppelt und dafür gesorgt, dass diese allen Verbrauchern verlässlich über das Stromnetz zur Verfügung stehen. Zeitgleich wurden mehr als 75.000 öffentliche Ladesäulen und mehrere hunderttausend Wallboxen an das Netz angeschlossen, die inzwischen rund eine Million E-Autos mit Strom zu versorgen. Trotz dieser neuen Herausforderungen zählt Deutschland nach wie vor weltweit zu den Spitzenreitern in Sachen Versorgungssicherheit.

Kerstin Andreae
Die 55-jährige Volkswirtin aus dem Schwarzwald steht seit November 2019 dem Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) vor. Zuvor saß sie 17 Jahre lang für Bündnis90/Die Grünen im Bundestag, unter anderem als wirtschaftspolitische Sprecherin und stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Foto: Thomas Imo Photothek/BDEW

Mit Blick auf den Erneuerbaren-Ausbau und die Verkehrs- und Wärmewende entsteht für die Energienetze nun eine neue Dynamik: Die Erneuerbare Energien sollen von heute knapp 50 Prozent innerhalb von nur sieben Jahren 80 Prozent unserer Stromversorgung gewährleisten. Bis 2030 sollen 15 Millionen E-Autos auf den deutschen Straßen fahren, und in den Häusern werden zunehmend Wärmepumpen eingebaut.

Das heißt: Innerhalb weniger Jahre werden die Netze erheblich mehr Windkraft und Photovoltaik aufnehmen und erheblich mehr neue Verbrauchseinrichtungen wie zum Beispiel E-Autos oder Wärmepumpen bedienen. Für die Netze bedeutet dies: Ausbau und Digitalisierung. Keine Frage, das ist eine Mammutaufgabe! Aber sie ist wichtig, denn das Stromnetz ist die Infrastruktur unserer modernen Industriegesellschaft. Und für viele Kundinnen und Kunden ermöglicht diese Weiterentwicklung, selbst über die eigene Wallbox oder die eigene Wärmepumpe aktiv an der Energiewende teilhaben zu können.

Lokale Hotspots mit vielen E-Autos

Bei sprunghaft steigender Anzahl von E-Autos und Wärmepumpen wird es zukünftig in einigen Straßenzügen zu lokalen Hot Spots im Netz kommen, in denen besonders viele neue Anlagen ans Netz angeschlossen werden müssen. Der Netzausbau wird nicht überall zeitgleich mit dem Anschlussbedarf mithalten können. Netzbetreiber können nicht im Voraus wissen, wer sich in ihrem Netzgebiet ein E-Auto kauft, wann in der Regel geladen wird oder wie viele Wärmepumpen zusätzlich im Quartier verbaut werden.

Gleichwohl ist ein unverzüglicher Anschluss und die Sicherung der Versorgungsqualität eine Kernverantwortung der Netzbetreiber. Diese sind sich ihrer Verantwortung bewusst und arbeiten mit großem Engagement und technischem Know-How für eine jederzeit zuverlässige Stromversorgung. Allerdings gilt es das an dieser Stelle, eine Lösung zu finden: Alle möglichst schnell in das Stromsystem integrieren, obwohl der dafür notwendige Netzausbau mehr Zeit in Anspruch nimmt.

„Das E-Auto kann für eine gewisse Zeit weniger schnell laden, es lädt aber weiterhin“

Hierfür hat die Bundesnetzagentur einen für alle Beteiligten sinnvollen Lösungsansatz vorgelegt: Damit es nicht punktuell zu Überlastungen des Netzes kommt, soll eine kurzzeitige Dimmung des Strombezugs möglich sein. Dabei ist die Grundvoraussetzung stets eine akute Gefährdung oder Störung der Netzsicherheit. Für die Haushalte heißt das: Das Auto würde in diesem Zeitabschnitt etwas langsamer geladen – für die Nutzerinnen und Nutzer nicht oder kaum spürbar. Im Gegenzug erhalten die Haushalte, die von dieser Regelung erfasst sind, einen finanziellen Ausgleich. Dieses Instrument wird in den nächsten Jahren für alle Beteiligten sehr hilfreich sein.

Der Ansatz der Bundesnetzagentur hat jedoch auch Fragen aufgeworfen. So besteht die Sorge, dass Verbraucher in bestimmten Zeiten nicht mit Strom versorgt werden. Um es klar zu sagen: Das ist ein Ammenmärchen.

Strom statt Gas oder Öl
Der Absatz elektrisch betriebener Wärmepumpen ist im vergangenen Jahr deutlich gestiegen, bei manchen Herstellern um über 50 Prozent. Ob die neue Heizung arbeitet, hängt in Zukunft auch von den Netzbetreibern ab. Foto: Stiebel Eltron

Dazu drei Punkte:

Erstens: Es geht um eine kurzfristige Dimmung des Strombezugs an einem definierten Punkt, z.B. der Wallbox.  Das E-Auto kann für eine gewisse Zeit weniger schnell laden, es lädt aber weiterhin. Der Haushalt selbst bleibt davon unberührt: Kühlschrank, Waschmaschine und Internet laufen weiter wie bisher. Damit wird die Stromversorgung – auch die der Nachbarn – jederzeit gewährleistet.

Nur Haushalte mit Wallbox oder Wärmepumpe betroffen

Zweitens: Die Regelung gilt nicht für alle Haushalte gleichermaßen. Sie ist lediglich auf die Haushalte beschränkt, die eine Wallbox oder eine Wärmepumpe installiert haben. Ähnliche Regelungen finden bereits heute erfolgreich Anwendung bei speziellen Wärmepumpentarifen.

Drittens: Nach wie vor ist die oberste Prämisse der Netzausbau. Die Möglichkeit zur kurzzeitigen Dimmung ist eine Ultima Ratio – Maßnahme, bis das Netz an den neuen Bedarf angepasst ist. Die punktuelle Steuerung ersetzt den Netzausbau nicht, sondern gewährleistet kurzfristig die Versorgungssicherheit. Niemand muss Sorge haben, dauerhaft gedimmt zu werden.

„Niemand muss Sorge haben, dauerhaft gedimmt zu werden.“

Richtig ist, dass es eine Weiterentwicklung geben wird, indem neue Produkte entstehen, z.B. neue variable Tarife, die einen Beitrag zur Ausbalancierung des Energiesystems leisten können. Um solche Produkte auch in den Haushalten anbieten zu können, müssen die Netze allerdings digitaler werden. Daran arbeiten wir Tag für Tag. Es geht um den Einsatz von intelligenten Messsystemen – Smart Metern – und von Steuerungstechnik bei den Kunden. Aber auch das Netz selbst muss mit zusätzlicher Steuer- und Messtechnik ausgestattet werden.

Digitalisierung braucht noch Zeit

Diese Digitalisierung braucht noch Zeit. Wettbewerbliche Beiträge zur Netzstabilität – etwa über § 14c Energiewirtschaftsgesetz – sind mit Blick auf Wallboxen und Wärmepumpen wichtige Entwicklungen aber heute technisch noch nicht umsetzbar. Es ist also eine Frage des Timings.

Hinzu kommt, dass allein mit wettbewerblichen Anreizen Netzsicherheit nicht garantiert werden kann. Parallel dazu werden der Netzausbau und eine Ultima-Ratio-Steuerung durch den Netzbetreiber die gewohnt hohe Versorgungssicherheit weiterhin gewährleisten.

Unsere Gesellschaft ist auf dem Weg in eine neue, klimaneutrale Welt, in der einiges anders geregelt sein wird, als wir es gewohnt sind. Es ist verständlich, dass dies auch Sorgen hervorruft.  Aber es gibt eine sehr verlässliche Konstante auf diesem Weg: Die Pflicht und den Antrieb der Netzbetreiber, alle Kundinnen und Kunden jederzeit sicher und zuverlässig mit Strom zu versorgen, bleiben gleich. Darauf können Sie sich verlassen. Auf dem vor uns liegenden Weg ist der Vorschlag der Bundesnetzagentur nicht Teil des Problems. Im Gegenteil: Er ist für alle Verbraucherinnen und Verbraucher ein bedeutender Schritt auf dem Weg zur Lösung.

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2 Kommentare

  1. Michael Konstanzer

    Ich lade als Rentner sowieso mein Auto nur mit 2 kW Leistung. Jede moderne Wallbox kann soweit und fix herunter gedimmt werden. Es genügt aber ein Schwachladekabel an einer verstärkten Schukodose mit FI Schutz davor. Wobei Dimmen eigentlich falsch ist. Denn Dimmen beinhaltet eine Phasen An-oder Abschnittssteuerung. Aber ich weis schon was gemeint ist. Übrigens ist das Schwachladen mit nur 2 kW für die Autobatterie am besten, sagen die Autohersteller. Für das Stromnetz ist das sowieso am besten.
    Für die Nicht Rentner dürfte es kein Problem sein in 95% aller Fälle über Nacht mit nur 11 kW in der Tiefgarage oder der eigenen garage zu laden. Und wenn dabei dann mal kurzzeitig für 10 Minuten mehrmals auf 2-3 kW heruntergestuft wird, ist das doch kein Problem. Die Batterie ist dann auf jeden Fall am nächsten Morgen wieder voll. Wenn dann noch ein am Tag mit der Sonne aufgeladener Stromspeicher die Nachladespitzen puffert, ist das in Zukunft gar kein Problem mehr für das Stromnetz und die E-Autofahrer.

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  2. Duesendaniel

    Und wieder so ein Schildbürger-Streich: Jeder Verbraucher darf Strom verschwenden ohne Sinn und Verstand, es sei denn, er hat eine Wallbox und/oder eine Wärmepumpe.
    Fernsehen und Computerspiele sind ja auch viel wichtiger als Heizen.
    Und was bitte soll „drei Stunden Ladezeit mit Strom für 50 Kilometer Reichweite“ bedeuten? Mit einer 22KW-Wallbox kann ich in 3 Stunden mehr als 300km laden und wenn das nicht reicht, fahre ich an eine HPC-Säule und lade da mit 135KW, denn das belastet das Netzt dann ja bekanntlich viel weniger. Haben sich die Verantwortlichen eigentlich jemals schon mit der Thematik beschäftigt, oder ist ihnen dieser Geniestreich morgens unter der Dusche eingefallen?

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