Ein Kollege aus Berlin hat sich gerade einen Tesla gegönnt. Ein Model 3 in der Ausführung Long Range, was für eine Reichweite von etwa 600 Kilometer gut sein soll, wenn man die Höchstgeschwindigkeit von 233 km/h möglichst einen theoretischen Wert sein lässt und die Motorkraft von knapp 200 Kilowatt (kW) nur ganz selten für Beschleunigungsrennen nutzt. Was er mit dem Kraftbolzen in der notorisch staugeplagten Bundeshauptstadt anfangen will, wird er selbst am besten wissen. Aber bloß kein Neid!

Mir haben in den vergangenen Wochen 110 kW Motorleistung und eine Reichweite von etwa 270 Kilometer (bei sommerlichen Temperaturen) voll und ganz gereicht, um mich stressfrei von daheim und über die Autobahn zum 82 Kilometer entfernten Arbeitsplatz und wieder zurück zu bewegen. Mit 120 km/h Höchstgeschwindigkeit und ohne Kräftemessen mit anderen Autofahrern an der Ampel. Das Auto meiner Wahl war ein Nissan Leaf, fast halb so teuer, aber zugegebenermaßen nicht ganz so cool wie der Tesla. Und mit einer Speicherkapazität von 40 Kilowattstunden (kWh) ist der Akku auch nicht so mächtig wie der des Model 3 (75 kWh). Dafür ist der in England produzierte Leaf deutlich besser verarbeitet: Da scheppert nichts. Und zum Öffner des Handschuhfach oder zum Einstellen der Außenspiegel muss man nicht erst ins Untermenü des Bordcomputers – das geht hier tatsächlich noch ganz konventionell über analoge Knöpfe und Schalter. Ja, es gibt in der Mittelkonsole des Leaf auch so etwas wie ein „Information Display“. Das hat aber nur das Format eines iPad-Mini. Vorteil: Die Augen des Fahrers bleiben auf die Straße gerichtet, werden nicht ständig abgelenkt durch Meldungen über eingehende E-Mails im Postfach.

Der Leaf der zweiten Generation ist derzeit noch Europas meist verkauftes in Elektroauto. Aber es ist trotz eines gefälligen Designs kein Auto, nach dem sich die Köpfe umdrehen. Zum Joker im famosen Elektroauto-Quartett von Electrify Baden-Württemberg, das gerade in zweiter Auflage erschienen ist, taugt der kompakte Stromer mit seinen Leistungsdaten auch nicht: Mit seinem 40 kWh-Akku muss er sich dort sogar dem Bakery Vehicle One (44 kW) geschlagen geben. Nissan hat deshalb reagiert und bietet den Leaf seit kurzem auch als e+-Version mit einem 62 kWh großen Akku an, der Reichweiten von bis zu 385 Kilometer ermöglichen soll.

Klein, aber fein
Nur 200 Kilometer Reichweite? Ja, warum denn nicht. Für Langstrecken gibt es bessere Verkehrsmittel als das Elektroauto.
© Copyright Honda

Aber mal ganz ehrlich: Braucht ein Elektroauto wirklich so große Energiereserven, um durch den Alltag zu kommen? Und macht ein solches Wettrüsten ökologisch Sinn?

Nach Studien des ADAC legen die Menschen in Deutschland mit dem Auto täglich zwischen 14,7 und 18,3 Kilometer zurück – 83 Kilometer one way, wie sie der Autor täglich zurücklegt, um zum Schreibtisch zu gelangen, sind die absolute Ausnahme. 14 Prozent der Wege entfallen auf Fahrten zum Arbeitsplatz, neun Prozent auf Einkaufsfahrt und 40 Prozent auf den Freizeitverkehr. Da reicht es völlig, einmal in der Woche das Auto an eine Ladesäule zu fahren, wenn man nicht jeden Abend an der Haushaltssteckdose in der Garage einige Kilowatt nachschießt. Zudem lassen immer mehr zukunftsorientierte Unternehmen Ladestationen auf ihren Parkplätzen oder in ihren Tiefgaragen installieren, wo die Mitarbeiter ihre Elektroautos untertags laden können – kostenlos und steuerfrei.

Strecken von 500 Kilometern legen Privatfahrer nur ein, zweimal im Jahr mit dem Auto zurück. Und wenn sich Fahrten einmal so lange hinziehen, kann eine Pause zwischendurch von 20 oder 30 Minuten Länge nicht schaden. Warum soll ich dann permanent einen tonnenschweren Akku durch die Gegend schleppen? Fragen sollte man sich ohnehin, ob für Strecken von der Länge das Auto das perfekte Reisemittel ist.

200 Kilometer reichen völlig

Honda macht deshalb nicht mit beim Wettrüsten: Der neue Honda e, der im März kommenden Jahres auf den Markt kommt, begnügt sich wie der Leaf mit 110 kW Motorleistung. Und an Bord des Honda e ist ein Stromspeicher mit sogar nur 36 kWh Kapazität – für 200 Kilometer Reichweite. Das reicht völlig, sagen die Japaner. Elektromobile, so ihre Philosophie, machen in der Stadt am ehesten Sinn – dort, wo die Umweltbelastungen am höchsten sind. Bei Überlandfahrten sei es nicht verwerflich, einen modernen Verbrennungsmotor anzuwerfen – der Hybridantrieb sei dafür perfekt. Die aktuelle Entwicklung am Markt sei kontraproduktiv, kritisieren die Honda-Experten: Die rein batterieelektrischen Autos würden immer größer, stärker und schwerer – und aggressiver im Auftritt. Und im Endeffekt kommen sie aufgrund des hohen Eigengewichts auch nicht viel weiter.

Schöner Wohnen
Probesitzen im Honda e: Holzfurniere und Stoffe aus der Möbelindustrie sollen für eine Wohlfühlatmosphäre sorgen.

Der Honda E ist deshalb von Anfang an als reines Stadtauto konzipiert, mit einem freundlichen, kommunikativen Exterieur und einem gemütlichen Innenraum mit Stoffen aus dem Möbelbau und einer sofaähnlichen Rücksitzbank. Statt mit Kraft und Ausdauer punktet er mit pfiffigen Details und smarten Lösungen sowie einem Wendekreis von gerade mal 8,6 Metern. Mit Kamera-Spiegeln und Leuchtspots am Dachhimmel, mit allerlei Assistenzsystemen und einer 230-Volt-Steckdose, an der man bei einem Blackout in der City über die Autobatterie beispielsweise einen Kühlschrank betreiben könnte. Es ist alles andere als ein Verzichtsmobil und auch kein Billigauto. Der Verkaufspreis in Deutschland steht zwar noch nicht fest, aber die Rede ist von einem Einstiegspreis von 32.000 Euro.

Dafür gibt es dann unter der Fronthaube immerhin einen Schnellladeanschluss mit CCS-Combostecker, über die der Honda e bis zu 80 kW Gleichstrom in der Stunde aufnehmen kann.

Laden mit angezogener Strombremse

So weit ist der Nissan Leaf noch nicht. Hier setzt man aktuell auf den CHAdeMO-Stecker, der immerhin bidirektionales Laden erlaubt: Bei jenem Blackout könnte er Strom aus dem Bordakku ohne Umwege direkt ins Hausnetz einspeisen. Gleichstrom nimmt er bis zu 50 kW in der Stunde auf. Das ist weniger ein Problem als die Tatsache, dass die Ladegeschwindigkeit nach dem ersten Ladevorgang zum Schutz des ungekühlten Akkus deutlich abnimmt: Auf Langstreckenfahrten, so auch unsere Erfahrung, nimmt die zweite Ladepause bei einem leeren Akku statt 30 Minuten fast eine Stunde in Anspruch. Als Reisemobil ist der Leaf 40 somit aktuell nur eingeschränkt zu empfehlen. Doch schon bald, verrät ein Nissan-Ingenieur an einer Ionity-Ladesäule (wo er gerade ein Testauto vom Typ Tesla Model 3 auflud, wird es den Leaf auch mit 100 kW Ladeleistung geben und auf Wunsch auch mit einer Schnittstelle für den CCS-Combostecker. Wann genau, wollte er allerdings nicht sagen.

Klappe auf
Der Nissan Leaf lädt Gleichstrom über den CHAdeMO-Anschluss mit bis zu 50 Kilowatt pro Stunde. Zum Schutz der Batterie wird die Ladeleistung bei häufiger Nutzung einer Schnellladesäule jedoch gedrosselt.
© Copyright Nissan

Nur: Macht es Sinn, mit einem Elektroauto von Köln nach Stuttgart zu fahren wenn parallel zur Autobahn der ICE der Deutschen Bahn mit 260 Sachen an einem vorbeizischt?

Womit wir wieder bei der Ausgangsthese wären: Artgerecht und umweltverträglich wird ein Elektroauto vor allem in der Stadt und im Regionalverkehr bewegt. Und dafür sind Stromer vom Schlag eines Nissan Leaf, eines Honda e, eines VW e-Up oder demnächst auch der Opel e-Corsa perfekt. Reichweite ist eben nicht alles. Trotzdem, Peter: Viel Spaß mit dem neuen Tesla.

Perfekte Kombination
Nissan Leaf im Windpark Hartenfelser Kopf im Westerwald. Die Windräder produzieren jede Menge Ökostrom. Ladestationen gibt es hier aber leider nicht.
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