Bei manchen Automobilherstellern wurden die Aerodynamiker gerne als „Rosentechniker“ belächelt. Statt immer mehr PS-Power aus Motoren herauszukitzeln, kümmern sich die Windkanalspezialisten um das Durchschneiden der Luft. Mit den Stromern ändern sich auch die Prioritäten: Im WLTC-Zyklus macht der Luftwiderstand etwa 40 Prozent des Verbrauchs aus. Und 34 Prozent der Energie der Batterie werden dazu verwendet, um den Luftwiderstand zu überwinden. Beim Verbrennungsmotor sind es dagegen nur zehn Prozent.
Der Elektroantrieb ist sehr effizient, daher wird ein größerer Anteil für die Fortbewegung aufgewendet. Daran erkennt man, dass bei der Elektromobilität die Karten neu gemischt werden. Hinter der Tüftelei im Windkanal stehen auch knallharte wirtschaftliche Interessen. „Aerodynamik ist günstiger als eine große Batterie“, stellt Moni Islam, Leiter der Aerodynamik- und Aeroakustikentwicklung bei Audi, klar.
0,21 sind eine Ansage
Zusammen mit seinen Kollegen hat er dem neuen Audi A6 e-tron einen guten cW-Wert von 0,21 verschafft und den Business-Stromer damit zum „Reichweiten-Helden“ gemacht: Mit einer Akkuladung kommt die Limousine angeblich über 750 Kilometer weit. Zum Vergleich: Das Fahrzeug mit dem derzeit weltbesten Luftwiderstandsbeiwert, das Mercedes-Konzeptauto EQXX, glänzt mit einem cw-Wert von 0,17. Und der Lucid Air aus Arizona kommt als Serienfahrzeug auf einen cW-Wert von 0,197.

Viel Mühe haben sich die Aerodynamiker und Designer beim neuen Audi A6 e-tron gegeben, um den Luftwiderstandsbeiwert des Elektroautos so klein wie möglich zu machen, um dessen Reichweite zu optimieren.
Eigentlich sollte man meinen, dass ein Elektroauto von Natur aus auf Windschlüpfrigkeit ausgelegt wäre: Während bei einem Fahrzeug mit Verbrennungsmotor der Unterboden aufgrund des Triebwerks, der Auspuffanlage und unter Umständen auch einer Kardanwelle recht zerklüftet ist, hat ein BEV aufgrund der Batterie, die Teil der Karosseriestruktur ist, in der Regel einen glatten Unterboden. Dass dieser Umstand einem niedrigen cW-Wert zuträglich ist, liegt auf der Hand.
Aufwendige Kühlmaßnahmen
Doch ganz so einfach ist es nicht. Ein Elektroauto hat im Windkanal mit anderen Herausforderungen zu kämpfen. „BEVs haben größere Reifen, um das Gewicht zu tragen. Das ist für uns Aerodynamiker ein wichtiges Thema“, erklärt Audi-Experte Islam. Dazu kommen die aufwendigen Kühlmaßnahmen, die viel anspruchsvoller sind als beim Verbrenner. Aufgrund des höheren Gewichts des Elektroautos müssen die Bremsen mehr Arbeit verrichten und entsprechend gekühlt werden. Um diese komplexe Aufgabe zu lösen, setzen die Windkünstler beim A6 e-tron auf steuerbare Kühlsysteme, wie zum Beispiel sich öffnende und schließende Lamellen in der Frontschürze.

Der glatte Unterboden eines Elektroautos ist prinzipiell ein konstruktiver Vorteil. Trotzdem sind eine Vielzahl von Maßnahmen erforderlich, um Aerodynamik mit dem Thermomanagement in Einklang zu bringen. Grafik: Audi
Eine effiziente Kühlung ermöglicht dann auch die Verwendung von aerodynamischen Felgen, die meistens geschlossener sind als die bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Die Software, die das Thermomanagement für die Kühlung der Bremsen und des Antriebs steuert, ist sehr komplex, da sie in allen Betriebspunkten eine ausreichende Kühlung gewährleisten muss.
SUVs leisten dem Wind mehr Widerstand
Nur wenn das der Fall ist, können auch die aerodynamischen Air Curtains, die die Luft „sauber“ um die Vorderräder leiten, voll ausgenutzt werden. „Das Thermomanagement und die Aerodynamik müssen schon bei der Entwicklung einer Plattform berücksichtigt werden“; sagt Spezialist Islam. Andererseits lässt ein effizientes Thermomanagement den Designern mehr Spielraum.

Moni Islam ist Leiter der Aerodynamik- und Aeroakustikentwicklung bei Audi in Ingolstadt. Fotos: Audi
Bei den beliebten SUVs kommen noch weitere Faktoren hinzu. Jeder Zentimeter, den das Auto höher steht, verringert die Reichweite um etwa drei Kilometer. „Und das ist nur die Trimmlage“, mahnt Islam – Bewegungen der Karosserie auf der Fahrbahn sind da noch nicht berücksichtigt.
Digitale Außenspiegel bringen sieben Kilometer mehr
Hinzu kommen noch andere aerodynamisch eher ungünstige Faktoren. Zum Beispiel die noch größeren Räder mit Breitreifen, die deshalb meist ausgestellten Radhäuser – und vor allem das kastenförmige Design der Stelzen-Stromer. Schon beim bloßen Hinsehen erkennt man, dass die Silhouette der SUVs sich weit von der idealen Stromlinienform eines Fisches entfernt. Umso wichtiger ist es, dass die Aerodynamiker hier alle Register ziehen, um den cw-Wert unter die magische Grenze von 0,30 zu drücken. Der Porsche Macan E zum Beispiel kam so auf einen cw-Wert von 0,25.

Die digitalen Außenspiegel des Audi A6 e-tron sorgen dafür, dass das Elektroauto sieben Kilometer an Reichweite gewinnt. Der Stromverbrauch der zugehörigen Displays im Innenraum des Wagens ist dabei bereits berücksichtigt.
Aber auch um den cw-Wert von 0,21 beim Audi A6 e-tron Sportback zu erreichen, waren zahlreiche Versuche im Windkanal und etliche Kniffe der Aerodynamiker erforderlich. Die digitalen Außenspiegel etwa bringen sieben Kilometer Reichweite netto (der Stromverbrauch der Displays ist berücksichtigt). An diesem Teil entzündete sich dann allerdings auch ein Disput zwischen den Aerodynamikern und Audi-Designern. Die optimale Lösung wäre, den Kameraspiegel nach hinten abzusenken. Besonders ästhetisch wäre das allerdings nicht. Der Kompromiss besteht in einer kleinen Stufe an der Unterseite der Kamera-Verkleidung.
Neuralgischer Punkt am Heck
Dass die Windkanalspezialisten nicht immer ihren Willen bekommen, sieht man an dem kleinen Heckspoiler des S6 e-tron Sportback, der für den nötigen Abtrieb sorgt, ohne den cW-Wert maßgeblich zu verschlechtern. Das Heck ist ohnehin der neuralgische Punkt eines jeden Autos. „Der Schlüssel zur Aerodynamik ist der Nachlauf“, sagt Islam. Je kompakter beziehungsweiser schmaler die Luftströme von oben und unten zusammenlaufen, desto windschlüpfriger ist das Vehikel. Im direkten Vergleich zwischen dem A6 e-tron Sportback mit seiner nach hinten stark abfallenden Dachlinie und der Kombiversion A6 e-tron Avant erkennt man sehr schnell, wie sich die Luftströmungslinien beziehungsweise deren Verlauf unterscheiden.
Sensibles Aerosystem
Die Klaviatur, auf der die Aerodynamiker spielen, ist umfangreich. Was die Aufgabe so anspruchsvoll macht, ist die Tatsache, dass sich jede Maßnahme auf andere Bereiche des Autos auswirkt. Das gilt vor allem für den Unterboden, der zunehmend zur wichtigen Spielwiese der Aerodynamiker wird und mit spannenden aerodynamischen Kniffen gespickt ist. Vor den Vorderrädern befindet sich ein Anstromkörper, der das Rad quasi in die Länge zieht, indem er den Luftstrom so beruhigt, dass die Pneus geschmeidiger umströmt werden. Das setzt sich am Heck fort. Vor den Hinterrädern befindet sich ebenfalls ein kleiner Spoiler und beim Sportback beruhigt ein vier Millimeter hoher Gurney-Flap die Luft vor der Hinterachse.

Am Heck des Fahrzeugs laufen alle Luftströme zusammen. Hier zeigt sich, ob die Aerodynamiker eine gute Arbeit gemacht haben, erklärt Moni Islam unserem Autor.
Beim Avant fehlt dieses Bauteil, weil es die Anströmung des kleinen Spoilers am Ende des Diffusors stören würde. Dieser Diffusorspoiler ist aber wichtig, da er dafür sorgt, dass die Luftströmung zu der des Daches passt. Wie sensibel das Aero-System ist und wie groß der Einfluss der einzelnen Teile ist, zeigt sich daran, dass beim Avant der vordere Anstromkörper anders geformt ist als beim Sportback.
Schneeklumpen in den Spoilern
Ein wichtiger Aspekt, den die Windmeister ebenfalls auf der Rechnung haben müssen, ist die Akustik. Da das Geräusch des Verbrennungsmotors wegfällt, fallen die Geräusche des Windes deutlich mehr auf. Ein Elektroauto sollte aber möglichst leise sein, auch und vor allem im Innenraum.
Natürlich bringen Computersimulationen viel, aber das Tüfteln im Windkanal ist nach wie vor extrem wichtig. Schließlich geht es um Millimeter, und jedes zusätzliche Teil am Auto macht die Produktion komplexer und teurer. Wie wichtig die Praxistests nach wie vor sind, zeigt die Tatsache, dass die Aerodynamiker die Größe einiger Anbauteile nach den Wintertests noch einmal ändern mussten: Bei den Probefahrten hatten sich Schneeklumpen in den Spoilern verfangen.