Der Traum vieler Fahrer von Elektroautos klingt simpel: den Akku ihres Stromer so schnell zu laden, wie sie bisher ihren Verbrenner an der Zapfsäule getankt haben. Keine langen Ladepausen mehr, keine Wartezeiten an Schnellladesäulen – stattdessen in wenigen Minuten 80 oder gar 100 Prozent Batteriestand. Was lange nach Zukunftsmusik klang, könnte durch technische Fortschritte bald Realität werden. Doch wie nah ist man dieser Vision wirklich?
Von Minuten zu Sekunden – der Wettlauf um die Ladezeit
Die Ladezeiten von Elektroautos haben sich in den vergangenen Jahren drastisch verkürzt. Moderne E-Autos wie der Lotus Emeya (402 kW), der BMW iX3 der „Neuen Klasse“ (400 kW), der neue Porsche Cayenne (400 kW) sowie der Audi e-tron GT und der Porsche Taycan (320 kW) erreichen bereits heute beeindruckende Ladeleistungen. Mit 800-Volt-Technologie lassen sich große Energiemengen in kurzer Zeit übertragen – genug, um den Akku in rund 15 Minuten auf einen Ladestand von 80 Prozent zu bringen. In China geht die Entwicklung sogar noch weiter: Der Zeekr X7 lädt mit bis zu 480 kW, der Xpeng G9 schafft bis zu 525 kW. Und mit BYD drängt nun ein Hersteller auf den Markt, der das Schnellladen in völlig neue Dimensionen führen will.
BYD und das Megawatt-Zeitalter
Im Mai präsentierte BYD das Modell Han L mit der Dual-Gun-Technologie, die Ladeleistungen von bis zu 1.360 kW (1,3 Megawatt) ermöglichen sollen. Grundlage ist die eigens entwickelte Super-e-Plattform, die mit einer Systemspannung von 1.000 Volt arbeitet – und zwei Ladeanschlüsse am Fahrzeug sowie spezielle Ladesäulen benötigt. Theoretisch lassen sich damit innerhalb von fünf Minuten rund 400 Kilometer Reichweite nachladen – Werte, die bis vor kurzem als utopisch galten.

BYD präsentierte im Frühjahr die „Dual Gun“-Ladetechnologie, die Ladeleistungen von bis zu 1360 kW darstellen kann. Das Elektroauto wird dazu über zwei Ladeports und mit einer speziellen Ladesäule mit Strom aus einem Batteriespeicher versorgt. Foto: BYD
Kern dieser Entwicklung ist die weiterentwickelte Blade Battery, die auf eine extrem stabile Zellchemie setzt. Sie verkraftet Ladeströme mit einer C-Rate von bis zu 10C. Zum Vergleich: Ein Tesla Model 3 erreicht rund 1,2C, der Zeekr X7 etwa 5,5C. Die C-Rate beschreibt, wie schnell ein Akku im Verhältnis zu seiner Gesamtkapazität geladen oder entladen werden kann. Eine 10C-fähige Batterie kann in nur einem Zehntel der Zeit – also in rund sechs Minuten – vollständig geladen werden.
Warum das Laden so schnell wird
Die hohe Ladegeschwindigkeit erreicht BYD durch mehrere technische Kniffe: Dazu zählt eine optimierte Zellchemie mit niedrigem Innenwiderstand, die die Wärmeentwicklung reduziert. Hinzu kommen Siliziumkarbid-Halbleiter (SiC) in der Leistungselektronik, die besonders effizient mit hohen Spannungen und Strömen umgehen. Ein aktives Flüssigkühlsystem temperiert permanent Batterie, Kabel und Ladeelektronik für einen schnellen und kräftigen Energiedurchfluss. Und ein hochpräzises Batteriemanagementsystem (BMS) überwacht Temperatur, Spannung und Stromstärke jeder Zelle in Echtzeit. Dann können kurzzeitig Ströme von bis zu 1.000 Ampere durch die Leitungen und Akkus fließen. Mit der Dual-Gun-Technologie lässt sich der Akku mit zwei Ladekabel gleichzeitig laden.
Mercedes-Benz testet die Grenzen
Auch in Europa wird an der Ladegeschwindigkeit der Zukunft gearbeitet. Mercedes-Benz zeigte kürzlich ein Experimental-Lade-Fahrzeug (ELF) auf Basis der V-Klasse, das als rollendes Versuchslabor dient. Der Prototyp kann nach Aussagen der Ingenieure mit bis zu 1 Megawatt Ladeleistung Gleichstrom aufnehmen – Werte, die bislang nur bei Elektro-Lkw oder Rennfahrzeugen der Formel E denkbar waren.

Mit dem „Experimental-Lade-Fahrzeug“ testet Mercedes-Benz neue Ladetechnologien. Das Megawatt-Chargen ebenso wie das induktive Laden der Batterie sowie das bidirektionale Laden – das Wiedereinspeisen des Stromas aus dem Akku ins Netz. Fotos: Mercedes
Das Fahrzeug verfügt für das Schnellladen über eine spezielle, flüssiggekühlte Batterie mit rund 100 kWh Kapazität. Entscheidend ist dabei weniger die Größe des Akkus als die Zellchemie und das Wärmemanagement. Infos zur Chemie gab Mercedes allerdings nicht preis. In Tests erzielte der Versuchsträger Ladeleistungen von 900 kW über den CCS-Standard, genug, um die Batterie in nur zehn Minuten vollständig zu laden.
Megawatt-Charging auch für Pkw?
Beim Rekordfahrzeug Concept AMG GT XX erreichte Mercedes vor einigen Wochen sogar kurzzeitig eine Spitzenleistung von 1.041 kW an einer modifizierten MCS-Ladesäule (Megawatt Charging System). Das MCS ist ein internationaler Ladestandard, der entwickelt wurde, um extrem hohe Ladeleistungen bis zu 3,75 Megawatt zu ermöglichen, vor allem für elektrische Lkw, Busse und perspektivisch für große Pkw.

Mit dem Concept AMG GT XX erreichte Mercedes bei einem Rekordversuch in Nardo kurzzeitig eine Spitzenleistung von 1.041 kW an einer modifizierten MCS-Ladesäule. Das Wiederaufladen des Akkus dauerte so nur wenige Minuten.
Ziel des MCS ist es, das Schnellladen von schweren Nutzfahrzeugen zu standardisieren, die große Batterien (500-1.000 kWh Kapazität) in kurzer Zeit laden müssen. Ein MCS-System arbeitet mit bis zu 1.250 Volt und bis zu 3.000 Ampere und kommt auf eine theoretisch maximale Ladeleistung von 3,75 Megawatt. Zum Vergleich: Ein typischer Pkw-Lader mit CCS lädt mit 400 bis 800 Volt und 500 Ampere, also maximal 400 kW. Im AMG nutzte Mercedes ein angepasstes CCS-Kabel, um die höhere Kühlleistung und damit auch die Megawatt-Ladefähigkeit zu ermöglichen. Denn ähnlich wie die Akkus benötigen die Kabel entweder eine Kühlung oder einen großen Querschnitt.
Infrastruktur als Flaschenhals
So beeindruckend die Fortschritte bei Fahrzeugen und Akkus auch sind, die Ladeinfrastruktur ist der entscheidende Engpass. In Deutschland existieren aktuell nur drei MCS-Ladestationen, zwei davon nicht öffentlich zugänglich. Die meisten Pkw-Schnellladesäulen bieten heute zwischen 150 kW und 400 kW. Spitzenmodelle wie die ABB Terra 360 oder die Aral Pulse Ultra Fast Charger erreichen maximal 400 kW. Für Pkw mit 1.000 kW Ladeleistung existiert bislang schlicht keine kompatible Infrastruktur. In China ist man weiter: Dort baut BYD derzeit ein Netz an 1.000-Volt-Ladestationen, vor kurzem wurde dort eine Ladesäule mit einer Leistung von 1.360 kW vorgestellt.
Grenzen des Machbaren – Lebensdauer, Kosten und Netzbelastung
Neben der Infrastruktur stellen auch physikalische und wirtschaftliche Faktoren große Hürden dar. Da ist zum einen die Batterielebensdauer: Hohe Ladeleistungen beschleunigen die Alterung der Zellen. Selbst bei optimalem Temperaturmanagement nehmen Kapazität und Effizienz langfristig schneller ab. Dazu erfordern Systeme für 1.000 kW aufwendige Kühlung, massive Kabel und teure Halbleiter.

Blick in den Innenraum des Mercedes ELF: Megawatt-Ladesysteme erfordern aufwendige Kühlung, massive Kabel und teure Halbleiter.
Außerdem muss der Strom irgendwo sicher herkommen. Eine Megawatt-Ladung entspricht dem Stromverbrauch von über 1.000 Haushalten für eine Stunde. Die Stromnetze vieler Länder sind für solche Lastspitzen nicht ausgelegt. Mercedes sieht daher trotz der Versuche keinen unmittelbaren Bedarf: Megawattladen sei für Pkw derzeit überdimensioniert, Ladeleistungen bis 600 kW hingegen realistisch für die nächste Fahrzeuggeneration.
Das Schnellladen der Zukunft
Der Trend geht weiter in Richtung höherer Ladegeschwindigkeiten im Bereich von 400 bis 600 kW, aber der Sprung ins Megawatt-Zeitalter wird Zeit brauchen. Fortschritte in der Batteriezellchemie – etwa durch Festkörper-Akkus – könnten in Zukunft noch höhere C-Raten ermöglichen, ohne die Lebensdauer zu beeinträchtigen. Parallel dazu arbeiten Energieversorger an intelligenten Netzen und lokalen Pufferspeichern, die Lastspitzen abfedern sollen. Wenn in wenigen Jahren Ladezeiten von unter zehn Minuten zur Regel werden, ist das alte Versprechen vom „Laden wie Tanken“ keine Utopie mehr.