Irgendeine Halle auf dem Werksgelände in Ingolstadt? Das geht natürlich nicht. Um seine neue Elektro-Strategie vorzustellen, hat Audi das Kraftwerk Avalon im Münchner Nordosten angemietet. In dem charmanten Backsteinbau haben die Isar-Amperwerke zwischen 1899 und 1972 elektrischen Strom erzeugt. Die heutigen Besitzer bauten die ehemalige Dampfzentrale zu einer Eventlocation um und tauften sie nach einer sagenhaften Insel, auf der sich der Sagenkönig Artus nach einer Schlacht von seinen schweren Verletzungen kuriert wurde. Ob so gewollt oder nicht – da drängen sich unwillkürlich einige Parallelen auf: Auch Audi sucht nach dem Dieselskandal Heilung und hat sich offenkundig für eine Elektro- oder Reizstrom-Therapie entschieden.

Um die Umwelt-Bilanz wieder aufzupolieren und Strafzahlungen wegen überhöhter CO2-Flottenwerte zu verhindern, will der Autobauer in den kommenden sechs Jahren 30 elektrifizierte Modelle auf den Markt bringen, 20 davon mit Batterie- und Brennstoffzellenantrieb, zehn weitere mit elektrischen Hilfsantrieben, als Hybridautos und Plug-in-Hybride. Die CO2-Emissionen der Fahrzeugflotte sollen auf diese Weise bis 2025 um 30 Prozent gegenüber den Referenzwerten von 2015 verringern. „Audi ist auf dem Weg in das elektrische Zeitalter“, versicherte Ulrich Widmann, Leiter der technischen Entwicklung, beim „Audi TechDay Insight E-Mobility“. Das gelte nicht nur für die Fahrzeugpalette, sondern für alle Geschäftsprozesse, für die Fertigung ebenso wie den Einkauf und den Vertrieb. Widmann: „Wir haben da einen glasklaren Plan.“

Alles elektrisch
Gleich vier Plattformen setzt Audi ein, um seine Modellpalette zu elektrifizieren. Nur der Baukasten des e-tron ist eine Eigenentwicklung. Die anderen Plattformen entstanden als Gemeinschaftsleistung.
© Audi

Bekannt und sichtbar war davon nur ein kleiner Teil. Der e-tron beispielsweise, der nach einigen Verzögerungen im Frühsommer dieses Jahres auf den Markt kam – ein tonnenschwerer SUV mit vollelektrischem Antrieb, den Audi kurzerhand in Eigenregie und auf der Basis des Modularen Längsbaukastens (MLB) für Verbrennungsmotoren entwickelt hatte, um Tesla möglichst schnell Paroli bieten zu können: „Time to market“, also die schnelle Markteinführung, sei bei dem Projekt wichtiger gewesen als die Wirtschaftlichkeit“, gibt Widmann unumwunden zu: Da die Plattform allein für den e-tron genutzt wird und das Schwestermodell e-tron Sportback, das noch vor Jahresende in den Handel kommen soll, sind mit der Baureihe weder große Synergien noch große Gewinne zu erwarten. „Jetzt geht es darum, möglichst schnell den Turnaround zu schaffen bei Ökonomie und Ökologie“, weiß der Audi-Ingenieur.

Elektrischer Gran Tourismo

Dabei helfen sollen gleich drei weitere Plattformen, die im Volkswagen-Konzernverbund entwickelt wurden. Die eine mit dem Werkscode J1 kommt von Porsche und wird dort bereits im neuen Taycan eingesetzt. Audi wird die „Performance-Plattform“ als Basis für den e-tron GT nutzen – wie das Porsche-Schwestermodell eine viertürige und allradgetriebene Sportlimousine mit – dank 93,4 Kilowattstunden (kWh) großer Lithium-Ionen-Batterie – über 400 Kilometer Reichweite und einer Systemleistung von 434 Kilowatt, respektive 590 PS. Der Porsche bringt in der Topversionen Taycan Turbo S und Turbo zwar noch ein wenig mehr Wumms auf die Straße. Doch ansonsten werden sich Porsche Taycan und Audi e-tron GT nur über Design, Bedienkonzept und Preis differenzieren. Produziert wird der Audi e-tron GT ab Ende 2020 im Werk Neckarsulm bei Audi Sport – dort, wo heute noch der Sportwagen Audi R8 montiert wird.

Aus ID.3 wird Q4 e-tron
Audis kompakter SUV Q4 e-tron nutzt wie der VW ID.3 den neuen modularen Elektrobaukasten.
© Audi

Die andere, wesentlich volumenträchtigere Plattform für künftige Audi-Stromer steuert die Konzernzentrale in Wolfsburg bei: Die Plattform des Modularen Elektrifizierungsbaukastens (MEB) nutzt Volkswagen für den neuen Elektro-Kompaktwagen ID.3 , der im kommenden Sommer auf den Markt kommt. Auch Skoda sowie Seat und sogar Ford werden die Technologie nutzen. Audi wird den MEB zunächst für den Q4 e-tron nutzen, einen kompakten E-SUV, der wahlweise mit Heck- und Allradantrieb angeboten wird. Weitere Modellvarianten, deutet Chefdesigner Marc Lichte im Gespräch mit EDISON an, sind bereits in Vorbereitung. In Fachmedien wird bereits über einen Audi TT e-tron spekuliert, einen zweisitzigen Stromer als Coupe und Cabriolet. Auch eine Limousine sei leicht darstellbar oder ein Kompaktwagen als Nachfolger des vorzeitig aussortierten Leichtbau-Wunders A2. Das Showcar AI:ME zeigte auf, wohin die Richtung gehen könnte.

E-Limousinen als neues Premium

Der MEB ist so etwas wie die Allzweckwaffe des Volkswagen-Konzerns auf dem Weg ins Zeitalter der Elektromobilität. Deutlich exklusiver und auf kleinere Stückzahlen ausgelegt ist da Plattform Nummer drei, die „Premium Plattform Electric (PPE), die Audi und Porsche gemeinsam und in enger Abstimmung für Fahrzeuge der Ober- und Luxusklasse entwickelt haben. Auch Bentley könnte davon eines Tages profitieren. Audi entwickelt auch hier eine Reihe von Modellen für die Hightech-Architektur, bei der ein 800 Volt-Schnellladesystem Standard, Allradlenkung und -antrieb problemlos darstellbar sind.

Taycans Bruder
Mit dem e-tron GT bietet Audi ab kommendem Jahr eine Alternative zum Porsche Taycan. Mit dem gleichen Antriebsstrang, aber etwas weniger Leistung. Und zu einem günstigeren Preis.
© Audi

Ein Q7 e-tron wäre auf das Basis leicht zu realisieren, auch ein anderes schwergewichtiges E-Crossover. Schreit der Weltmarkt nicht gerade nach solchen Straßenpanzern? Doch – oh Wunder – der erste Audi auf der PPE-Plattform wird wohl eine Limousine. Lichte zog im Avalon die Decke von einem herrlich anzusehenden Prototypen in der Größe eines Audi A5, mit ausgeprägten Radhäusern, starker Taillierung und tiefer Schulterlinie. Ein weiterer Tesla-Fighter, der auf das Model 3 angesetzt werden soll? Lichte schmunzelt und gibt zu Protokoll: „Das neue Premium werden knackig-flache Limousinen.“

Familienzuwachs
Im Sommer 2020 kriegt der nächtige Audi e-tron mit dem Q4 e-tron (rechts) so etwas wie ein kleines Brüderchen. Vollelektrisch, mit Allrad- oder Heckantrieb.
© Audi

Aber bis dahin ist noch ein weiter Weg. Der Protoyp, der nach der Präsentation schnell wieder verhüllt wurde, wird frühestens in zwei Jahren in Produktion gehen. Und in der Zwischenzeit? Setzt die Elektrotherapie von Audi erst einmal auf Schwachstrom. Mediziner kurieren damit Gelenkschmerzen und Durchblutungsstörungen. Audi behandelt damit eher chronische Schweißausbrüche benzingetriebener Repräsentationsfahrzeuge vom Kaliber eines A7, Q7 oder A8. Die Kombination eines starken Benziners mit einem kleinen (14,1 bzw. 17,3 kWh Strom fassenden) Lithium-Ionen-Akku und einem in das Getriebe integrierten Elektromotor lässt zwar den Fahrzeugpreis und auch das Gewicht des Fahrzeugs steigen, aber den Energieverbrauch und damit die Umweltbelastung sinken.

Bis zu 41 Kilometer können die neuen Plug-in-Hybride vollelektrisch rollen, danach müssen sie wieder an die Steckdose. Wiederaufladen allein mit Motorkraft geht nicht. Und wenn man das Auto nicht zu sehr fordert und die Intelligenz des so genannten Prädiktiven Effiizenzassisten (PEA) nutzt, der die Antriebs- und Bremsenergie des Fahrzeugs mit Blick auf Topografie, Verkehrslage und Straßenschilder automatisch steuert, kommt selbst in einem schwergewichtigen Q7 mit weniger als vier Litern Sprit und zusätzlich 14,6 Kilowatt Strom 100 Kilometer weit.

Und das Schöne daran ist: Diese Form der Elektromobilität ist ab sofort verfügbar.

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