Wir dachten ja immer, bei BMW drehe sich alles um die Freude am – selber – fahren. Aber jetzt heißt es aus München, autonomes Fahren werde künftig „die individuelle und nachhaltige Mobilität entscheidend prägen“. Kollege Computer, gefüttert mit allem, was passieren kann, aufgerüstet mit oberschlauen Algorithmen künstlicher Intelligenz, werde bald alles besser können als wir. Ist ja klar, ein Roboauto kennt keine Schrecksekunde, keine blutdrucksteigende Aufregung über die Vorderleute, keinen Katerschädel und erst recht keinen gehirnvernebelnden Liebeskummer.

Das Ziel ist klar definiert: 2021 soll die Serienversion des Vision iNext, als erster BMW optional ein autonomes Level 3-System haben. Den haben die Bayern im Sommer 2018 erstmals präsentiert, beim Händler wird er wohl den schlichten Namen i5 tragen. Er soll laut BMW „dem Fahrer auf der Autobahn erlauben, bis maximal 130 km/h die Fahraufgabe über einen längeren Zeitraum an das Fahrzeug zu übergeben“. Knopfdruck genügt, ein blauer Lichtkreis am Lenkrad (eine erste, ziemlich coole Idee) signalisiert, das wir abgemeldet sind. Bei gelbem oder rotem Licht sind wir wieder gefragt.

Optional? Gut aufgepasst, dieser Autobahnpilot kostet dann natürlich extra. Ein Sümmchen im vierstelligen Euro-Bereich, haben wir gehört. Etwa wie eine feine Lederausstattung. Die Preisverhandlungen bei den ziemlich bekannten Komponenten-Partnern (Continental, Aptiv, Valeo, Magna) sollen längst abgeschlossen sein. Genau, mit dem autonomen Fahren kann man richtig Geld verdienen, Tesla macht dieses Geschäftsmodell mit relativ simpler Technik vor.

Die fünf Stufen des autonomen Fahrens

Stufe 1: Fahrassistenten

Der Fahrer lenkt, bremst und beschleunigt selbständig. Einfache Systeme wie Abstandshalter unterstützen ihn.

Stufe 2: Teilautomatisiertes Fahren

Das elektronische System übernimmt bestimmte Funktionen wie etwa das automatische Einparken oder das Spurhalten. Der Fahrer bleibt aber weiter in der Verantwortung, die Hände bleiben am Lenkrad.

Stufe 3: Hochautomatisiertes Fahren

Das Fahrzeug fährt weitgehend autonom, der Fahrer muss nicht mehr alles dauerhaft überwachen. Er darf die Hände vom Lenkrad nehmen, muss aber in der Lage sein, nach Vorwarnung die Kontrolle wieder zu übernehmen.

Stufe 4: Vollautomatisiertes Fahren

Der Fahrer kann noch übernehmen, ist aber nicht mehr erforderlich, um das Auto zu steuern. Elektronische Systeme können alle Verkehrssituationen automatisch bewältigen.

Stufe 5: Fahrerloses Fahren

Das Lenkrad entfällt, das Auto wird nur noch vom System gesteuert.

Drei Städte werden zum Testfeld für Level 4

Zeitgleich soll Ende 2021 eine Flotte von Testfahrzeugen den Betrieb aufnehmen, die in „definierten urbanen Umfeldern“, konkret in China, Amerika und Europa, die nächsthöhere Level 4-Funktion – Fahren völlig ohne Fahrereingriff – in großangelegten Versuchen erproben soll. Wo genau? Ist noch geheim, jeweils eine Stadt pro Kontinent soll Testfeld werden. Und nach Level 4 kommt Level 5, das uns auch mal ein Nickerchen erlauben soll. Das Ganze, so müssen Sie sich das vorstellen, wird am Ende ein elektronischer Modulbaukasten, bei dem wir (nach der Geldüberweisung) die jeweils nächsthöhere Autonom-Stufe easy per Update frei schalten können.

Bis dahin dauert es noch ein bisschen. Erst mal hat BMW heute sein neues Autonomous Driving Data Center in der Nähe von München eröffnet, das schon seit dem 27. Februar online ist. Und da dreht sich alles um die neue High Performance D3-Plattform, die laut BMW einen entscheidenden Meilenstein zum hoch- und vollautomatisierten Fahren markiere. So, und bei dieser schönen Gelegenheit konnte heute auch der neue Autonomes-Fahren-Chef der BMW Group besichtigt und gehört werden.

Alejandro Vukotich, 48, ein schlanker, ziemlich dynamischer Typ. Ingenieur der Elektrotechnik, am 1. Januar bei BMW gestartet. Moment mal, den Namen haben wir doch schon woanders gehört. Richtig, bei Audi. Und in Ingolstadt, wo er den teilautomatisierten Luxusliner A8 pushte, hatte er pikanterweise bis vor kurzem noch ziemlich exakt dieselbe Funktion.

Als Vielbeschäftigter und Vielfahrer ohne Chauffeur wünsche er sich nicht weniger als den „digitalen James“, hat er 2018 mal gesagt. „Ich möchte Freiheit hinterm Lenkrad, wenn es in Zukunft überhaupt noch ein Lenkrad gibt – arbeiten, entspannen, spielen, chatten.“ Und wenn er in die Stadt fahre, wolle er nicht ewig einen Parkplatz suchen. Nerviges Einparken? Das könne sein Auto ohne ihn machen. „Ich will von meinem Wagen nur noch abgeholt werden.“ Passt fast aufs Wort, so etwas haben wir auch schon bei BMW gehört.

Der Ex-Audi-Manager Vukotich will bei BMW eng mit Daimler kooperieren

Da kommt er jetzt gerade richtig, zumal es ja nun die aufsehenerregende Kooperation mit Daimler gibt. „Wir haben gemeinsam Großes vor“, sagt Vukotich, bleibt dann aber doch vorsichtig. „Wir prüfen gerade alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit“. Das solle dann schon im Sommer zu einer Vertragsunterzeichnung führen, verrät er. Die Chemie zwischen den beiden Premium-Konzernen scheint jedenfalls zu stimmen. „Wir haben viel Übereinstimmung beim Herangehen ans autonome Fahren“, lässt Vukotich kurz durchblicken.

Jetzt aber zum neuen Daten-Zentrum und zur D3-Plattform. D3, das steht für Data-Driven Development und ist laut BMW kriegsentscheidend für die Entwicklung und Absicherung von hoch- und vollautomatisierten Fahrfunktionen. Grundprinzip: Die Komplexität und Vielzahl von Verkehrssituationen auf allen Kontinenten ist nur über enorme Datenmengen abbildbar und damit beherrschbar. Basis ist die gigantische Sammelei von rund fünf Millionen Kilometern realer Fahrdaten mit den schon erwähnten Versuchsfahrzeugen. Davon werden dann rund zwei Millionen Kilometer mit besonders relevanten Fahrszenarien und Umfeldeinflüssen ausgefiltert und immer weiter verfeinert. Fortlaufend werden diese qualifizierten Echt-Kilometer durch fast unendliche Computer-Simulationen ergänzt. Aktuell geht da um 240 Millionen simulierte Kilometer, die auf allen nur irgendwie möglichen Fahrszenarien basieren müssen.

Zum Vergleich: Die Alphabet-Tocher und Google-Schwester Waymo erklärt, im öffentlichen Verkehr über 16 Millionen Kilometern Daten gesammelt zu haben und daraus 11 Milliarden simulierte Kilometer errechnet zu haben. Da müssen die 7er von BMW noch ein bisschen kurbeln.

Immerhin, die Weiß-Blauen aus München hat das autonome Fieber schon vor fast 20 Jahren gepackt. Im Jahr 2000 haben sie bei BMW mit der Forschung an Fahrzeugen begonnen, die der Fahrer selbst fahren kann – aber nicht muss. Schon 2006 raste der erste BMW den Hockenheimring ohne Pilot auf der Ideallinie herum, seit 2011 bewegen sich hochautomatisierte BMW-Versuchsfahrzeuge auf der A9 zwischen München und Nürnberg. 2014 demonstrierten die Münchner im Rahmen der CES auf dem Las Vegas-Speedway das Fahren ohne Lenkrad im Grenzbereich. Und 2016 fuhr ein Testteam mal völlig freihändig von München nach Genf. Diverse Autobahnwechsel, keine bösen Vorkommnisse.

Mit an Bord der 7er-Testflotte ist ein chinesicher Konzern

Beherzt weitergehen soll jetzt das autonome Fahren mit der neuen Daten-Plattform. Die verfügt über stolze 230 Petabyte (PB) Speicherkapazität und eine Rechner-Plattform mit über 100.000 Prozessorkernen und über 200 GPUs (Graphics Processing Units, sprich Grafikkarten). Für die Verbindung zwischen der BMW-D3-Plattform zu den Hardware in the Loop (HiL)-Stationen stehen 96 x 100 Gbps Leitungen zur Verfügung. Damit sind beispielsweise die Steuergeräte gemeint, die künftig das Lenkrad führen, die die Entwickler jetzt aber noch im Trockenen – sprich unter Laborbedingungen – testen. Die resultierende nutzbare Datenrate liegt damit bei rund 3,75 Terabyte pro Sekunde (TB/s). Verstanden? Das war ein kurzer Schulausflug ins Daten-Denglisch.

Zur Zeit arbeiten die Münchner mit Forschungsautos der 7er Baureihe. Ausgestattet mit Radar-, Kamera- und Lidar-Systemen ist ihr Kofferraum noch vollgestopft mit Rechen- und Messelektronik. Preis pro Stück: rund eine halbe Million Euro. Alles ist mehrfach abgesichert, die Hauptrechner arbeiten mit 40 Terrabyte-Speichern, unentwegt werden unzählige Daten und Verkehrssituationen gesammelt. Diverse Top-Partner sind mit im Boot, das reicht von Intel (Rechenleistung) über Mobileye (Kamerasysteme) bis zu Here (elektronische Navi-Karten) oder zum chinesischen Internet-Giganten Baidu.

Diese Flotte zum Sammeln der Fahrdaten von aktuell rund 80 Fahrzeugen der BMW 7er Baureihe ist an der Westküste der USA, in Deutschland, Israel und China stationiert, zum Jahresende sollen es bereits 185 Autos sein. Täglich werden da mehr als 1.500 TB neue Rohdaten eingesackt. Nur mal so nebenbei.

Umgerechnet in CDs füllen die Datenmengen ein ganzen Wohnblock

BMW hat diese unvorstellbaren Datendimensionen für uns Dummies mal netterweise veranschaulicht. Also: 1.500 TB neue Daten entsprechen etwa 23.000 iPhone X, 230 PB entsprechen dem Volumen von 40 Wohnungen (rund 80 m², Raumhöhe 3 m) bis an die Decke gefüllt mit CDs. Und die Bandbreite von 3,75 TB/s entspricht rund einer Million HDTV-Programmen die gleichzeitig übertragen werden – oder rund einer Million deutscher Haushalte, die parallel ein Bundesligaspiel in HD-Qualität sehen.

Technologie-Partner für die 3D-Plattform ist übrigens die amerikanische Firma DXC Technology, die das Training der Algorithmen aus dem Effeff beherrscht. Mit ihrer Digitaltechnik können BMWs Forschungs- und Entwicklungsteams Daten von Fahrzeugsensoren nicht in Tagen oder Wochen, sondern in Sekunden selektieren, speichern, verwalten — und so die notwendigen Infos fürs Training der künstlichen Intelligenz liefern.

Führungs- und Entwicklungszentrale fürs autonome Fahren bei BMW ist der Autonomous Driving Campus, diese noch ziemlich frische Forschungsfabrik in Unterschleißheim nahe München. Im Herbst 2017 zogen hier die ersten Ingenieure ein, im April 2018 gab es die offizielle Eröffnung. Rund 23.000 Quadratmeter Bürofläche, Platz für 1.800 Mitarbeiter. Das Ganze schön dicht an der Autobahn und in räumlicher Nähe zum großen BMW Forschungs- und Innovationszentrum.

Alles schick und fein hier. Coole angesagte Arbeitswelten. Offene Raumkonzepte, flexible Nutzung von Büroflächen. Und die Chefs? Die wuseln auf den gleichen offenen Büroflächen wie die Mitarbeiter. Auch voll praktisch: Softwareentwickler können hier ihre gerade geschriebenen Codes sofort und mit wenigen Schritten im Fahrzeug testen. Kleine, interdisziplinär zusammengesetzte Feature-Teams bearbeiten im 14-Tage-Rhythmus und im weltweiten Austausch einzelne Teilprozesse eigenverantwortlich bis zum Ergebnis. Agiles Arbeiten heißt das jetzt bei BMW. Ist in der IT-Branche schon seit längerem schwer angesagt.

Rund 80 Entwickler-Teams forschen für BMW weltweit am autonomen Fahren, und fürs Ganze werden die Münchner mal auf bis zu 10.000 eigene IT-Experten zugreifen können, erklärt uns Klaus Straub, der IT-Chef der Marke. „Unser Rechenzentrum fürs autonome Fahren ist bereits fünfmal so leistungsstark wie das der gesamten BMW-Group“. Und die aktuell 5500 reinen IT-Spezialisten von BMW sollen künftig auch viel mehr Software-Aufgaben übernehmen. Für Vukotich ist der Fall klar: „Der iNext wird unser Technologie-Flagschiff.“ Und wenn man es so sicher und sorgfältig wie BMW angehe, gäbe es beim autonomen Fahren wirklich nichts, wovor sich die Insassen fürchten müssten.

Artikel teilen

1 Kommentar

  1. Jonas K

    Vielen Dank für Ihren Artikel! Klingt so, als ob die Zukunft schon da ist. Ich bin wirklich sehr zufrieden mit der Tatsache, dass dies nicht nur Träume sind, sondern konkrete Erkenntnisse zum Erfolg. Ich habe den Artikel https://blog.andersenlab.com/de/can-self-driving-cars-drive-better-than-we-do/?doing_wp_cron=1606651865.9694180488586425781250 vor ein paar Minuten gelesen und jetzt bin ich hier. Ich habe ein paar Fragen, die Sie mir hoffentlich beantworten können. Wie sicher ist die Automatisierung? Was sind die Risiken eines Systemausfalls oder „Hacking“? Was passiert im Falle einer Fehlfunktion: Betrifft dies das gesamte Auto? Wie realistisch ist autonomes Fahren in naher Zukunft?

    Antworten

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert