Bei der Gründung von Opel vor 120 Jahren war Christian Müller natürlich noch nicht dabei. Erst 1969 wurde er in Rüsselsheim, der Heimstatt der traditionsreichen Opel-Werke, geboren. Noch während seines Maschinenbau-Studium in Darmstadt heuerte er als Praktikant bei Opel an. Und kaum hatte der Ingenieur 1996 sein Diplom in der Tasche, startete er in der Motorentechnik von Opel seine Karriere als Entwicklungsingenieur. 20 Jahre beschäftigte er sich unter anderem als Vice President Global Propulsion Systems von General Motors Europe mit der Optimierung von Verbrennungsmotoren – Elektromotoren spielten lange nur eine Nebenrolle. Aber das ändert sich nun gewaltig. Nicht nur für Müller, sondern auch für Opel: Der deutsche Autohersteller, der seit Sommer 2017 zur französischen PSA-Group zählt, legt im Jahr seines 120-jährigen Bestehens eine Art Energiewende hin.Der neue e-Corsa, der diese Woche in Rüsselsheim Weltpremiere hatte, ist eine „Art Pace Car“ für eine ganze Flotte von Elektromobilen unter dem legendären Opel-Blitz. Doch im Unterschied etwa zum Volkswagen-Konzern setzt Rüsselsheim nicht alles auf eine Karte – auch die Brennstoffzellentechnik soll schnellstmöglich serienreif gemacht werden. Warum, erklärt Müller im Interview mit EDISON.

Herr Müller, Sie sind schon lange für Opel tätig, haben sich als Ingenieur hier bislang vor allem mit Verbrennungsmotoren beschäftigt. Wie schwer fällt Ihnen die Umstellung auf den Elektroantrieb?
Gar nicht. Wenn man einmal ein Elektroauto gefahren hat, fällt die Umstellung nicht mehr schwer. Dann möchte man eigentlich gar nichts anderes mehr fahren, weil die direkte Beschleunigung einfach unglaublich viel Spaß macht. Nehmen Sie unseren Corsa-e, der schafft es von 0 auf 50 km/h in gerade einmal 2,8 Sekunden. Wir befassen uns im Entwicklungszentrum seit dem ersten Ampera mit der Elektromobilität und haben damals maßgeblich an der Entwicklung des Antriebs mitgearbeitet. Auch am späteren, rein elektrischen Ampera-e haben unsere Ingenieure stark mitgewirkt und Erfahrungen mit der Antriebstechnik gesammelt. Insofern sind wir hier in Rüsselsheim zumindest im Kopf schon länger „elektrifiziert“.
Die beiden genannten Opel-Modelle hatten nur einen Schönheitsfehler: Sie haben den Massenmarkt nie erreicht.
Das stimmt nicht ganz. Der erste Ampera hat immerhin über 12.000 Kunden erreicht. Er war zu seiner Zeit…
…das Elektroauto mit Reichweitenverlängerer wurde zwischen 2012 und 2016 produziert…
…sogar das meistverkaufte E-Auto sowie „Car of the Year“ des Jahres 2012. Wir waren damals so etwas wie „Greenovators“, Pioniere einer neuen Technik. Jetzt ist es aber an der Zeit, auch ganz normale Menschen zu erreichen, anzusprechen und für den Elektroantrieb zu gewinnen.

Mit dem Corsa, einem Modell, das bereits in die sechste Generation geht und, entschuldigen Sie bitte, recht konventionell daher kommt. Andere Hersteller differenzieren ihre Elektroautos optisch wesentlich stärker von den konventionell angetriebenen Fahrzeugen.
Das aber finde ich gerade so faszinierend: Der Corsa-e kommt ohne irgendein Blinkblink daher, das ihn als Elektroauto kennzeichnet. Wir haben unsere Kunden befragt. Die Aussage war ganz klar: Wir wollen als Elektromobilisten auf der Straße nicht groß auffallen. So haben unsere Verkäufer die Chance, Menschen, die sich zunächst einmal nur für den Corsa interessieren, auch noch vom Elektroantrieb zu überzeugen. Das Auto ist bewusst so konzipiert, dass sich die Fahrer nicht umgewöhnen müssen. Auch hat es keinerlei Nutzungseinschränkungen und ist mit einer Reichweite von 330 Kilometern und einer Schnelllademöglichkeit über einen 11 Kilowatt Onboard-Charger voll alltagstauglich. Unsere elektrifizierten Fahrzeuge werden auf denselben Plattformen in denselben Werken auf derselben Linie produziert wie ihre Pendants mit herkömmlichen Antrieben. Diese flexiblen und effizienten Konzern-Plattformen sind eine absolute Stärke, weil sie es uns ermöglichen, in diesen schwer prognostizierbaren Zeiten flexibel auf die Kundennachfrage zu reagieren.
Eine Reichweite von 330 Kilometern ist für Sie voll alltagstauglich?
Die Reichweitenfrage steht bei Diskussionen über das Elektroauto natürlich immer im Raum. Aber ich glaube, 330 Kilometer nach der WLTP-Norm sind in den meisten Fällen im Alltag absolut ausreichend. Der Ampera-e hat eine WLTP-Reichweite von über 400 Kilometern, trotzdem versorgen die meisten Käufer das Auto bei einem Ladestand von 80 Prozent mit frischem Strom. Ich denke deshalb, dass wir da ein gutes Angebot haben.

Der Ampera-e wurde zusammen mit General Motors entwickelt. Beim Corsa-e saßen die Entwicklungspartner bei PSA in Paris. Wie war die Zusammenarbeit im Vergleich?
Ich möchte zunächst voraus schicken, dass das Rüsselsheimer Team Teil des PSA-Engineering-Verbunds ist. Das heißt, wir sind ein gemeinsames Team. Die Integration hat vom ersten Tag an super geklappt. Wir hatten von Anfang an den gleichen Spirit. Insbesondere die Geschwindigkeit, mit der beide Unternehmen zusammengewachsen sind, ist schon beeindruckend.
Wie viel Opel-Gene stecken denn in der Elektro-Plattform des Corsa-e?
Die CMP-Plattform war bei PSA schon weit gediehen, als wir Teil des Konzerns wurden. Aber wir haben natürlich auch im Corsa-e unsere Expertise eingebracht, die das Auto zu einem echten Opel macht. So wie alle Fahrzeuge, die wir auf den gemeinsamen Konzern-Plattformen hier in Rüsselsheim entwickeln und designen werden.
Zum Beispiel?
Beispielsweise haben wir mitgeholfen, die Prototypen zu bauen, genauso die Batterie-Packs. Unsere Expertise aus dem Batterie-Refurbishment-Center für den Ampera & Ampera-e half enorm. Auch bei der Validierung der Komponenten konnten wir unsere Erfahrungen einbringen.

„Es ist wichtig, weiterhin offen für andere Technologien zu sein“

Schön und gut. Aber was ist denn nun Opel-typisch an dem Antriebsstrang des Corsa-e? Er wird ja auch von Peugeot, Citroen und DS genutzt.
Dass man Plattformen gemeinsam nutzt, ist in der Branche absolut üblich und in solch herausfordernden Zeiten absolut sinnvoll. Wir haben einen klaren Anforderungskatalog, wie sich ein Opel fahren muss. Das lässt sich leicht in technische Parameter runterbrechen. So ist zum Beispiel die Abstimmung des Chassis Opel-typisch, auch die Sitze sind markenspezifisch.
Aber nicht der Antriebstrang? Man hätte ja über die Steuerungselektronik leicht das Anfahrverhalten modifizieren können.
Ich glaube nicht, dass es der Kunde honoriert, dass man nur um der Unterscheidung willen an allen Schrauben dreht. Die Fahrbarkeit ist bei einem Elektroauto per se spitze – da kann man nicht mehr viel verbessern. Es bietet eine tolle Beschleunigung aus dem Stand heraus und ist ansonsten ein ganz „gewöhnliches“ Auto. So etwas hat mich schon immer fasziniert.
Der Corsa-e soll nur ein Anfang sein.
Absolut, denn bis 2024 werden wir unser gesamtes Pkw-Produktportfolio so umgestellt haben, dass wir in jeder Modellreihe eine Elektro- oder Hybridvariante haben.
Dennoch wollen Sie hier in Rüsselsheim weiterhin an der Brennstoffzellen-Technik arbeiten. Kann man sich das dann nicht sparen?
Es ist wichtig, weiterhin offen für andere Technologien zu sein. Es gibt unterschiedliche Anwendungsprofile und am Ende entscheidet der Kunde, was den individuellen Bedürfnissen gerecht wird. Da ist nicht immer der batterieelektrische Antrieb die sinnvollste Lösung. Ich glaube auch, dass die Brennstoffzelle in den nächsten Jahrzehnten eine große Rolle spielen wird. Das Nachtanken der Energie in drei Minuten und die Chance, erneuerbare Energien aus Wind und Sonne in einem Medium Wasserstoff zwischen zu speichern, hat natürlich großen Charme. Und wir haben klare Hinweise von Kunden im Nutzfahrzeugsegment, dass eine ausschließliche Batterielösung oftmals nicht die anwendbare Lösung ist.
Mit solchen Argumenten hat die deutsche Autoindustrie eine Festlegung über 20 Jahre lang vermieden – und sich dann von Anbietern aus Asien abhängen lassen: Dort baut man nicht nur schon seit längerem Elektroautos in Serie, sondern auch Autos mit Brennstoffzelle. Warum sollte sich der Fortschritt jetzt beschleunigen?
Weil wir als Teil der Groupe PSA dank PSA nun moderne Multi-Energy Plattformen haben, die sich leichter für jegliche Form alternative Antriebe nutzen lassen. Den batterieelektrischen Antriebsstrang könnte man zum Beispiel auch um einen Wasserstofftank ergänzen. Die Machbarkeit des Brennstoffzellenantriebs ist ohnehin seit langem erwiesen, nicht zuletzt auch durch uns. Durch die Multi-Energy-Plattformen kommen wir jetzt schneller zu wirtschaftlichen Lösungen. Dann brauchen wir natürlich noch Investitionen in die Infrastruktur.

Über die auch schon lange gesprochen wird, ohne dass sich anschließend viel tat.
Aber jetzt sind die Pläne schon sehr konkret. Nächstes Jahr wird es in Deutschland hundert Wasserstofftankstellen geben, die allesamt öffentlich zugänglich sind und jederzeit geöffnet haben. Dann wird es möglich sein, in ganz Deutschland uneingeschränkt mit Wasserstoff-Fahrzeugen zu fahren. Und wenn wir jetzt noch Autos in höherer Stückzahl bringen, die dieses Tankstellennetz nutzen können, nimmt das Thema sicherlich Fahrt auf.
Und wann sehen wir das erste Opel-Fahrzeug mit Brennstoffzellenantrieb beim Händler? Trauen Sie sich da eine Aussage zu?
Das werde ich Ihnen heute noch nicht nennen, aber bevor es im Handel steht, zeigen wir es natürlich Ihnen – den Fachmedien.

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