Der markige Spruch ist bekannt, die Gesamtstrategie hingegen kaum. „Wir wollen Volkswagen bis 2025 zur weltweiten Nummer eins in der Elektromobilität machen“, hat Konzernchef Matthias Müller gerade wieder einmal gerufen. Doch was nach dem Diesel-Desaster wie pure Angeberei klingt, wird im Hintergrund schon seit eineinhalb Jahren an allen technischen Fronten und bei allen Marken des plötzlich aufgewachten Automobilgiganten akribisch vorbereitet. Wenn es nach VW geht, kann sich die deutsche Konkurrenz in Stuttgart und München schon mal warm anziehen. Und Elon Musks Elektro-Aufsteiger Tesla (Müller ironisch: „Der selbsternannte Elektro-Pionier“) soll quasi nebenbei abgehängt werden.

Denn beim neuen Modularen Elektro-Baukasten (MEB), der mit einer technisch weitgehend identischen, aber extrem flexiblen Grundausstattung kostengünstig den Aufsatz unterschiedlichster Karosserievarianten (VW-Slogan: „Hüte“) in großen Stückzahlen ermöglicht, haben die Wolfsburger den Countdown schon fast in Sichtweite. Diverse getarnte Aggregate-Träger fahren bereits auf der hermetisch abgeschirmten VW-Teststrecke in Ehra-Lessien.

Die dazugehörigen Batteriemodule und -Systeme macht VW in Braunschweig selbst, die völlig neuen, effektiveren Elektromotoren (Ein VW-Techniker: „Da machen wir noch einen großen Sprung“) kommen aus dem VW-Werk Kassel. Und die eigentlichen Batteriezellen? Die Wolfsburger wollen hier heftig aufholen und planen deshalb eine Pilotproduktion im „Center of Competence“ in Salzgitter. „Da holen wir uns das Wissen für die Tiefen der Batteriechemie“, erklärt VW-Entwicklungschef Frank Welsch im Gespräch mit EDISON. Erst danach soll entschieden werden, ob VW die wichtigen Basisteilchen selber produziert oder weiter aus Südkorea zukauft.

Allen MEB-Autos gemeinsam ist die Platzierung der Akku-Pakete zwischen den Achsen – flach im Unterboden wie eine Tafel Schokolade. Die Räder weit außen an den Fahrzeugecken, um dazwischen viel Platz zu schaffen, dazu gleich die Bausätze aller künftigen Digitalisierungs-, Vernetzungs- und Autopiloten-Systeme, von denen einige später einfach freigeschaltet werden. Klar wird: Die ganze Entwicklung geht bei VW schneller als erwartet, so dass diverse Starttermine der neuen Zukunfts-Elektroautos, die mit üppigen Reichweiten glänzen sollen, schon mal unauffällig vorgezogen werden.

Erster Super-Stromer: Golf-Größe, aber Platz wie im Passat

Den Anfang der neuen Stromer-Generation macht das Vollwert-Kompaktmodell I.D. im Format eines VW Golf. Elegantes Design, mal ganz ohne die autoritären Wolfsburger Bügelfalten. Es wirkt mit seiner weit vorgezogenen Frontscheibe ziemlich futuristisch und hat drinnen für die Familie so viel Platz wie ein VW Passat. Mit voller Batterie soll die Topversion im realen Leben mindestens 500 Kilometer weit kommen, intern werden auch schon 600 Kilometer avisiert. Schnellladen? Ja, ist vorgesehen. „In der Zeit einer Kaffeepause“, verspricht Konzernchef Müller. Also 15 bis höchstens 30 Minuten, die Wolfsburger reden ja nicht über Espresso.

Das gute Stück – I.D. steht übrigens für „Intelligentes Design“ – wird nach aktuellem Zeitplan im September 2019 auf der nächsten IAA präsentiert. Schon kurz nach dem Jahreswechsel, also Anfang 2020, beginnt der Verkauf. Bereits zum Start plant VW eine Produktion von 100.000 Exemplaren und danach soll es mit den Stückzahlen steil aufwärts gehen. Der Preis? „Unser I.D. wird nicht teurer als ein gleich ausgestatteter Golf Diesel“, verrät Welsch. Ergo bewegt er sich um die 30.000 Euro-Marke und ist damit etwa 5000 Euro günstiger als Teslas Model 3.

Offiziell ist es ja „noch nicht entschieden“ (Welsch), aber gebaut wird das erste I.D.-Modell definitiv in Deutschland, um alle technischen Kernkompetenzen in der Nähe zu haben. Und wie von beteiligten Entwicklern zu hören ist, hat das sächsische VW-Werk Zwickau die mit Abstand besten Aussichten auf den Zuschlag.

Vollautomatisierung in acht Jahren

Klar ist auch, dass schon das erste I.D.-Auto halbwegs autonom durch die Gegend düsen wird. Nämlich mit Level 2 plus (Hände zur Kontrolle immer wieder ans Lenkrad). Spätestens ab 2025 soll es gegen Aufpreis sogar schon das futuristische Level 5 geben. Da sind dann bereits als elektronische Aufpasser ausfahrbare LiDAR-basierte 3D-Laserscanner an Bord. Ergo darf jeder bei eingeschaltetem „Drive me“-Modus im TV entspannt Netflix-Serien gucken oder ein Nickerchen machen – und die Straße mal Straße sein lassen.

Zurück zur Konzernstrategie, denn hier wird es spannend, weil die anderen Konzernmarken ruck, zuck nachziehen sollen. Schon Ende 2013 startet Skodas I.D.-Bruder im reisetauglichen Octavia-Format. Heißt jetzt noch „Vision E“ und macht optisch was her. Auch die sportlicher definierte spanische Konzernmarke Seat bringt bereits im Winter 2020 einen I.D.-Bruder in die Showräume. Und Seat-Entwicklungsvorstand Matthias Rabe schürt schon mal den internen Konkurrenzdruck: „Vielleicht schaffen wir es sogar noch ein bisschen früher als Skoda.“

Diese Gruppendynamik soll am Ende die großen Gesamtstückzahlen der I.D.-Familie bringen. Kein Wunder, dass der VW-Entwicklungschef beim Finanziellen optimistisch ist: „Die MED-Autos rechnen sich, davon können Sie ausgehen“. Allein die Produktionszeit sinke um 20 Prozent im Vergleich zu den konventionellen Wolfsburger Modellen mit Verbrennungsmotoren. Und das sei ja erst der Anfang. „Wir haben jetzt schon Pläne für 15 verschiedene Hüte“, verrät Welsch.

Auch elektrische SUV-Modelle schon in Sichtweite

Als Nummer zwei der MEB-Modelle startet bei den VW-Händlern (später natürlich auch bei Skoda und Seat) nach neuestem Stand noch Ende 2020 der SUV-Ableger I.D. Crozz. Ein schneidiger, coupehafter und natürlich vollelektrischer Hochsitzer a la VW Tiguan – mit 500 Kilometern E-Reichweite und genügend Stauraum für Crossbikes und Surfboards. Der soll in der Topversion mit 300 PS und Allradantrieb (je ein E-Motor vorn und hinten) jedem Golf GTI um die Ohren fahren. Und natürlich geht es auch hier um große, kostengünstige Stückzahlen, denn dank MEB-Architektur lassen sich auch die SUV-Elektriker in fast jedem VW-Werk montieren.

Intern wird bereits ein noch größerer Crossover geplant (Welsch: „Ist vorstellbar“), einer mit drei Sitzreihen und sieben Sitzplätzen, also der ideale Kandidat für die großen Absatzmärkte China und USA. Auch für einen kleineren Bordsteinkletterer für die City im Vier-Meter-Polo-Format gibt es mehr als Überlegungen – für alle drei Marken wohlgemerkt. Der urbane Kurze dürfte ein kleineres, leichteres Akkupaket haben, je nach Ausführung mit ungefähr 300 bis 400 Kilometer Reichweite. Welsch plant ohnehin schon weiter: „Wenn unser MEB-Baukasten steht, können wir in jedem Fahrzeugsegment sofort liefern.“

Zum Beispiel den I.D. BUZZ, der nach forciertem Zeitplan schon Ende 2021 starten soll. Richtig, hinter dem betont coolen Namen verbirgt sich der Nachfolger des legendären Bulli-Busses, an dem Welschs Vorgänger schon eine gefühlte Ewigkeit bastelten. Das Serienmodell wird übrigens nicht ganz so ausladend wie die präsentierte Studie und es soll im Design noch mehr Charakter bekommen. Selbstverständlich erscheint dieser E-Bulli auch in der kuschligen Camping-Version California.

Audi greift mit luxuriösen Big Macs von oben an

Welche Rolle die „Vorsprung-durch-Technik“-Marke Audi spielt? Premium natürlich, beteuern die Ingolstädter. Mit ihrem Vorsprung war es ja in letzter Zeit nicht so berauschend, das soll sich nun per „Roadmap E“ und Druck aus Wolfsburg schleunigst ändern. In Top-down-Taktik soll Audi mit betont luxuriösen Fahrzeugen die Konkurrenz von oben angreifen. Runde eins markiert der große SUV e-tron quattro, der schon im nächsten Jahr direkt auf Teslas Model X losgeht. Der feine Audi wird, wie Entwicklungschef Peter Mertens im Gespräch mit EDISON andeutet, „Benchmark sein und ein einzigartiges Fahrerlebnis bieten“.

Die wichtigsten Eckdaten: Über 500 Kilometer Reichweite (die Topversion bekommt später mehr), 500 PS Leistung. Tempo Hundert geht in 4,6 Sekunden, die Spitze liegt bei 210 km/h. Das Gewicht? Gut über zwei Tonnen. Gebaut wird der Bic Mac im belgischen Audi-Werk Brüssel, vorgestellt aber wird dieser Überflieger nicht im Oktober auf dem Pariser Salon, sondern bereits einen Monat vorher auf einem speziellen Audi Summit – einer riesigen Gipfelshow vor Journalisten aus aller Welt.

Als Neuer an der Steckdose folgt 2019 auf fast gleicher technischer PPE-Basis („Premium Plattform Elektro“) der e-tron Sportback, laut Audi-Definition ein viertüriger Gran Turismo. Etwas höher gelegt und mit 430 Elektro-PS eine ähnliche Wuchtbrumme. Preislich jedoch, so betont Mertens, liegen beide Modelle, die mit außergewöhnlichem Luxus und feiner Qualität überzeugen sollen, „weit unter den Preisen von Tesla“.

Im Kompaktbereich lässt Audi VW den Vortritt

Nicht ganz so eilig hat es Audi mit den Elektroautos im Format eines Audi A3, die starten nämlich erst 2020. Der schlichte Hintergrund: Audis Kompakte müssen erst mal den Start der erwähnten I.D.-Kollegen aus der VW-Produktion abwarten. Deshalb macht Audi um diese Modellreihe auch noch nicht so viel Tamtam. Über die technische Verwandtschaft von Audi A1 und VW Polo reden die Ingolstädter ja auch nicht so gern.

Vorsprung durch Technik demonstrieren sie lieber an Hand der neuen Design-Vision „Aicon“. Diese 5,44 Meter lange, völlig autonom fahrende Luxuslimousine der Zukunft zeigt so ziemlich alles, was dereinst mal möglich sein wird. Kein Lenkrad, kein Cockpit, statt dessen eine Art „First Class-Flugzeugkabine“ (Zitat Audi), in der man sich nach dem Empfang durch die elektronische Hostess PIA nett die Zeit vertreiben soll, wahlweise mit Videokonferenzen oder Multimedia-Programmen, die man durch kurzes Fixieren mit den Augen („Eye-Tracking“) auswählt. Nebenbei kommuniziert dieser Aicon über Animationen seiner äußeren Display-Flächen sogar mit den Fußgängern.

Aicons elektrische Reichweite soll bei bis zu 800 Kilometern liegen, denn im Unterboden versteckt sich eine in 30 Minuten (800 Volt-Technik) aufladbare Feststoffbatterie, was sich bei unserer Sitzprobe auf der Messe allerdings noch nicht überprüfen ließ. Tatsächlich aber ist die Feststoffbatterie (Elektroden und Elektrolyt aus festem Material), die E-Reichweiten von bis zu 1000 Kilometern erlaubt, bei VW inzwischen ein Konzern-Entwicklungsziel, bei dem man gerade international nach passenden Partnern Ausschau hält.

Zurück zu Audi. Verschärft wird im Konzern auch die Entwicklung von mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzellenautos, und die Marke mit den Ringen hat hierbei am Standort Neckarsulm die Entwicklungshoheit. Da trifft es sich gut, dass die Ingolstädter seit Mai mit Mertens einen Dynamiker an Bord haben, der nach Stationen bei Daimler, Opel und Jaguar/Land Rover zuletzt als Volvo-Entwicklungschef der schwedischen Marke in relativ kurzer Zeit mit coolen Outfits, auffälliger Qualität und starken Plug in-Hybridmodellen ein völlig neues Image verpasste. Mertens: „Den Speed habe ich zu Audi mitgenommen.“

Das passt zum neuen Geist in Wolfsburg, der plötzlich ruckzuck Alternatives möglich macht, das man vor kurzem mit allen Bedenkenträgern ewig diskutiert hätte. „Die Entscheidungsfreude bei VW hat sich deutlich geändert, wir machen bei der Elektromobilität jetzt Riesenschritte“, freut sich Entwicklungsvorstand Welsch, der mal klassischen Maschinenbau studierte, nun aber für die E-Mobilität glüht.

Porsche setzt alles auf „Mission E“

Auch die Zuffenhausener Sportwagen-Spezialisten haben ihren festen Part in der „Roadmap E“. Mit dem 600 PS starken Porsche „Mission E“, der bis zum Serienstart natürlich einen anderen Namen bekommt und in nicht mal 3,5 Sekunden auf Tempo Hundert rasen wird, sollen sie Ende 2019 den elektrischen Überflieger der Zukunft starten. Die Höchstgeschwindigkeit des viersitzigen, viertürigen Flachmanns wird porschetypisch bei über 250 km/h liegen, seine Reichweite bei über 500 Kilometern.

Das Aufladen des E-Porsche soll dank 800 Volt-Technik mindestens ebenso rasant funktionieren. „Vierhundert Kilometer Reichweite in 15 Minuten“, verspricht Entwicklungsvorstand Michael Steiner für die geplanten Schnellladesäulen. Für die Wallbox in der Heimgarage sind indes rund fünf Stunden veranschlagt. Inzwischen sind auch schon diverse Prototypen des Modells unterwegs, vornehmlich in der Eifel auf der Nordschleife des Nürburgrings, gemunkelt wird von ersten Rekordzeiten. Gebaut wird der Stromer im Porsche-Stammwerk Zuffenhausen. Als Zielwert steht erst einmal die Produktion von jährlich 20.000 Exemplaren jährlich in der Roadmap.

Doch das ist auch bei Porsche nur der Anfang, denn schon rund zwei Jahre später will der Sportwagenhersteller den ersten vollelektrischen Stadt-Land-Offroader der Marke vorstellen. „Ein SUV wäre ein naheliegender, möglicher zweiter Schritt“, sagt Entwicklungschef Steiner und hat dabei speziell die großen Absatzmärkte USA und China im Blick. Über dessen Größe – etwa kompakt a la Porsche Macan oder üppiger im Format des aktuellen Cayenne – ist noch nicht entschieden. „Das werden wir noch gründlich analysieren“. Beides ist problemlos möglich, denn der schon erwähnte PPE-Baukasten, an dem Porsche in Kooperation mit Audi arbeitet, erlaubt hier sämtliche Formate.

FAZIT: Das Baukastenprinzip des VW-Konzerns, das in der massiv forcierten »Roadmap E« über die Integration aller Hausmarken eine weltumspannende Schlagkraft entwickeln könnte, dürfte Tesla-Vorreiter Elon Musk und andere Wettbewerber in wichtigen Märkten allein durch sein immenses Stückzahlen-Potenzial in Bedrängnis bringen. Damit werden die Elektro-Karten in den nächsten drei Jahren völlig neu gemischt.

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