Die ältesten Lebewesen der Erde sind Archaeen. Diese Einzeller halten extreme Umweltbedingungen aus, sie ernähren sich von Wasserstoff und CO2. Daraus produzieren die Bakterien Methan, besser bekannt als Erdgas. Mit diesem mehrere Milliarden Jahre alten Mechanismus könnte ein Hauptproblem der Energiewende gelöst werden: Die Speicherung von Strom aus Wind und Sonne. Das Münchener Start-up Electrochaea will das Thema mithilfe der Mikroorganismen angehen.

In dem neuartigen Verfahren wird zunächst überschüssige Öko-Energie zur Herstellung von Wasserstoff eingesetzt. Diesen wandeln die Archaeen in einem Bioreaktor zu Methan um, das wiederum in das öffentliche Gasnetz eingespeist werden kann. Dort ist die Energie jederzeit und an jedem Ort des europaweit verzweigten Netzes zu beziehen.

Die Testanlage der Münchener Firma arbeitet seit zwei Jahren erfolgreich in Dänemark. „Noch in diesem Jahr werden wir ein Projekt in der Schweiz eröffnen“, sagt Doris Hafenbradl, Mikrobiologin und die technische Leiterin bei Electrochaea.

Die Idee, aus Windenergie Gas zu erzeugen, ist nicht neu. Autohersteller Audi ist zum Beispiel an einer Anlage in Niedersachsen beteiligt. Sie stellt mithilfe von Windkraft Erdgas her, mit dem Autos betankt werden können. Hinter dieser Technologie steckt eine chemische Umwandlung, die mit Hochdruck und großer Hitze arbeitet. Wegen der extremen Bedingungen ist das Projekt sehr komplex und aufwändig.

„Bei uns genügen 65 Grad Celsius und neun Bar Druck“, erzählt hingegen Hafenbradl. Die von Electrochaea praktizierte biologische Methanisierung sei deshalb wesentlich einfacher. Sie findet derzeit in einem ziemlich schmalen, neun Meter hohen Turm statt. Gefüllt ist der Reaktor mit Salzwasser, in dem die Archaeen schwimmen und arbeiten. Die Ur-Bakterien sind anpassungsfähig und scheinen pflegeleicht, solange man sie mit Nahrung versorgt. „Sie erneuern sich seit zwei Jahren immer wieder von selbst“, erzählt Mikrobiologin Hafenbradl.

Bioreaktor als Ausgleich für Netzspitzen

Noch ist die unregelmäßige Entstehung von Solar- und Windstrom ein großes Problem für die Netzbetreiber. Sie müssen mit einer stark schwankenden Auslastung ihrer Leitungen umgehen, weshalb der ständige Zusammenbruch des Stromnetzes droht. Teilweise bezahlen die Firmen sogar Geld, damit sie Strom loswerden.

Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn an sonnigen oder stürmischen Tagen besonders viel Öko-Energie anfällt, die aber nicht schnell genug verbraucht wird. Eine Speicherung wäre die Lösung, doch gibt es dazu erst wenige sinnvolle und zudem bezahlbare Möglichkeiten. Der Bioreaktor wäre eine davon.

Seinen idealen Standort sieht Cheftechnologin Hafenbradl dort, wo eine günstige Energiequelle und ein CO2-Produzent aufeinandertreffen. Deshalb fand die Testphase in Skandinavien statt. „In Dänemark gibt es häufig Windräder neben Biogasanlagen“, erklärt sie.

Wirtschaftlich ideal seien ältere, bereits abgeschriebene Windräder. Sie ermöglichen eine besonders günstige Elektrolyse, also die Wasserstoff-Produktion. „Viele Windrad-Betreiber werden sich nach Auslaufen der Subventionen fragen, was sie mit ihrer Anlage machen sollen. Wir hätten einen Vorschlag“, sagt Hafenbradl.

Erdgas-Netz könnte von Methan aus Bioreaktor profitieren

Auch Biogasanlagen werden mit dem Bioreaktor wirtschaftlicher. Sie produzieren bislang nämlich kein zu 100 Prozent reines Methan. Das Gas muss daher gereinigt werden, ehe es eingespeist werden kann. Auch hier sind die Archaeen hilfreich. Sie übernehmen die Putzarbeit und hinterlassen reinstes Erdgas.

Das freut auch die Betreiber des bis fast in den hintersten Winkel Europas ausgebauten Erdgas-Netzes. Fossiles Gas ist schließlich endlich, langfristig droht das Aus für die teuren Leitungen. Ein mit Bakterien erzeugtes Methan könnte die Infrastruktur hingegen noch auf lange Zeit ausnutzen.

Bislang muss Öko-Strom noch umgehend verbraucht werden, denn er lässt sich nicht im großen Umfang speichern. Deshalb sollen gewaltige Stromtrassen von Nord- nach Süddeutschland gebaut werden, die Windstrom in die Industriegebiete transportieren.

Der massenhafte Einsatz von Bioreaktoren könnte diese zumindest teilweise überflüssig machen. Schließlich ist in Norddeutschland nicht nur der Anteil der Windenergie hoch. Auch die Landwirtschaft ist dort besonders intensiv und produziert mit Gülle das nötige Futter für Biogasanlagen. Diese wiederum liefern unter anderem die Wärme, in der die Archaeen am liebsten arbeiten.

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