Mit elektrischer Spannung hat sich meist gebrüstet, wer Gigantisches vermelden wollte: den Bau einer Höchstspannungsleitung beispielsweise, die auch mit 380 000 Volt fertig wird. Nun, da sich in Haushalt und Industrie immer mehr vernetzte Geräte ausbreiten, ausgestattet mit winzigen Sensoren, spielt sich bemerkenswerte Innovation auch in vergleichsweise niedlichen Dimensionen von einem Volt ab.

Für eine derart geringe, wenn auch stetige Energiezufuhr sorgen normalerweise Mini-Batterien. Sie halten allerlei Sensorik am Laufen. Noch. Denn das deutsche Start-up Otego möchte die Batterien nun weitgehend überflüssig machen. Frederik Lessmann ist einer der vier Gründer, die sich am Karlsruher Institut für Technologie kennenlernten und dort gemeinsam an einer neuen Methode tüftelten, die Wärmeunterschiede in Strom umwandelt. „Da ist so viel verschwendetes Potenzial“, sagt der 30-Jährige über Wärme, die beispielsweise in Industrieanlagen, Häusern und Fahrzeugen ungenutzt durch Rohre geleitet wird.

Neues Herstellungsverfahren senkt Kosten

Was das junge Team aus zwei Physikern, einem Chemiker und dem Wirtschaftsingenieur Lessmann nun nach jahrelanger Forschung auf den Markt bringen will, ist an sich nichts Neues: sogenannte „thermoelektrische Generatoren“, in Otegos Fall mit den Ausmaßen einer drei Millimeter dicken Briefmarke. Die Generatoren erzeugen aus einer Wärmedifferenz elektrische Spannung. Aber: Ihr Produkt – der Oteg – verwendet nach eigenen Angaben unschädliche Rohstoffe und ist dank einem neuartigen Herstellungsverfahren so günstig, dass dem serienmäßigen Einsatz nicht mehr viel im Wege stehen würde.

Das physische Prinzip dahinter ist der „Seebeck-Effekt“, der auf die Entdeckungen des gleichnamigen deutsch-baltischen Wissenschaftlers Ende des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Vereinfacht formuliert wissen wir dank ihm: Elektrische Spannung entsteht, wenn eine Seite eines elektrisch leitfähigen Gegenstand kälter oder wärmer ist als die andere – und beide Enden in einem Stromkreis miteinander verbunden werden. Mit einem Generator kann die Spannung in Strom umgewandelt werden.

Schon seit Jahrzehnten nutzt die Weltraumforschung diese erneuerbare Energiequelle. Kostenpunkt? Egal. Mittlerweile stellen vor allem US-amerikanische Unternehmen wie Marlow Industries und Gentherm Generatoren her, die nicht mehr nur für Satelliten und Raumstationen konzipiert sind. Die deutsche Bundesregierung unterstützt ein Verbundprojekt, das die Anbringung von kabelloser Sensoren an Flugzeugkarrosieren vorsieht.

Und auch für die Nachverfolgung von Logistik, die Überwachung von Bauwerken, die Kontrolle von Produktionsabläufen und für mit Messgeräten ausgestattete Kleidung ist das Potenzial immens. Der Markt für thermoelektrische Generatoren würde enorm wachsen: von etwa 320 Millionen Dollar im Jahr 2015 auf etwa 720 Millionen im Jahr 2021, wie das US-amerikanische Institut Market Research Engine berechnet haben will.

An den astronomischen Preisen für die Generatoren hätte sich bisher jedoch nicht viel geändert, fiel Lessmanns Team auf. Hergestellt würden diese aus teils schädliche Metalle wie Tellur, das ungefähr so selten wie Gold ist. Nach wie vor gehen viele Entwickler eher klassisch vor und zersägen die Halbleiter aufwendig, bevor sie diese einzeln auf Platten setzen. „Das ist schlecht skalierbar“, sagt der Gründer über die Schwierigkeit mit solchen Rohstoffen serienreife Produkte zu schaffen.

„Nach unserer Erkenntnis sind wir die ersten, die beides anders machen“, sagt Lessmann. „Wir verwenden Materialien mit neuen Eigenschaften und verarbeiten diese mit Druckmaschinen.“ Die genaue Zusammensetzung der Stoffe will er nicht verraten. Nur so viel: Das leitfähige – aber schwermetallfreie – Material hat in etwa die Konsistenz von Ketchup und kann beispielsweise mit dem Siebdruckverfahren auf dünne Trägerfolien aufgebracht werden. Anschließend werden die Folien mehrfach zu einem einem Mini-Generator gefaltet: dem Oteg.

Pilotphase gestartet

„Denkbar ist dessen Einsatz im Grunde immer dann, wenn Anlagen überwacht werden sollen, diese aber nicht per Hand, sondern drahtlos ausgelesen werden sollen“, sagt Lessmann über die Technologie, die sowohl Sensorik als auch Funkanbindung mit genug Energie versorgt, dass im 10-Sekunden bis Minutenbereich Daten gemessen und verschickt werden können. „Was nicht geht, sind Echtzeitsensoriken zur Steuerung von Industrieprozessen. Diese sind und werden auch in Zukunft über Kabel verbunden“, schränkt er ein.

Nachdem Lessmann mit seinem Karlsruher Team im vergangenen Jahr über mehrere Finanzierungsrunden eine siebenstellige Summe eingesammelt hat, wollen sie nun ihrer Innovation zur Marktreife verhelfen. „Wir gehen nun mit Vollgas in die Pilotserie“, sagt der Gründer. Sie hätten mehrere Verträge mit Unternehmen geschlossen, die nun die Mini-Generatoren testweise einsetzen würden.

Auf ein Beispiel geht Lessman ein, wenngleich er keinen Namen nennen möchte: Oteg startet nun eine Kooperation mit einem Hersteller von Heizkörperthermostaten, die bislang mit Batterien betrieben wurden. Sensoren könnten die Temperatur nicht nur messen und versenden – sondern sich sogleich den Wärmeunterschied zwischen Heizungsrohren und der Umgebungsluft zunutze machen. Der Mini-Generator setzt diesen in Strom um – und macht Batterien überflüssig.

Der Beitrag Otegos am tatsächlichen Endprodukt lässt sich am besten mit dem eines Batterieherstellers vergleichen. Und so ist es nicht mehr Lessmanns Aufgabe zu entscheiden, wie genau ihre Mini-Generatoren von anderen Firmen verbaut werden. Er kann daher auch nicht sagen, wie viel günstiger am Ende deren marktreifen Geräte sein werden. „Die Generatoren jedenfalls sind nur etwa halb so teuer wie die gängigen Modelle“, sagt Lessmann. Mit viel Potenzial, die Kosten noch weiter zu senken, wie er versichert.

Und so könnten sich bald auch auf der Erde jene winzigen thermoelektrische Generatoren durchsetzen, die einst zu Mondpreisen für den Einsatz im All entwickelt wurden.

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