Schon Nord Stream war umstritten, eine direkte Pipeline von Russland durch die Ostsee nach Europa. Die osteuropäischen Länder fürchteten einerseits um Transiteinnahmen, andererseits war ihre Rolle als Transitstaaten natürlich auch strategisch bedeutsam. Aus Schweden kamen ökologische Bedenken. Am Ende hatte Ex-Kanzler Gerhard Schröder einen schlechten Ruf und die deutschen Energiepreise stabilisierten sich.

Nun gibt es Streit ums Nachfolgeprojekt Nord Stream 2 – auch wegen der USA, die sich ebenfalls vehement gegen den Bau der Gasleitung aussprechen. Bemühen wir uns mal um einen Überblick, der gar nicht so einfach ist. Vorneweg zwei Extrempositionen:

Gerhard Schröder, ehemaliger Bundeskanzler, war 2005 zur Nord Stream AG gewechselt – das ist die Bau- Betreibergesellschaft, die zu 51 Prozent dem russischen Staatskonzern Gazprom gehört, aber auch BASF Wintershall und E.On sind mit größeren Anteilen involviert.

Schröder wird nun vom russischen Staatsmedium RToday zitiert. Die Positionierung ist also klar:

Die Äußerung kommt zu einem Zeitpunkt, an dem sich Frankreich dafür einsetzt, die europäische Gas-Richtlinie zu ändern. Pipeline-Betrieb und Gaslieferung sollen dann nicht aus einer Hand erfolgen dürfen – was für Gazprom zum Problem würde. Mittlerweile gibt es einen Kompromiss, aber Schröder deutet es an: Die USA üben derzeit eine Menge Druck auf Gas-Freunde aus.

Am 13. Januar schrieb der im Tweet erwähnte deutsche US-Botschafter Richard Grenell an (auch deutsche) Unternehmen, die an dem Projekt beteiligt sind, eine Warnung: Es gebe ein „erhebliches Sanktionsrisiko“ und „im Ergebnis untergraben Firmen, die den Bau beider Pipelines unterstützen, aktiv die Sicherheit der Ukraine und Europas“.

EU-Politiker, die seine Aussage teilen, lobte er kurz darauf:

Sicherheit vs. Kosten?

Was ist wichtiger? Günstiges Gas oder ein sicheres Osteuropa? Da sind sich die Parteien nicht einig. Sogenannte Transatlantiker wie Norbert Röttgen bei der CDU oder Putin-Kritiker wie Rebecca Harms bei den Grünen sind natürlich gegen die Pipeline, aber nicht nur sie betonen die Rücksichtnahme auf europäische Bedenken:

Politikwissenschaftler Thorsten Benner, Direktor des Berliner Global Public Policy Institute, sieht vor allem das Unwohlsein vor der „Deutschland first“-Politik als Ablehnungsgrund (ein Verweis auf US-Präsident Donald Trumps „America first“). Die Rolle der Ukraine stärke der deutsche Gas-Alleingang eher.

Harms Parteikollege Jürgen Trittin greift einen Tweet des (linken, US-kritischen) Publizisten Jakob Augstein auf, in welchem dieser (vermutlich rhetorisch) nach dem Sinn der französischen Gegeninitiative fragt. Trittins Erklärung zeigt auf die Kosten:

Will Frankreich kein günstiges Gas? Nun, Frankreich hat gerade beschlossen, verstärkt auf Biogas zu setzen. Und der französische Konzern Total ist im größeren Rahmen im Flüssiggas-Geschäft involviert, LNG umfasse ein Drittel der Gasproduktion, heißt es vom Konzern. Zwei Mosaiksteinchen, mehr nicht, aber vielleicht fügen sie sich mit sanftem Druck aus den USA in ein größeres Bild ein. Andererseits ist auch der französische Konzern Engie an der Nord Stream AG beteiligt.

Trittin spricht aber noch zwei weitere wichtige Punkte an: Ein Transport über die Ukraine senkt die Abhängigkeit von Russland trotzdem nicht, das Gas kommt ja immer noch dorther. Und nach dem Kohle- und Atomausstieg wird der Gasbedarf in Deutschland steigen – was aus Umwelt- und Klimasicht ja auch sinnvoll ist. Übrigens: Auch der Anteil an Gasautos wächst deshalb.

US-Flüssiggas

Dass die USA die europäische Stabilität im Sinn haben, mag der langjährige Diplomat Hanns Schumacher allerdings nicht glauben. Er kritisiert die Deutsche Welle, die einen Gastbeitrag von Grenell veröffentlicht hatte:

Der Fracking-Boom sorgt für mehr als genug, das in den USA verflüssigt werden und per Schiff nach Europa transportiert werden kann. In welchem Rahmen die USA LNG (Liquified Natural Gas) exportieren, illustriert ein Tweet von US-Senator Ted Cruz, der in die Nord-Stream-Debatte passte:

Fracken, verflüssigen, transportieren – das klingt nicht nur dreckig und teuer, das ist es auch. Und in diesem Licht ist Schröders Aussage geschickt: Das russische Gas ist günstig und hat einen relativ kleinen CO2-Rucksack. Gut für unsere Klimaziele, dafür kann er Werbung machen. Das US-Gas ist für Umwelt und Klima viel problematischer, es gibt keinen ökonomischen und keinen ökologischen Kaufgrund. Überzeugen müssen die US-Amerikaner ihr Käufer mit anderen Argumenten. Oder mit politischem Druck, wie es Schröder andeutet.

Fazit: Was tun?

Twitter ist kurz und prägnant – aber auch ein polemisches Meinungsmedium. Nicht immer wird klar, ob diejenigen, die sich äußern, nicht knallharte finanzielle Interessen der beteiligten Unternehmen und Staaten durchsetzen wollen – oder ihre eigene.

Dabei stellen sich viele offene Fragen: Brauchen wir künftig überhaupt so viel Gas? Das hängt von vielen Faktoren ab, etwa dem steigenden Energiebedarf durch die Elektromobilität. Abhängig machen wir uns vom russischen Gas eher nicht, derzeit macht es über ein Drittel des deutschen Mix aus. Und Terminals für Flüssiggas werden ja gerade in Norddeutschland ebenfalls diskutiert – die US-Amerikaner könnten sofort liefern.

Auch ökonomisch gibt es kein Argument für Flüssiggas – aber wie gefährdet ist die Stabilität Osteuropas durch eine deutsch-russische Pipeline? Welches Potenzial trauen wir der Power-to-Gas-Technologie zu, mit der wir unser Gas selbst erzeugen könnten? Das Problem lässt sich in sieben Tweets beschreiben – die Lösung nicht.

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