Dass man sich beim Schwimmen in Nord- und Ostseewasser so einigem aussetzt, ist bekannt: Blei, Cadmium, Quecksilber und eine Menge Mikroplastik verunreinigen die Meere. Doch wohl kaum einer ahnt, dass man auch in Sprengstoff planscht. Forscher des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel haben jetzt mit neuen chemischen Analyseverfahren aber genau das bestätigt. Sie haben zum ersten Mal TNT in den Gewässern nachgewiesen.

Verantwortlich für den Sprengstoff im Wasser sind Bomben. Sie ruhen in Frieden auf dem Meeresgrund, seit sie im Zweiten Weltkrieg abgeworfen wurden. Allein in Ost- und Nordsee sind es etwa 1,6 Millionen Tonnen konventionelle, 220.000 Tonnen chemische Kampfmittel und 900.000 Seeminen. So genau weiß das aber niemand. Nur ein kleiner Teil der deutschen Nord- und Ostsee ist bisher auf Kampfmittel untersucht worden.

„Obwohl das Problem der Munition im Meer weltweit verbreitet ist, hat es bislang überraschend wenig Aufmerksamkeit erhalten“, sagt Aaron Beck vom GEOMAR. Oft werde nach dem Motto verfahren: „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Dabei gebe es immer wieder Unglücksfälle mit Fischern oder mit Spaziergängern am Strand, erklärt der Wissenschaftler, der mit weiteren Autoren die Ergebnisse einer mehrjährigen Studie in der Fachzeitschrift „Frontiers in Marine Science“ veröffentlichte. Die ist in Kooperation mit dem GEOMAR-geführten BMBF-Forschungsprojekt UDEMM: Umweltmonitoring für die Delaboration von Munition im Meer entstanden, an dem auch die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, das Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnmünde und die Initiative „Zukunft Meer“ des Landes Schleswig-Holstein beteiligt sind. „Langsam werden die Behörden aber wach und schenken dem Problem mehr Aufmerksamkeit“, sagt Beck.

Gefahr für Offshore-Anlagen

Lange gab es für die tickenden Zeitbomben keinen Handlungsdruck. Erst mit dem Bau von Offshore-Anlagen gewinnt die Kriegslast an Sprengkraft. Vor jeder Rammung muss der Untergrund auf Munition untersucht werden – genau wie bei der Verlegung der kilometerlangen Netze von der Küste zu den Parks. Das Problem ist: Niemand kennt den Zustand der Funde am Meeresboden. Sie einfach zu sprengen ist alles andere als optimal. Vom Fisch bis zum Seehund wird alles in der näheren Umgebung getötet. Denn alleine eine Mine kann 350 Kilo Sprengstoff enthalten.

„Das Ziel müsse letztendlich sein, die Munition irgendwann zu beseitigen“, betont Co-Autor Eric Achterberg vom GEOMAR. „Und das ist eine Mammutaufgabe.“ Ein ferngesteuerter Roboter, der die Zünder der Munition herausschneidet und den Sprengstoff unschädlich macht, wäre eine Chance. „RoBEMM“ (Robotisches Unterwasser-Bergungs- und Entsorgungsverfahren) heißt etwa ein Forschungsprojekt, an dem automatic Klein GmbH, das Fraunhofer ICT, die Heinrich Hirdes EOD Services GmbH sowie das Institut für Infrastruktur und Ressourcenmanagement der Universität Leipzig beteiligt sind. Die Kampfmittel sollen unter Wasser unschädlich gemacht und umweltgerecht entsorgt werden. Noch wird ein Prototyp für Meerestiefen von bis zu 35 Meter entwickelt. Eine besondere Herausforderung sind die unterschiedlichen Munitionsformate. Aufbau und Sprengstoffinhalt der Kampfmittel sind nicht immer bekannt. Welche Materialien am Kriegsende verwendet wurden, weiß ebenfalls niemand so genau. Auch nicht, wie sie miteinander reagieren und wie schlagempfindlich die Sprengstoffe sind.

Sprengstoff in Meerestieren und Algen nachgewiesen

Die Kriegsmunition wird immer mehr zu einer Gefahr. Bomben, Granaten und Minen rosten. Der Sprengstoff und Chemikalien wie Senfgas und das Nervengift Tabun gelangen ins Wasser. Explosive Verbindungen sind zwar schlecht in Wasser löslich, aber sie enthalten giftige und krebserregende Chemikalien. In Muscheln wurde bereits TNT nachgewiesen. Nach Aussage von Wissenschaftlern nicht so viel, dass es dem Menschen schadet. Aber genug, damit einem der Appetit vergeht.

Geringe Mengen wurden auch in Würmern, Krebsen, Seesternen und Algen nachgewiesen. „Es gibt fast überall eine geringe Konzentration“, erklärt Beck. Was dies für die Meeresumwelt bedeutet, sei noch völlig offen. Über die Verbreitung und Auswirkungen dieser Chemikalien für marine Ökosysteme gebe es bisher noch erhebliche Wissenslücken, so der Wissenschaftler.

In vielen Fällen sind weder der genaue Ort, noch die Identität oder der Zustand von Unterwassermunition bekannt. „Es wird immer dringlicher, mehr Informationen über Munition im Meer zu sammeln und sie zu beseitigen“, sagt Beck. Wie viel Zeit noch bleibt, bis sich die Gehäuse der Munition völlig zersetzt haben, weiß niemand. Vielleicht dauert es nur noch fünf, vielleicht auch zehn oder 20 Jahre. Sicher ist nur eins: Irgendwann werden sie sich aufgelöst haben. „Die Munition ist ein großes Problem“, sagt Beck deshalb. „Wir brauchen jetzt eine Lösung.“

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