Bei Kryonik fallen wohl vielen sofort die Wissenschaftler ein, die Menschen einfrieren wollen, um ihnen in ferner Zukunft ein Leben mit neuer Jugend zu verschaffen. Das Kälte-Verfahren basiert auf einer bekannten Technik, die allerdings auch für etwas Sinnvolles eingesetzt werden kann – zum Beispiel, um Strom aus erneuerbaren Energien zu speichern.

Die kryogene Energiespeicherung ist vielversprechend, bisher wurde ihr aber kaum Beachtung geschenkt. In England feiert sie jetzt Weltpremiere. Zwölf Jahre dauerte die Entwicklung, bis Highview-Power in der Nähe von Manchester eine Anlage in Betrieb nahm. Auf einer Fläche von 690 Quadratmetern stehen mehrere große Behälter und endlose Rohre, die Strom aus erneuerbaren Energien speichern und bei Bedarf wieder abgeben. Rund 50 Millionen Euro investierten das Unternehmen und die britische Regierung, um diese bahnbrechende Technologie auf den Markt zu bringen.

Die viel beschworenen Lithium-Ionen-Akkus sind für Executive Chairman Colin Roy zwar als Antrieb für Autos geeignet. Als stationären Speicher sind sie aus seiner Sicht aber untauglich. Gesamtkosten, Haltbarkeit und Lebensdauer überzeugen ihn nicht. Bei Lithium-Ionen-Akkus sinkt bereits nach etwa acht Jahren ihre Leistung auf 70 bis 80 Prozent. Der Luftspeicher von Highview-Power läuft ohne größere Verluste 40 Jahre. Die meist aus Stahl bestehenden Komponenten können nach dem Ende ihrer Lebenszeit für andere Zwecke verwendet werde. Umweltschädliche Rohstoffe kämen nicht zum Einsatz. CO2- oder andere Schadstoffemissionen würden nicht ausgestoßen.

Wie funktioniert ein kryogener Speicher?

In einen Tank wird Luft eingesogen, der auf extreme Minustemperaturen (-190 °C) heruntergekühlt wird. Der dafür nötige Strom stammt aus Wind- oder Solarenergie. Die Luft verflüssigt sich, wobei sich das Volumen um das 700-fache verringert. Wird die flüssige Luft aus dem Tank gelassen, wird sie mit Wärme, die bei dem Verflüssigungsprozess entstanden ist, in Kontakt gebracht. Durch diesen Prozess dehnt sich die Luft mit großer Kraft wieder auf den ursprünglichen gasförmigen Zustand aus. Diese Energie treibt eine Turbine an, die Strom produziert. Eine Verbrennung gibt es nicht.

Ein Verfahren, an dem auch die Linde AG interessiert war und in einem Pilotprojekt testete. Auf den Markt kommt es nicht. Ein Sprecher erklärte, dass es zurzeit nicht wirtschaftlich sei.

Für Roy ist das Flüssigluftspeichersystem (engl. Liquid Air Energy Storage – LAES) neben Pumpspeicherwerken die effektivste Form, um Strom stationär zu speichern. Denn in diesem Fall kommt es auf die Menge an. Der LAES kann Strom über lange Zeit ohne Verluste speichern. So lange, bis der Strom am Markt gewinnbringend verkauft werden kann. Pumpspeicherwerke können das ebenfalls, sind allerdings nur an sehr wenigen Orten realisierbar. Die LAES-Anlagen können dagegen überall dort eingesetzt werden, wo Strom gebraucht wird.

Die Fünf-Megawatt-Anlage in England liefert 15 Megawattstunden (MWh) und kann damit 5000 Häuser mittlerer Größe mehrere Stunden mit Strom versorgen. Nach oben gibt es fast keine Grenzen. „Die Technologie kann leicht auf mehrere Hundert Megawatt skaliert werden“, erklärt Roy. Eine Erhöhung der Speicherkapazität könne verhältnismäßig günstig durch Erweiterung der Speichertanks erfolgen.

Kein Kurzzeitspeicher

Die bisher weltweit größte Lithium-Ionen Batterie von Elon Musk im Süden von Australien hat eine Gesamtleistung von 100 Megawatt (MW) und eine Kapazität von 129 MWh. Damit können 30.000 Haushalte maximal eine Stunde mit Strom versorgt werden.

Für Roy eignen sich diese „Kurzzeitspeicher“ zwar für sogenannte Systemdienstleistungen wie zur Frequenzstabilisierung. Um die Energiewende zu unterstützen, seien sie aber nicht geeignet. Dafür müsse regenerativer Strom mindestens mehrere Stunden aufgenommen und gespeichert werden, um zeitversetzt zu den Spitzenlastzeiten eingespeist zu werden. Werde die LAES-Anlage in Manchester hochskaliert, könne sie einen ganzen Tag lang bis zu 200.000 Haushalte versorgen – zur Hälfte der Gesamtkosten von Lithium-Ionen-Batterien, so Roy.

Weltweites Geschäftsmodell

Gespräche mit Interessenten gebe es bereits in England. Die Energieversorger seien an Anlagen mit etwa 50MW mit vier bis acht Stunden Kapazität interessiert, erklärt der Chairman. Auch Deutschland ist für ihn ein interessanter Markt. Die größte Nachfrage sieht Roy allerdings in den USA, wo das Unternehmen bereits in New York ein Büro eröffnete. Dies hängt vor allem mit der Regulierung der Strommärkte zusammen, die bessere Geschäftsmodelle mit gespeichertem Strom versprechen.

In Deutschland sind die Anreize, um in großem Stil in Langzeitspeicher zu investieren, noch gering. Mehr Potenzial sieht Roy in Australien und Singapur, in Zukunft auch in China. Bloomberg New Energy Finance schätzt den globalen Energiespeichermarkt bis zum Jahr 2030 auf kumulierte 125 Gigawatt / 305 Gigawattstunden und ein Marktvolumen von 103 Milliarden US-Dollar. Roy ist überzeugt: „Liquid Air wird einen großen Teil des Langzeitspeichermarktes gewinnen.“

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