Es ist ein sonniger Tag, ungewöhnlich windstill für die Küstenregion der Nordsee. Viel mehr als das Rauschen des Meeres und das Kreischen der Möwen ist nicht zu hören. Nach und nach trudeln immer mehr Radfahrer an der hölzernen Aussichts- und Informationsplattform des Otto-Leege-Pfads ein. Sie alle sind gekommen, um an der Juist-Unplugged-Tour teilzunehmen, einer Fahrradtour, die der Nachhaltigkeitsbeauftragte Thomas Vodde regelmäßig anbietet. Woher kommt das Trinkwasser, was tut die Insel in Sachen Nachhaltigkeit und wie kann ich klimaneutral anreisen? Antworten auf diese und andere Fragen gibt Vodde während der knapp 120-minütigen Rundfahrt. Seine Tour ist beliebt und von Beginn an jedes Mal ausgebucht. Die Leute, die sich anmelden, seien vorwiegend „Wiederholungstäter“, erzählt Vodde. Gäste also, die schon seit vielen Jahren Urlaub auf der Insel machen und diese einfach noch intensiver kennenlernen wollten.

Mit ihrem Engagement in allen Fragen rund um das Thema Nachhaltigkeit hat sich die autofreie Insel in ganz Deutschland einen Ruf erarbeitet. Thomas Vodde, der neben seiner Rolle als Nachhaltigkeitsbeauftragter auch gleichzeitig noch allgemeiner Vertreter des Bürgermeisters und Marketingleiter der Kurverwaltung auf der Insel ist, kämpft dabei immer an vorderster Front. „Ob wir klimaneutral werden oder nicht – das wird das Weltklima nicht ändern“, sagt er. „Aber wenn das jeder sagt, sieht es für die Zukunft düster aus.“ Deswegen möchte er mit seiner Arbeit auf Juist für andere touristische Destinationen eine Vorbildrolle einnehmen.

Preisgekrönte Nachhaltigkeit

Bis 2030 soll die Insel klimaneutral werden und dabei müssen auch die Urlauber helfen, denn 90 Prozent der Emissionen sind mit dem Tourismus verbunden. „Circa 8000 von den 23.000 Tonnen CO2, die wir produzieren, entstehen bei der Anreise. Deswegen bitten wir unsere Gäste, mit der Bahn zu kommen und den einen Euro mehr zu zahlen, damit der Strom aus regenerativen Energien bezogen wird.“ Etwa 37 Prozent der Gäste nutzen die Bahn bereits.

Bei Familien zum Beispiel könne er es aber auch verstehen, wenn sie eine bequemere Anreise mit dem Auto bevorzugten und lieber auf das Umsteigen verzichten wollten. Auch hierfür hat die Klimainsel eine Lösung: Auf der Website findet sich ein Link zum Partner myclimate – einer gemeinnützigen Stiftung, die sich weltweit für den Klimaschutz einsetzt. So können Urlauber die durch ihre Anreise entstandenen Emissionen ganz einfach mit den CO2-Rechnern von myclimate berechnen und im Rahmen eines Klimaschutzprojektes kompensieren lassen. „Für eine Fahrt von Düsseldorf nach Norddeich kostet so ein Ausgleich nur vier Euro“, sagt Vodde. Das sei doch gar nicht mal so viel.

Eine energetische Sanierung der Bauwerke auf Juist und die Umstellung auf erneuerbare Energien wie Windkraft, Solarthermie und Biomasse (durch Pferdedung) sind weitere Themen, die Vodde beschäftigen. Sein Engagement zahlt sich aus: 2015 erhielt Juist den Deutschen Nachhaltigkeitspreis in der Kategorie „Deutschlands nachhaltigste Kleinstädte und Gemeinden“, außerdem wurde das beliebte Urlaubsziel als erster Ort Niedersachsens mit dem Nachhaltigkeitslabel TourCert zertifiziert. Vom Festland erhalte er die meiste Unterstützung erzählt Vodde, auf der Insel sehe das leider anders aus.

Der Müll und das Meer

Der 57-jährige hat noch viele Visionen für die Insel: „Ich würde mich freuen, wenn wir das Plastik-Problem weiter angehen könnten.“ Vor sechs Jahren wurden gemeinsam mit dem Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland an zahlreichen Stränden Gitterboxen aufgestellt, um Plastikmüll zu sammeln und zu entsorgen. „Wir finden besonders viele Fischernetze, aber auch Luftballons“, sagt der Diplom-Pädagoge, der vor über 22 Jahren auf die Insel kam.

Insbesondere die verlorenen Fischernetze, die auch Geisternetze genannt werden, sind für die Meeresbewohner eine große Gefahr. Nicht selten passiert es, dass sich Seevögel, Fische, Delfine und andere Meeresbewohner in ihnen verheddern. Hinzu kommt, dass es viele hundert Jahre dauern kann, bis die Nylongarne verrotten. Sie belasten die Meereswelt also nachhaltig. Die Gitterboxen sind ein Erfolgsmodell, auf Müll trifft man dank ihnen so gut wie nie am Strand. Und wenn doch, gibt es viele motivierte Urlauber, die ihn aufheben, um „ihre“ Insel so zu behalten, wie sie ist: Ein kleines, feines Erholungsparadies im UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer.

Mikroplastik – mit bloßem Auge kaum zu erkennen

Das Problem mit Coffee-to-go-Bechern und Plastiktüten habe man früh bekämpft, berichtet Vodde stolz. So gab es etwa eine Förderung für wiederverwendbare Becher und für Bio-Taschen. Das Thema Mikroplastik ist ihm noch ein Dorn im Auge: „Ich würde mir wünschen, dass die Hotels zum Beispiel ihre Kosmetikprodukte verbannen, die Mikroplastik enthalten.“ Was viele Nordsee-Urlauber nicht wissen: Bereits heute besteht etwa jedes zehnte „Sandkorn“ unter ihren Füßen aus Kunststoff, Tendenz steigend. Biologen des Alfred-Wegener-Instituts konnten bei einer Untersuchung an Nord- und Ostsee außerdem nachweisen, dass 69 Prozent der untersuchten toten Fische mit Mikroplastik belastet waren.

„Die beliebten Fleece-Pullis und Jacken sind ebenfalls ein Problem“, erklärt Vodde den Teilnehmern der Juist-Unplugged-Tour, „denn bei jedem Waschgang setzt diese Kleidung aus Synthetikmaterial bis zu zwei Gramm Mikrofasern frei.“ Vom einzigen Drogeriemarkt der Insel würde er sich eine Kennzeichnung von Artikeln wünschen, die Mikroplastik enthalten. Dadurch könnte der Konsument eine bewusste Entscheidung treffen. Es gäbe zwar mittlerweile auch Handy-Apps wie Beat the Microbead, die den Konsumenten Transparenz verschaffen, oder Einkaufsratgeber wie den des BUND, doch diese zu nutzen sei immer noch ein unbequemer Umweg für die Kunden.

Nachhaltigkeit ist für die Einwohner ein Luxusproblem

Voddes großes Umwelt-Engagement wird nicht überall gerne gesehen, gerade unter den Insel-Bewohnern: „Es kommt hier doch keiner wegen der Nachhaltigkeit hin“, ärgert sich der Manager eines Juister Hotels. „Das Marketing der Kurverwaltung geht völlig in die falsche Richtung, damit ist man hier auf der Insel nicht einverstanden.“ Einige Hotels hätten sich daher zusammengeschlossen, um es jetzt selbst in die Hand zu nehmen. „Das mit dem autofrei sollte man lieber bewerben“, sagt der Geschäftsmann.

Auch Stefan Danzer, Inhaber des Hotels Achterdiek, hat andere Prioritäten: „Das Thema Nachhaltigkeit finde ich natürlich grundsätzlich gut“, sagt der 45-jährige Küchenmeister. „Doch es ist ein Luxusproblem. Für uns ist es derzeit vorrangig, dass die Insel funktioniert. Es fehlen Indoor-Spielmöglichkeiten für Schlechtwettertage, bezahlbarer Wohnraum für Mitarbeiter, Reitangebote für Urlauber, eine Mini-Golf-Anlage und bessere Buchungsmöglichkeiten auf der Juist-Website.“ 2017 habe es einen Besucherrückgang gegeben, was vor allem an dem schlechten Sommer lag. Doch in Zukunft wolle man es auch schaffen, die Spontanurlauber zu erreichen. „Schließlich müssen wir hier immer zwölf Monate im Jahr leben und konkurrenzfähig sein.“

Auch Juist leidet unter der „Syltifizierung“

Eines der dringendsten Probleme auf Juist ist der Mangel an Wohnraum, denn dieser ist für die Einheimischen und angestellten Fachkräfte schlichtweg nicht mehr bezahlbar. Mittlerweile haben reiche externe Investoren auch die ostfriesischen Inseln als Geldanlage für sich entdeckt – „Syltifizierung“ wird dieser Prozess genannt. Bereits die Hälfte der Häuser auf der Insel befindet sich nicht mehr in der Hand der Insulaner – kein Wunder, denn die Kaufsumme für ein bescheidenes Einfamilienhaus liegt derzeit bei mehr als einer Million Euro. Die Folge: Die eigentlichen Bewohner der Insel leiden erheblich, immer mehr Familien müssen aufs Festland ziehen. Die neuen Besitzer der Häuser und Wohnungen hingegen lassen sich kaum blicken – eine Geisterinsel entsteht. Das ist nicht nur schlecht für Gastronomie, Hotellerie und Einzelhandel, sondern belastet auch direkt die soziale Struktur der Bevölkerung.

Dass er ausschließlich Interesse am Thema Klimaschutz habe, will Vodde so nicht stehen lassen, schließlich beinhalte Nachhaltigkeit für ihn drei wichtige Säulen: Ökonomie, Ökologie und Soziales. Um alles kümmere er sich intensiv. Auch bezüglich des Ausverkaufs der Insel würden Maßnahmen ergriffen: „Wir arbeiten derzeit gemeinsam mit der Bevölkerung unter anderem an einem Lebensraumkonzept, bei dem die Lebensqualität der Bevölkerung im Mittelpunkt steht“, erzählt Vodde. Derzeit sei die Lage allerdings politisch etwas aufgeheizt. Vor allem in sozialen Netzwerken wie Facebook bekomme er das zu spüren, die Kommentare bezüglich seines Klima-Engagements würden hier teilweise schon stark unter die Gürtellinie gehen, beklagt Vodde. Das sei nicht mehr lustig.

Es gibt also einige Wogen, die es auf der Insel zu glätten gilt. Die Gäste werden davon allerdings kaum etwas mitbekommen, schließlich haben sie hier nur eines gebucht: Erholung und Entschleunigung pur. Und die scheinen sie auf der kleinen ostfriesischen Insel zu finden. Nicht umsonst erreichte Juist in 2017 bei der Studie Vergleichender Gästemonitor den besten Zufriedenheitswert, der jemals gemessenen wurde.

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