Alexander Seitz ist ein Kenner der deutschen Autobranche, aber auf der ganzen Welt zu Hause: Für Daimler und Volkswagen arbeitete er bereits auf vier Kontinenten. Passend also, dass wir den Audi-Vorstand für Finanzen, China, Compliance und Integrität nicht in Ingolstadt angetroffen haben – sondern nach unserer Testfahrt im neuen e-tron in Abu Dhabi.

Edison: Herr Seitz, Audi investiert 14 Milliarden Euro in Elektroautos und andere Zukunftsthemen wie das autonome Fahren. Die genaue Marktentwicklung ist aber in beiden Fällen unklar. Wie fühlt sich ein Finanzvorstand angesichts solcher Summen mit einer nicht definierbaren Zukunft?
Seitz: Unser Gesamtinvestment in den kommenden fünf Jahren liegt bei etwa 40 Milliarden Euro, davon 14 Milliarden für die von Ihnen genannten Zukunftsthemen. Das ist eine gewaltige Größenordnung, ich habe vor diesen Zahlen Respekt. Umso mehr kommt es darauf an, dass wir uns auf das konzentrieren, was für den Kunden einen echten Unterschied macht und im Markt ankommt. Wir wollen mit der Elektromobilität auch zusätzliche Marktanteile gewinnen. Insofern ist das auch ein Zusatz-Geschäft, das wir aufbauen wollen und in das wir investieren.

Ein Zusatz-Geschäft mit noch ungewisser Rendite.
Natürlich haben wir noch nicht die Gewissheit bis zur letzten Nachkommastelle. Sicher ist aber auch: Wir arbeiten nicht mit Projekten mit negativen Deckungsbeiträgen. Das ginge bei dieser Dimension auch gar nicht, wenn wir 30 Prozent unseres Portfolios elektrisch abdecken wollen. Eine Strategie, rote Zahlen einzuplanen, kann sich ein Unternehmen in der Größenordnung von Audi nicht leisten.

Wird der e-tron sofort Geld abwerfen?
Wir – und ich als CFO im Speziellen – achten sehr genau auf die Wirtschaftlichkeit. Sowohl für den Kunden, als auch für das Unternehmen im Return of Investment. Um Ihre Eingangsfrage zu beantworten: Ich habe Respekt. Sind das Herausforderungen? Ja! Sind sie gestaltbar? Ich denke schon. Das sage ich nicht nur als Finanzer. Die Hälfte meines Berufslebens war ich Einkäufer und sehe auch aus dieser Perspektive, was sich im Markt entwickelt. Noch 2017 habe ich große Einkäufe für den MEB (Modularer Elektrifizierungs-Baukasten von Volkswagen, Anm. d. Red) getätigt. Die Skaleneffekte, die wir in unserem Konzernverbund realisieren, stimmen mich zuversichtlich.

Wann kommt der e-tron auf den Markt? Das Ziel, die ersten Fahrzeuge noch in diesem Jahr auszuliefern, wird ja wohl nicht erfüllt.
Die Gesamtbetriebserlaubnis für den Audi e-tron liegt seit kurzem vor. Wir werden noch in diesem Jahr mit der Verteilung der Fahrzeuge aus dem Werk Brüssel in erste europäische Märkte beginnen. Die Markteinführung mit größeren Stückzahlen startet dann zum Jahresbeginn 2019 in Europa, danach folgen Nordamerika im Frühjahr und China im weiteren Jahresverlauf.

So sieht der e-tron aus:

Sie haben aktuell über 20.000 Vorbesteller für den e-tron quattro. Angesichts siebenstelliger Absatzzahlen von Audi ist das immer noch verschwindend gering. Wann kommt die Kundenakzeptanz für Elektroautos in der Breite?
Die Lust auf die Elektromobilität wird auch in der Breite kommen. Das habe ich an mir selbst gemerkt: Wenn Sie das erste Mal eine längere Zeit mit einem Elektroauto fahren, finden Sie sich sehr schnell in der neuen Welt zurecht – und haben richtig Spaß. Es wird ganz normal und die Befürchtungen, die einige noch haben, verschwinden. Als wir von Nokia-Handys, in denen eine Akku-Ladung für zwei Wochen gereicht hat, auf Smartphones umgestiegen sind, haben wir uns auch sehr schnell an das regelmäßige Laden gewöhnt – und die Sorge abgelegt, ohne Strom zu stranden. Hätten Sie mich vor fünf Jahren gefragt, wäre ich ungleich skeptischer gewesen. Aber was das Elektroauto angeht, bin ich vom Saulus zum Paulus geworden. So wird es vielen Menschen gehen.

Ängste nehmen ist das eine, die Vorzüge eines Elektroautos – etwa das lautlose und vibrationsfreie Fahren oder die unmittelbare Beschleunigung ohne Schaltpausen – das andere.
Wie gesagt: Wir müssen die Leute – auch die Kritiker – in die Autos bekommen. Dann spricht ein Elektroauto für sich.

Ihr Plan sieht vor, dass 2025 30 Prozent des Audi-Absatzes Elektroautos sein sollen. Es sind aber gewaltige Unterschiede in den Stückzahlen und Einkaufsvolumina, ob der Anteil am Ende bei 27 oder 32 Prozent landet. Wie flexibel sind Sie bei solchen Plänen?
Dass wir Technologie-Sprünge nicht am Reißbrett planen können, kennen wir in unserer Branche aus vielen anderen Bereichen. Wichtig ist, dass wir ein klares Ziel haben, auf das wir uns ausrichten. Immer mit dem klaren Blick: Am Ende entscheidet der Kunde, ihn müssen wir mit tollen Autos überzeugen. Wie flexibel wir in der operativen Umsetzung sind, hängt natürlich immer vom Zeitpunkt ab. Wenn ich 2023 die Information aus unserer Marktbeobachtung bekomme, dass ich bis 2025 die Kapazität um 25 Prozent erhöhen muss, kann ich reagieren. Wenn ich die Info erst 2024 bekomme, kann ich nur noch beschränkt reagieren. Die Frage ist, wann die Information belastbar ist, und wie agil wir als Organisation arbeiten können.

Auch mit unseren Zulieferern vereinbaren wir immer einen Korridor rund um unsere Planzahlen, in dem wir Teile flexibel je nach Marktnachfrage beziehen. Das können unsere Partner über Arbeitszeitmodelle oder Investments abdecken. In unseren eigenen Werken läuft es ähnlich – etwa über Schichtmodelle. Alles, was darüber hinausgeht, bedeutet ein Investment, das einen Vorlauf braucht. Nach meiner Erfahrung sind das 18 bis 24 Monate.

Das gilt für alle Teile? Also auch für Batterien?
Da müssen wir uns die einzelne Werkstoff-Gruppe anschauen. Einen Scheibenwischer oder einen Gummischlauch zu ersetzen, ist kein Problem. Bei dem frei programmierbaren Kombidisplay für unser „Virtual Cockpit“ sieht das schon anders aus. Da müssen wir tiefer in die Kette einsteigen: Sind die nötigen Chips verfügbar? Oder hakt es bei dem Display-Glas? Da muss bei stärkeren Abweichungen von den Planungen ein deutlich höheres Investment in die Hand genommen werden. Bei komplexeren Teilen dauert das eben bis zu 24 Monate.

Nochmals: Was ist mit der Batterie?
Auch hier ist die Frage, was genau das Engpass-Teil ist. Die Zelle? Dann ist es weniger ein Problem, weil die Zelle als solche ein Massenteil ist. Ist es aber ein Teil aus der Batteriemontage oder muss die Montagehalle selbst vergrößert werden, ist es deutlich schwieriger. Dann sind wir wieder bei den 18 bis 24 Monaten.

Sind die Zellen untereinander austauschbar, wenn Sie von einem Zulieferer aus Korea auf einen chinesischen Anbieter umsteigen?
Unsere modular aufgebauten Batterien sind darauf ausgelegt, dass wir sie mit unterschiedlichen Zellen befüllen können. Der e-tron, der ab 2020 auch in China für den lokalen Markt gebaut werden wird, bekommt chinesische Zellen. Die Chinesen machen auch bei der Zelltechnologie riesige Fortschritte, das ist ganz klar auch ein Anliegen der Politik. Das, was man beim Verbrennungsmotor verpasst hat, will man jetzt bei der Elektro-Technologie aufholen. Ob das gelingt, wird sich zeigen. Auch die Software spielt dabei eine viel größere Rolle, als viele geglaubt haben.

Der e-tron quattro und der angekündigte e-tron Sportback entstehen auf einer eigenen Audi-Plattform. Der e-tron GT basiert auf der Basis des Porsche Taycan, der kompakte Elektro-Audi basiert auf dem MEB und wird bei Volkswagen in Zwickau gefertigt. Wie viel Audi und wie viel VW-Konzern steckt dann künftig in den Elektroautos?
Auch im Elektrozeitalter wird jeder Audi zu hundert Prozent ein Audi sein. Bei den Dingen, die für den Kunden den Unterschied ausmachen, gehen wir markenspezifisch unseren Weg. Wir bauen ja schon heute im A-Segment auf Basis des Modularen Querbaukastens Modelle wie den A1, A3, Q2 und Q3, die die Ansprüche unserer Marke sehr erfolgreich verkörpern. Das wird beim MEB genauso sein. Welchen „Hut“ man auf diese Basis setzt, ist sehr flexibel gestaltbar, und wir werden uns zwischen den Marken des Volkswagen-Konzerns klar differenzieren.

Wenn wir es kalkulatorisch betrachten: Die Plattform macht etwa 40 Prozent der Kosten aus und bietet damit enorme Synergien im Konzern. Beim großen Rest sind wir Audi-spezifisch.

Heißt aber auch: Sie fahren sich gleich, nur die Kabine und das Design unterscheiden sich?
Nein, wir können auch die MEB-Plattform selbst anders abstimmen. Etwa für einen VW-Kunden auf Reichweite optimiert, für einen Audi-Kunden auf Fahrdynamik. Das wird über das Batterie-Management-System oder auch das Fahrwerk möglich.

Ähnliches gilt auch für die PPE-Architektur für große Elektroautos, die wir gemeinsam mit Porsche entwickeln: Porsche will es super-dynamisch, wir aber dann doch mit mehr Komfort für die Langstrecke gepaart mit einem dynamischen Fahrverhalten. Damit sprechen wir einen anderen Kunden an als Porsche.

Sie sind nicht nur Finanzvorstand, sondern auch für China verantwortlich. Bei der Elektromobilität ist China weiter als Deutschland und die Kundschaft generell technologieoffener. Kann es auch sein, dass auch Mal ein Audi-Produkt zuerst in China und dann in Europa auf den Markt kommt?
Natürlich. Wegen der lokalen Nachfrage bringen wir in China die Langversion des Q2 bald auch als Elektroauto. Es ist auch denkbar, dass wir ein solches Modell eines Tages auch in Europa anbieten, wenn die Nachfrage stimmt.

Ich sehe hier aber noch einen anderen Punkt. Wenn ich in China unterwegs bin, habe ich keinen Geldbeutel mehr dabei. Ich bezahle alles über WeChat – das Restaurant, Einkäufe, das Parkhaus. Bei solchen Bezahlfunktionen sind die Chinesen uns voraus und schaffen auch die Infrastruktur dafür. Es wird dort zum Beispiel gerade vorbereitet, dass das Auto selbst abrechnet, wenn Sie durch einen Drive-In fahren. Das gilt auch für Mautstationen an Autobahnen, da muss dann kein gesondertes Gerät mehr installiert werden. Es funktioniert einfach. Wir können also in China auch viel für andere Märkte lernen, unsere tiefe Verwurzelung in dem Land hilft uns dabei sehr.

China hat zuletzt auch Schlagzeilen gemacht, als bekannt wurde, dass alle Elektroautos – auch jene deutscher Hersteller – der Regierung teils sensible Daten übermitteln. Wie ist das bei Audi?
Es gibt in China spezielle gesetzliche Anforderungen, die unsere Autos dort wie die aller Hersteller erfüllen müssen. Sie übertragen die erforderlichen Daten wie Spannungen, Ströme, Temperatur oder Fehlercodes über eine sichere Mobilfunkverbindung.

Was erwarten Sie beim autonomen Fahren aus China?
Es wird dort einen großen Impuls geben. Die Gesetzeslage und die Voraussetzungen in China sind andere als im Rest der Welt. Wenn mancherorts die rechte Fahrspur für autonome Fahrzeuge reserviert und abgesichert ist, können Sie innerhalb kürzester Zeit viele Testkilometer autonom fahren und die Daten auswerten. Auch deshalb haben wir in China ein Kompetenzzentrum aufgebaut und sind gerade dabei, unsere Entwicklungsmannschaft vor Ort zu verdreifachen.

Was müssen wir wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich tun, um gegenzuhalten?
Das wird stark davon abhängen, wie sich in Europa die gesellschaftliche Haltung zu neuen Technologien entwickelt. Das ist schwer vorauszusagen. Eines ist klar: Die Infrastruktur muss vorangetrieben werden, das ist das A und O. Auch wir als Hersteller engagieren uns da zusammen mit Wettbewerbern im Rahmen unseres Joint Ventures „Ionity“. Aber der Staat muss beim Infrastruktur-Aufbau weiter eine aktive Rolle spielen. Das kann nicht von den Autobauern alleine geleistet werden.

Auch der Umgang mit Daten und unsere Einstellung dazu wird eine Schlüsselfrage werden. Wir müssen noch gemeinschaftlich zu einem Konsens kommen, welche Daten wie erhoben, anonymisiert, ausgewertet und teilweise weitergegeben werden dürfen. Auch das wird die Akzeptanz und Verbreitung von Innovationen stark beeinflussen.

Nochmals zum Laden: Sie haben das öffentliche Laden angesprochen. Aber muss der Staat auch das private Laden einfacher machen?
Wenn es auch im privaten oder halb-privaten Raum gelingt, die Infrastruktur weiter zu verbessern – sei es als Arbeitgeber oder durch gesetzliche Vorgaben, dass bei Neubauten eine gewisse Anzahl an Wallboxen installiert werden muss – wird das der Elektromobilität einen weiteren Schub geben.
Wir haben viele Ansatzpunkte, um das Laden kundenfreundlicher zu machen. Zum Beispiel bei der Abrechnung durch Lösungen wie unseren „e-tron charging service“, damit ich nicht mit mehreren Ladekarten unterwegs sein muss. Aber natürlich auch zuhause, was beispielsweise die Wallboxen angeht. Dann müssen wir auch schauen, wie wir bei der Netzkapazität vorplanen müssen – nicht unbedingt im Gesamtnetz, aber im Wohngebiet. Ich vertraue auch hier der Marktwirtschaft: Wenn es eine Nachfrage gibt, wird der Markt auch bald eine Lösung bieten.

Der e-tron quattro kann zwar schnell laden, die Reichweitenanzeige ist hier aber noch nicht über 320 Kilometer gestiegen. Schränkt das nicht die Zielgruppe ein?
Die Reichweite ist immer von fahrzeugspezifischen Eigenschaften wie Reifengröße und Ausstattung, aber auch von externen Faktoren wie Außentemperatur und topographischen Gegebenheiten abhängig. Im WLTP-Fahrzyklus erreicht der e-tron mehr als 400 Kilometer Reichweite. Wir sind der Überzeugung, dass das für die meisten Kunden ein sehr attraktives Angebot ist. Die durchschnittliche tägliche Fahrstrecke unserer Kunden ist um ein Vielfaches kürzer. Natürlich wird auch hier die Entwicklung immer weiter gehen und die Zelltechnologie steigende Reichweiten ermöglichen.

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