Es ist einer der heißesten Sommertage des Jahres in London. Im Olympiapark, im Schatten des Stadions von West Ham United lassen Kinder begeistert ihre Drachen steigen. Wenige 100 Meter surren Elektroautos beim Shell Eco Marathon über die Rennstrecke, um zu zeigen, welcher Bolide am sparsamsten fährt. Zwei Männer sind unter den Zuschauern, die eigentlich bei den Drachen stehen müssten.

Der eine, David Ainsworth, ist Direktor für Geschäftsfeldentwicklung von Kite Power Systems. Das Start-up hat einen Drachen entwickelt, der Windräder obsolet machen soll: 50 Prozent geringere Kosten als Windanlagen an Land soll sein System haben. „Wir bauen in Glasgow eine Testanlage, spätestens in drei Jahren werden wir die erste kommerzielle Anlage haben“, berichtet er dem zweiten Mann, Geert van de Wouw.

Was Energiewende bedeutet, zeigt sich an diesem heißen Nachmittag neben der flirrenden Rennstrecke: Van de Wouw arbeitet für Shell, bislang nicht als Öko-Konzern bekannt. Doch er leitet den Bereich Technology Ventures, der sich vergangenes Jahr in Kite Power Systems eingekauft hat. „Um Zugriff auf die Technologie zu bekommen. Wir suchen potenzielle Zulieferer – oder Kaufkandidaten“, erklärt er.

Auch der Stromversorger E.On hat in das schottische Start-up investiert und plant nun in Irland ein Testfeld für Drachen und Flugzeuge, welche die Kraft des Windes in Strom umwandeln sollen. Flugzeuge vom niederländischen Unternehmen Ampyx Power, das dafür 90 Prozent weniger Material als beim Windradbau einsetzen will, Drachen eben von Kite Power Systems.

Halbes Gigawatt im Container

Die Technologie ist einfach: Zwei Drachen oder Flieger hängen an einer Spule. Der Wind lässt sie Schleifen fliegen, welche die Spule auf- und abrollen. Die Testanlage nutzt 16 Meter lange Drachen, natürlich seien auch größere Versionen möglich. Eine Anlage liefert bislang rund 500 Kilowatt (kW), genug für ein ganzes Dorf. Auch diese Zahl könnte wachsen. „Und wir können die Anlage überall aufbauen, sie passt in einen Container“, sagt Ainsworth. Eine Idee, die Shell eine kleine Millionensumme wert war.

Die namenhaften Investoren kommen nicht von ungefähr. Da die Drachen in 400 Meter Höhe fliegen können, sind sie fast lautlos und fast unsichtbar. Ein unschlagbarer Vorteil gegenüber Windrädern, die eine natürliche Höhenbegrenzung haben und an Land optisch umstritten sind.

Ein Report der Marktforscher von IDTechEx sieht bereits einen neuen Markt entstehen. 200 Millionen Dollar steckten derzeit in der Branche, auch vom Ölunternehmen Schlumberger oder dem indischen Stahlkonzern Tata. Airborne Wind Energy sei eine absolut disruptive Technologie, schreiben die Forscher, dürften Windräder und Dieselgeneratoren gleichermaßen ersetzen – zumindest teilweise.

Konkurrenz gibt es auch schon. E-Kite aus den Niederlanden hat für seine Ideen einen Preis gewonnen, der übrigens von Shell mitgesponsert wurde. Makani Power aus den USA hat Google als Investor angelockt. Enerkite, ein deutsches Unternehmen, hat eine portable Demonstrationsanlage auf einem Lkw entwickelt, die 30 kW liefert.

Noch sind es vor allem die riesigen Windräder, die Wind in sauberen Strom umwandeln. Aber wenn die Tests erfolgreich sind und die Unternehmen ihr Versprechen von deutlich reduzierten Stromentstehungskosten halten können, dann dürften bald nicht nur die Kinder im Queen Elisabeth Park große Freude an ihren Drachen haben.

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