Reichweitenangst? Die kommt hier sicherlich nicht auf. Energie für eine Fahrstrecke von 217 Kilometer steht zur Verfügung, sagt mir der Bordcomputer in großen Ziffern, als ich per Knopfdruck die Stromversorgung einschalte. Ganz ehrlich: So weit wollte ich heute eigentlich nicht mehr fahren. Die übliche Feierabendtour durchs Siegtal geht bei mir über knapp 30 Kilometer. Und auf die fünffache Marathonstrecke ist meine Beinmuskulatur bei allem Training auch nicht eingestellt, als ich mich zum ersten Mal auf das Delite Touring von Riese&Müller schwinge – das Rad, das laut Pressetext des Herstellers „einfach raus will auf Touren, in die Berge und vielleicht auch in die Ferne.“ Dementsprechend sieht das perlweiß lackierte Testbike auch aus. Der vorn wie hinten federnd aufgehängte Diamantrahmen wirkt nicht nur robust, er ist es auch. Dass hier ein Fahrrad-Ingenieur mit Leidenschaft und vieljähriger Erfahrung konstruiert hat, merkt man an jedem Detail, an jeder Schweißnaht. Auch die Auswahl der Komponenten ist durchdacht. Am Ober- und Unterrohr hängen zwei Akkus mit zusammen 1000 Wattstunden Kapazität, am Tretlager ein Bosch-Motor in der bewährten Performance-Ausführung CX, der bis zu 75 Newtonmeter Drehmoment entwickelt. Der besondere Clou dieses Pedelecs steckt allerdings im Hinterrad: Eine elektronische Rohloff-Nabenschaltung, die bei Riese&Müller speziell auf den Bosch-Antrieb abgestimmt wurde. Mit 14 Gängen und einer Übersetzungsbandbreite von 526 Prozent passt die wartungsarme Getriebenabe hervorragend zu einem Langstrecken-Pedelec. Das gilt ebenso für den stabilen Gepäckträger, der nur darauf zu warten scheint, dass man ihm die Reisetaschen überwirft. Markus Riese, der Technikchef und kreative Geist bei Riese&Müller, hat vor Jahren bei einer Fahrradtour mit seinem Freund und Studienkollegen Heiko Müller darüber gegrübelt, wie sich die Geländegängigkeit und Langstreckentauglichkeit von Fahrrädern verbessern lässt – im Delite, so scheint mir, kulminieren all diese Überlegungen.

Schwerer SUV

Und wie fährt sich das Teil? Für eine Testfahrt durch Afrika fehlt mir die Zeit und zugegebenermaßen auch der Mut. Aber das Bergische Land und das Siebengebirge bieten einem Trekking-Rad auch einige Herausforderungen. Also Helm auf und raus auf die Piste. Das hohe Gewicht von 29 Kilogramm (mit beiden Akkus und einem massiven Faltschloss von Abus) machen sich auf den ersten Metern, die ich das Delite den Berg hinauftrete, schon bemerkbar. Allerdings habe ich zunächst auch nur die kleinste, Eco genannte Unterstützungsstufe eingestellt. Auch will über den Drehgriff am Lenker zunächst auch die passende Übersetzung des Rohloff-Getriebes gefunden werden. Der Rabenvogel – das Markenzeichen von Rohloff – zeigt sich aber zunächst etwas störrisch – es braucht etwas Druck, bis der nächste Gang eingelegt ist. Besser wird es später, als ich dazu übergehe, während der Schaltvorgänge das Pedalieren kurz zu unterbrechen. In der Ebene ist das kein Problem, in Bergaufpassagen verliere ich dabei allerdings ein wenig Schwung. Aber ansonsten: Das Delite läuft auf der Asphaltpiste wie auf Schienen. Und durchs Gelände bewegt es so souverän wie ein SUV. Die fetten, 2,8 Zoll breiten Schwalbe-Reifen machen sich hier ebenso bezahlt wie die Suntour-Federgabel und die aktive Hinterradschwinge. Sie dämpfen feinfühlig und federn schnell: In der Aktivhaltung – Po aus dem Sattel und stehend auf den Pedalen – geht es damit einigermaßen locker über Stock und Stein. Nur das leichte Klappern der Kette an der Kettenstrebe trübt das Fahrvergnügen auf rauhem Grund ein wenig. Abhilfe könnte neben einer besseren Positionierung der Umlenkrolle ein elastischer, geräuschdämmender Schutzmantel um die Kettenstrebe schaffen.

Auf Knopfdruck Fernlicht

Aber für wilde Trails ist das Delite in dieser Ausführung eh nicht gedacht. Wer sich im Gelände austoben will oder eine Alpenüberquerung plant, ist mit dem Schwestermodell Mountain besser bedient, das unter anderem mit einer Teleskop-Sattelstütze glänzt. Das Delite ist auf Feld- und Waldwegen sowie auf asphaltierten Pisten eher in seinem Element. Hier macht sich das hohe Gewicht (der zweite Akku lässt sich bei Bedarf und für kürzere Strecken entnehmen) auch nicht so stark bemerkbar. Dafür glänzen hier andere Details. Beispielsweise der LED-Scheinwerfer von Busch & Müller, der auf Knopfdruck sogar auf Fernlicht schaltet und die Fahrbahn samt Rändern mit 1600 Lumen ausleuchtet. Oder in die Hinterradschwinge integrierte Gepäckträger, der nicht nur das solide Faltschloss von Abus, sondern auch ein kräftiges Supernova-Rücklicht aufnimmt. Viel Freude macht dann auch der Bosch-Motor vom Typ Performance CX, der aus gutem Grund lange Maßstab in der Branche war, mit ordentlich Drehmoment und einer wunderbar gleichmäßigen Kraftentfaltung bis zu 25 km/h. In der höchsten, Turbo genannten Stufe verdreifacht er die Muskelkraft, im so genannten eMTB-Modus ermittelt der Motor selbst die für die Fahrsituation optimale Kraftunterstützung. Und eine Schiebehilfe gibt es obendrein.

Brummender Motor

Einziges Manko: Wenn der Motor kräftig arbeitet, ist er auch deutlich vernehmbar, deutlich stärker als ein Shimano-Antrieb oder der Brose-Motor. Aber im Delite Touring ist der Brummer der perfekte Partner für den Rohloff-Speedhub. Der Motor reagiert schnell auf die Schaltvorgänge, so dass auch steile Passagen leicht genommen werden. Obendrein geht der Motor sparsam mit der Energie um – sofern man fleißig schaltet und sich nicht permanent im Turbo-Modus bewegt, sondern sich in der Ebene mit „Eco“ begnügt. Ich habe jedenfalls die Energievorräte des Akkus während der Testphase kein einziges Mal erschöpfen können. Die weiteste Tour führte knapp 80 Kilometer – am Ziel waren laut Bordcomputer die Batterien noch zur Hälfte gefüllt. Aber längere Strecken legt man auf Fahrrad-Expeditionen auch nur selten zurück. So hilft der zweite Akku, längere Ladepausen zu vermeiden. Reichweitenangst? Ganz sicher nicht mit diesem Pedelec.

Hoher Suchtfaktor

Das Fazit: Wer sich dieses Pedelec gönnt und leisten kann, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in seinem Leben nie wieder einen Fahrradprospekt wälzen. Denn er wird mit hoher Wahrscheinlichkeit kein anderes Rad mehr fahren. Es gibt vielleicht in Zukunft und sicher auch heute schon hübschere Pedelecs, die Batterie und Motor verschämt im Rahmen verstecken. Aber das Delite GX Rohloff ist ein Statement und ein technischer Leckerbissen, nicht nur mit hohem Neid-, sondern auch Suchtfaktor. Eine Tour damit rauf bis zur Quelle des Rheins oder entlang der Donau Richtung Schwarzes Meer – ja, das hätte was.

Bergab in der Aktivhaltung
Wie ein SUV ist auch das Delite Touring nicht nur auf der Straße daheim.
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