Das kann ja lustig werden. Sedric, ein Auto ohne Lenkrad und Pedale. Wie sind wir hier eigentlich versichert? Vielleicht hatte Kollege Computer ja eine schlechte Nacht und übersieht den Querverkehr. Klar, das passiert seiner künstlichen Intelligenz, einem neuronalen Netz, das mit Millionen von Fahrsituationen gefüttert ist, so schnell nicht. Aber wozu haben wir dann noch einen Aufpasser an Bord, der einen Not-Aus-Schalter bedienen kann und den VW Moderator nennt? Und wozu stehen noch zwei Sicherheitsbeobachter an der Strecke, die das Auto aus der Ferne zum Stillstand bringen können? Genau, man kann ja nie wissen.

Andererseits werden wir auf unserem vorgesehenen Rundkurs im hoch geheimen, riesigen Konzern-Testgelände von Ehra-Lessien nur maximal 30 Kilometer pro Stunde (km/h) fahren. Oh Pardon, gefahren werden. Und Tempo 30 ist das zugelassene Test-Tempo für das Auto, obwohl Freund Sedric natürlich viel schneller könnte. Denn im Unterboden und zwischen den Achsen steckt erst einmal die Technik des vollelektrischen, 150 km/h schnellen VW Golf E. Demzufolge also ein strammer Elektromotor mit 100 kW Leistung und einer Lithiumionen-Batterie für bis zu 300 Kilometer Reichweite.

Freundlich zwinkert das Auto dem Fahrgast zu

So, unsere Moderatorin heißt Julia Drüke, ist promoviert und hat bei VW mit Design- und Funktionsthemen des Sedric zu tun. „Jetzt rufen wir ihn erst mal“, lächelt sie und fragt nach unseren Farbwünschen. Wie bitte? Also, bestellt wird das Future-Taxi per Smartphone-App und damit wir ihn definitiv als den unsrigen erkennen, können wir vorher seine blinkende Front-LED-Farbe auswählen. Über die App lässt sich dann später mal auch seine Anfahrt verfolgen und der Fahrpreis checken. Alles klar?

Für uns fährt Sedric umsonst, einladend zwinkert er beim Heranrollen mit seinen LEDs, zeigt dazu ein nettes „Hello“ und macht nach dem Bluetooth-Signal automatisch die Türen auf. Wir nehmen rechts, quasi im Fond, auf dem himmelblauen Zweisitzer-Sofa Platz und sind erstaunt. Denn trotz der Kleinwagen-Länge von nur 3,90 Metern ist dieser VW geräumig wie eine Turnhalle. Ist ja auch fast zwei Meter hoch und gut 1,80 Meter breit. Uns gegenüber gibt es noch zwei schwarze Klappsitze für weitere Mitfahrer, dort könnten wir aber auch Gepäck abstellen. Oder einen Kinderwagen. Oder ein Klappfahrrad. Alles sehr cool und wohnlich, unsere visuelle Unterhaltung übernimmt vor der Frontscheibe ein riesiger transparenter OLED-Screen, der zum Beispiel den elektronischen Stadtführer spielen kann. Erst nach dem Anschnallen schließen sich die Türen und auf dem Multitouch-Schirm in der Mittelkonsole berühren wir endlich den Go-Button. Flüsterleise setzt sich Sedric in Bewegung, nur das Rauschen der Klimaanlage ist zu hören. Zukünftig soll er auch auf Sprachbefehle reagieren.

Wir diskutieren angeregt mit Frau Drüke, während Sedric sich unaufgeregt seinen Weg durch den mit Pylonen markierten 800-Meter-Kurs sucht. Für unvorsichtige Fußgänger oder rowdyhafte Radfahrer würde er natürlich bremsen, weil seine Kameras, Flächenlaser, Radar- und Ultraschallsensoren und 360-Grad-Lidar-Sensoren (von Velodyne) permanent das gesamte Umfeld scannen. Aber irgendwelche Hindernis-Manöver hat VW aus Zeitgründen diesmal leider nicht eingeplant. Schon ist die Testrunde absolviert, öffnen müssen wir die Türen per Knopfdruck selbst. Nebenbei passt eine Kamera am Dachhimmel per Vorher-nachher-Bildabgleich auf, dass wir nicht unsere Tasche vergessen. Und zum Abschluss gibt es wie im Luxushotel-Fahrstuhl noch ein melodisches Jingle und ein blinkendes „Goodbye“. Na ja, das war ganz nett, aber nicht so spannend. Liegt vielleicht auch daran, dass es vom Sedric derzeit nur diesen einen, maximal aufgerüsteten Top-Prototypen gibt, dem schon aus Kostengründen nichts passieren darf.

Plötzlich steht ein Dummy vorm Auto

Deshalb dürfen wir jetzt in einen besonderen VW Golf umsteigen. Der hat zwar noch Lenkrad und Bremsen, aber auch schon das Hirschgeweih der Lidar-Scanner auf dem Dach, dazu, wie wir hören, die komplette Software-Technik des Sedric unterm Blech. Aha, ein autonom fahrender Sedric-Versuchsträger. Der Kollege auf dem Fahrerplatz, ein VW-Techniker, guckt unterwegs nur zu, er sitzt da nur zur Sicherheit. Über zehn Exemplare gibt es von diesen Forschungs-Gölfen, sie sind fast rund um die Uhr für die Sedric-Entwicklung unterwegs.

Im Golf demonstriert uns Volkswagen zwei Szenarien des autonomen Fahrens. Variante eins ist die vorsichtige: Der Golf fährt mit maximal 30 km/h an den simulierten Reihen parkender Autos – VW hat sich mit bemalten Stoffhüllen beholfen – übertrieben vorsichtig vorbei, gebremst wird gewissermaßen prophylaktisch. Danach das Ganze noch einmal in der programmierten Tempo-Version, verschärft mit einem hinter der Parkreihe hervorschießenden Fußgänger-Dummy. „Den könnten wir zur Not auch umfahren, der hat nur ein Styropor-Stoff-Gerippe“, hat mich vorher grinsend ein VW-Mann beruhigt. Der Golf macht in Nullkommanichts die sichere Vollbremsung.

Fürs Fahren auf öffentlichen Straßen haben die Golf-Sedrics trotzdem noch keine behördliche Genehmigung. Aber es gibt ja gleich um die Ecke, in Wolfsburg, das riesige VW-Werksgelände. Nach monatelangen Tests und der Abnahme der Fahrzeuge durch den TÜV Süd gab es jetzt grünes Licht für Probefahrten auf dem Werksgelände. Die Test-City ist ideal, denn zwischen den gigantischen Produktionshallen herrscht Verkehr wie in einer mittelgroßen Stadt.

Zur Sicherheit fahren die Versuchsträger aber erst einmal nur samstags, wenn weniger los ist. „Ein besonders geschulter Mitfahrer sitzt auf dem Rücksitz und kann im Notfall über ein Joystick-Bedienpult eingreifen“, erklärt Axel Heinrich, der Leiter der Volkswagen-Konzernforschung. Demnächst werde auch der Sedric selbst dort unterwegs sein. Und wenn der Sedric sämtliche Crashnormen erfüllt, solle er ab 2019 auch in Hamburg auf abgesicherten Strecken unterwegs sein.

Zuerst soll der Sedric über Hamburgs Straßen rollen

Und wann werden wir ihn in freier Wildbahn erleben? „Wir rechnen spätestens 2023 mit dem Einsatz im öffentlichen Verkehr“, sagt Heinrich. Dann brauche man aber mindestens 100 bis 200 Fahrzeuge, um Kunden schnell genug bedienen zu können. Und auch hier sei Hamburg ein Kandidat für den Sedric. Kein Zufall, denn schließlich geht in Hamburg VWs Mobilitätstochter Moia demnächst mit einem Shuttle-on-Demand-Service an den Start — für VW die ideale Shared-Mobility-Alternative zum Pkw im Privatbesitz. Moia wiederum wartet sehnsüchtig auf zugelassene, autonom fahrende E-Mobile. Da schließt sich der Kreis.

Die erste große Sedric-Show soll es 2021 zum Intelligent Transport Systems-Weltkongress geben, der, Sie ahnen es, in Hamburg stattfinden wird. Parallel zur Sedric-Entwicklung beschäftigt sich übrigens die Münchner Audi-Tochter AID als Kompetenzzentrum schon ziemlich intensiv damit, die Sedric-Technik für andere Fahrzeug-Modelle aus dem VW-Konzern passend zu machen, inklusive Porsche. Und natürlich lassen sich auf die Sedric-Grundarchitektur alle möglichen Karosseriehüte setzen – vom geländegängigen SUV-Hochsitzer bis hin zum Sportwagen.

Vielleicht sollten wir zum Schluss noch schnell den Namen des Sedric erklären. Geht ganz easy: Sedric setzt sich aus den Anfangsbuchstaben von self-driving car zusammen. Keine weiteren Fragen? Wir halten Sie auf dem Laufenden. Schließlich arbeiten auch BMW, Ford, GM, Toyota, Waymo, Uber und andere intensiv am fahrerlosen Auto. So viel lässt sich bereits absehen: Promillegrenzen werden in Zukunft ebenso überflüssig sein wie ein Führerschein. Als Taxifahrer würde ich mich schon einmal nach einem neuen Job umsehen.

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