Einsteigen, anschnallen, zurücklehnen: Ab dann übernimmt das Auto alles Weitere. Fast alle großen Hersteller und Zulieferer der Autobranche probieren sich an der Technologie zum autonomen Fahren. Doch sie alle tun sich dabei noch recht schwer. Und so war also auch der Test eines vollkommen autonomen Prototyps in der vergangenen Woche in Wolfsburg keine Präsentation eines der großen Player. Im Gegenteil: Der Vorzeigewagen war ein herkömmlicher, in Serie hergestellter Golf von Volkswagen. Außen sowie innen optisch unauffällig. Lediglich kleine Kameras, etwa an den Außenspiegeln, verraten dem aufmerksamen Beobachter, dass es kein gewöhnlicher Golf ist.

Die Kameras gehören zum Nachrüst-Kit von Kopernikus Automotive UG, einem kleinen, zehnköpfigen Start-up aus Berlin und Potsdam, das den Golf zu einem Selbstfahrer umrüstete. Nach erfolgreicher Jungfernfahrt von Ingolstadt nach Wolfsburg stellten die Gründer ihre Selbstfahr-Technologie beim 2b AHEAD Zukunftskongress in Wolfsburg vor. Eine Weltpremiere.

Autonom per Nachrüstung

Was bereits lange Wunschdenken vieler großer Player der Autobranche ist, setzt ausgerechnet das 2016 gegründete Start-up um. Kopernikus lässt nicht nur vom vollständig autonomen Fahren träumen, sondern macht es mit seiner Technologie real – und vor allem bezahlbar. Autofahrer sollen zukünftig nicht gleich in einen teuren, selbstfahrenden Neuwagen investieren müssen. Vielmehr reichen etwa 3000 Euro aus, um das eigene Auto in ein selbstfahrendes umzurüsten. Einzige Voraussetzung: Der Wagen darf frühestens im Jahr 2015 gebaut worden sein. Denn für das Kit, das aus sieben Kameras und einem Hochleistungscomputer besteht, muss sich mit den bereits an Bord befindlichen Sensoren und Aktuatoren wie etwa die von Einparkassistenten oder Abstandsregeltempomaten verknüpfen können. Und genau das ist der Trick, der den Preis so niedrig hält.

Das Kit kommt mit einer Online-Verbindung, die es ermöglicht, Updates und Upgrades auf das System zu spielen. Das Auto soll auf diese Weise ständig dazulernen. Über einen eigenen App-Store kann der Fahrer Funktionen für unterschiedliche Einsatzzwecke herunterladen: egal, ob Autobahn, Bundesstraße oder den Linksverkehr in England. „Dafür arbeiten wir mit anderen Start-ups zusammen, die in verschiedenen Ländern Selbstfahrsoftware entwickeln und ihre jeweiligen Straßenbedingungen bestens kennen“, sagt Stefan Jenzowsky, Mitgründer und CEO von Kopernikus.

Komplizierte Rechtslage

Zwar befindet sich das Selbstfahrsystem aktuell noch in der Entwicklung, doch das Ziel ist klar: Die Technologie soll ermöglichen, dass europäische Serienfahrzeuge weltweit zum Einsatz kommen und jeweils Verkehrsregeln und landestypische Fahrweisen kennen. Wann Autokäufer das Kopernikus-Kit erwerben können, steht noch in den Sternen. „Das System geben wir vorerst an unsere Start-up-Partner in Israel, Japan, China und Co. ab, damit sie es in ihrem jeweiligen Land testen und anpassen können“, sagt Jenzowsky.

Dass private Autobesitzer in Deutschland sich in naher Zukunft ein Selbstfahr-Nachrüst-Kit kaufen können, hält Hubertus Bardt, Leiter Wissenschaft beim Institut der deutschen Wirtschaft, für wenig unwahrscheinlich, vor allem aus rechtlichen Gründen. Die Straßenverkehrsordnung lässt Fahrer nicht so einfach aus der Verantwortung, die Haftungsfrage ist kompliziert. „Bei einem Selbstfahrauto direkt vom Hersteller stellt sich nur die Frage, ob der Mensch oder das System versagt hat. Bei solch einem Kit ist es weitaus komplizierter“, sagt Bardt. Käme es während der Fahrt mit einem nachgerüsteten Wagen zu einem Unfall, gäbe es gleich vier potenzielle Fehlerquellen: Das Auto, den Fahrer, das System von Kopernikus oder denjenigen, der das Nachrüst-Kit eingebaut hat. „Dass der TÜV und weitere Prüfstellen solch ein Nachrüst-Set durchwinken, halte ich in naher Zeit erstmal für unwahrscheinlich“, fügt er hinzu.

Blick in Richtung USA

Doch der deutsche Markt ist auch nicht das Ziel des Start-ups. Vielmehr richten die Kopernikus-Gründer den Blick auf das außereuropäische Ausland. „Zum einen denken wir an amerikanische Fernfahrer, die Waren quer durch das Land transportieren und von unserer Entwicklung profitieren würden“, sagt Jenzowsky. Insbesondere auf die Software, die das Auto lernen lässt, legen die Unternehmen weltweit den Fokus. „Dieses Selbstlern- und Update-System hat schon das Handy revolutioniert.“

Doch auch wenn das Nachrüst-Kit in Deutschland vorerst nicht salonfähig wird, sieht Auto-Experte Bardt Vorteile: „Die Entwicklungen von Kopernikus und dessen Partnern sind natürlich interessant für die deutsche Automobilbranche. Wenn es wirklich gelingt, durch Nachrüstung den Sprung zu einer autonom fahrenden Flotte zu beschleunigen, können Probleme des Übergangs begrenzt werden.“ Gegenüber der unberechenbaren Fahrweise des Menschen ist die Berechenbarkeit der Roboter in Fortschritt in Richtung mehr Sicherheit im Verkehr. Die Technologie von Kopernikus wäre an sich ein wirklicher Schub für autonomes Fahren, ist sich Bardt sicher. Eine Mischung würde auf Straßen aber zu Problemen führen.

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