Drei Winter und Sommer haben sie an dem Auto entwickelt, die Ingenieure bei Mercedes. „Drunter geht es nicht, die Zeit brauchten wir für eine optimale Abstimmung“, sagt Markus Kern, verantwortlicher Ingenieur für den Feinschliff des elektrischen Antriebsstrangs bei Mercedes. Dafür sind sie nun aber auch spät dran, mit dem Mercedes EQC, später als ursprünglich beabsichtigt und auch drei Monate später als noch im vergangenen Jahr geplant: Voraussichtlich im Oktober, möglicherweise aber auch erst im November steht das Auto bei den Händlern.

Über ein Jahr nach dem Jaguar i-Pace und auch acht Monate nach dem Audi E-Tron – vom Tesla Model X ganz zu schweigen – schiebt nun auch Mercedes ein elektrisches SUV der Mittelklasse nach. Und es ist noch nicht einmal ein waschechter Stromer, sondern nur ein auf Elektroantrieb umgebautes Auto – Experten sprechen von einem Conversion-Design-Fahrzeug. Für eine eigene Elektro-Plattform wie bei Jaguar (Autos, die ausschließlich für einen elektrischen Betrieb konzipiert wurden, nennen die Fachleute Purpose-Design) war die Entwicklungszeit angeblich zu knapp.

Das klingt, als hätte man im Daimler-Vorstand die Energiewende auf der Straße doch beinahe verschlafen. Also baute man kurzerhand den GLC, den es weiterhin mit Benzin- und Dieselmotoren gibt, in drei Wintern und drei Sommern zum Stromer um, mit futuristisch wirkender Front, aber mit altbekannter Karosserie. Doch ist der EQC deshalb gleich ein fauler Kompromiss? Wir werden sehen, bei Testfahrten in Oslo und Umgebung konnten wir erste Eindrücke sammeln.

Knapp unter der Fördergrenze

Der allererste Eindruck, kurz nach der Landung im gelobten Land der Elektromobilität und auf dem Parkplatz des Flughafens Oslo-Gardermoen, wo die Testwagen bereit stehen: ganz schön dicker Brummer. Der Blick in die Papiere bestätigt die Ahnung: Der Allradler stemmt schon im unbeladenen Zustand fast 2,5 Tonnen auf die Waage. Der Audi wiegt zwar noch mal 100 Kilogramm mehr, aber der Jaguar kommt um fast 300 Kilogramm leichter daher.

Jede Menge Platz
Nur in modischen Details und Materialien unterscheidet sich der EQC vom Schwestermodell Mercedes GLC mit Verbrennungsmotor.
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Und auch die Außenmaße disqualifizieren den EQC eigentlich für den Verkehr nach europäischen Maßstäben. Mit 4,76 Metern Länge frisst er nicht nur in der Garage, sondern auch am Straßenrand eine Menge Stellplatz. Der Audi E-Tron ist mit 4,90 Metern sogar noch länger, der Jaguar mit 4,68 Metern deutlich kompakter. Zudem glänzt der Brite mit der besten Raumaufteilung, dank langem Radstand und toller Raumausnutzung. Kein Wunder: Unter der Motorhaube des EQC-Schwestermodells werkeln noch Verbrenner, die Bauraum benötigen.

Das Konstruktionsprinzip der drei Geländewagen ist ansonsten gleich: Ein Elektromotor pro Achse, dazwischen ein großer Akku, Allradantrieb mit Torque Vectoring (zur situationsbedingten Verteilung der Antriebskräfte auf die Räder) – und die kastenförmige Gestalt eines sportlichen Nutzfahrzeugs. Wer sich dergleichen leisten will, sollte gut bei Kasse sein: 71.281 Euro verlangt Mercedes für den EQC – in der Basisausführung. Der Nettopreis (ohne Mehrwertsteuer) beträgt in Deutschland 59.900 Euro.

Damit bleibt das Auto knapp unter der von der Bundesregierung festgelegten Fördergrenze von 60.000 Euro pro Elektromobil. Audi (Nettopreis: 67.142 Euro) und Jaguar (66.764 Euro) hingen haben aktuell keine Chance, in die BAFA-Liste zu gelangen und den so genannten Umwelt-Bonus von 4000 Euro einzustreichen. Allerdings wird Mercedes die Basisausführung des EQC erst im kommenden Jahr liefern können – gestartet wird die Produktion mit einer deutlich teureren Sonderedition, die mit dem Namen 1886 an den Benz-Motorwagen erinnert, der in jenem Jahr erstmals auf die Straße kam.

Aber nun erst mal rein ins Auto. Der erste Eindruck: Hier lässt es sich aushalten. Ob Kopffreiheit, Fußraum – sowohl vorne wie hinten wird so schnell keine Platzangst aufkommen. Wie beim GLC – welch ein Wunder – sitzt der EQC-Fahrer angenehm hoch. Er schaut auf zwei 10,25 Zoll große Displays, die jede Menge Informationen über das Fahrzeug, über Fahrgeschwindigkeit und Möglichkeiten zur Unterhaltung der Insassen bieten.

Viele Funktionalitäten lassen sich per Sprachbefehl steuern: Der Ruf „Hey Mercedes“ weckt den Bordcomputer. Über ein Touchpad in der Mittelkonsole geht das aber auch mit ausgestrecktem Finger. Um den EQC optisch zum Verbrenner-Bruder abzugrenzen, haben die Designer den Innenraum mit hippen Details ein wenig modifiziert. So strömt die Luft aus schmalen Düsen in Kupferfarbe, der obere Teil des Armaturenträgers ist mit einem dünnen Stoff bespannt. Und die Türverkleidung ziert am Anschlag zur A-Säule eine Art offenes Gittermuster. Das sieht alles ganz nett aus. Aber ein bisschen weniger Kunststoff auf den Ablagefächern hätte der Optik auch ganz gut getan.

Schalten und Walten

Das Wichtigste an einem E-Mobil aber ist der Antrieb. Unter dem Fußboden liegt ein 650 Kilogramm schwerer Akku mit 384 Zellen des koreanischen Zulieferers LG Chem und einer Speicherkapazität von 80 Kilowattstunden. Die Batterie ist deutlich kleiner als die im Audi E-Tron (95 kWh) und Jaguar (90 kWh). Mit einer Ladung wären nach der neuen Verbrauchsnorm WLTP und einem Energieverbrauch zwischen 22,3 und 25 kWh, die Mercedes angibt, theoretisch 417 Kilometer drin.

Audi kommt mit einer Akkuladung und einem Durchschnittsverbrauch zwischen 22,6 und 26,2 kWh laut Katalog genauso weit, der Jaguar mit einem Strombedarf zwischen 22 bis 24,8 kWh auf 100 Kilometer einen Tick (470 Kilometer) weiter. Aber das sind alles theoretische Werte. Entscheidend is‘ auf’m Platz, wusste schon Fußball-Legende Adi Preißler. Und wie sagte sein Berufskollege Franz Beckenbauer: Schaun mer mal.

Also rauf auf die Landstraße runter nach Oslo.

Blackbox
Unter der schwarzen Plastikabdeckung könnte auch ein Verbrenner sitzen. Von der feinen Elektrotechnik ist unter der Motorhaube des EQC nichts zu sehen.
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Im Fahrbetrieb wird schnell deutlich, was die Ingenieure in den drei Jahren Entwicklungszeit geleistet haben. Vor allem bei der Abstimmung der Elektromotoren und dem Feintuning der Fahrmodi und Rekuperationssstufen. Nach dem Start fährt der EQC zunächst im Normal-Modus D, bei dem die Bremsenergie nur in geringem Maße zurückgewonnen wird. Über eine Taste in der Mittelkonsole lässt sich das Spiel der Kräfte aber variieren. So kann der Fahrer ja nach Stimmung und Vorliebe zwischen einer sportlichen oder einer sparsamen Fahrweise wählen, komfortabel dahinrollen oder unter Verzicht auf ein paar Komfortfeatures die Reichweite maximieren. Über zwei Schaltpedals am Lenkrad lässt sich obendrein das Rekuperationsverhalten der Motoren verändern. Das Angebot reicht von der Einstellung D+ (Segeln oder Gleiten) bis hin zu D- -. In der Doppelminus-Einstellung lässt sich der EQC allein nur mit dem Gaspedal fahren.

Besonders pfiffig ist jedoch die Stufe „D Auto“: Der Mercedes startet dann ein Assistenzsystem, das auf Navigationsdaten und Verkehrszeichen zurückgreift und Fahrhinweise ins Cockpit einspielt. In Kombination mit dem Fahrmodus „Maximum Range“ muss der Fahrer dann schon heftig gegen einen Widerstand im Fahrpedal ankämpfen, um den Energieverbrauch in die Höhe zu treiben. Außerdem gleicht das System alle zwei Minuten die noch zu fahrende Strecke mit Topografie, Energieverbrauch und dem Verzeichnis der Ladesäulen entlang der Strecke ab – und berechnet dementsprechend die optimale Route neu. Technikverliebten können so auf spielerische Weise die Möglichkeiten der Elektrotechnik ausreizen.

Sparsam nur bei Tempo 80

Das klappt in und rund um Oslo mit seinen vielen Tempo-30-Zonen und Radarkontrollen gut und ist sogar hilfreich. Einmal eingestellt, bleibt der Mercedes wie von selbst im erlaubten Geschwindigkeitsbereich, bewegt sich wie ein Aal im Fluss. Kein Aufschaukeln, kein unangenehmes Abbremsen. Aber der EQC kann auch anders – auf der Fahrt über die Autobahn raus aufs Land. Selbst im Eco-Modus beschleunigt das E-SUV zügig durch Kurven. Bei sanften Pedaldruck arbeitet nur der vordere Motor, zieht den 2,5-Tonner gemütlich an. Überwiegend laufen aber beide Motoren zusammen. Eine dynamische Momentenverteilung sorgt dabei für ein lastfreies Zusammenspiel.

„Die genaue Abstimmung war schwierig, weil wir ruckartigen Bewegungen und Schlagen vermeiden wollten“, sagt Entwickler Markus Kern. Das zeigt sich deutlich, wenn der Fahrer in den Sport-Modus wechselt und das Fahrpedal bis aufs Bodenblech durchtritt: Die beiden Elektromotoren an der Vorder- und Hinterachse mit zusammen 300 Kilowatt (408 PS) Leistung und 760 Newtonmeter Drehmoment machen den EQC dann zu einem – schwergewichtigen Flitzer, der in 5,1 Sekunden die Marke von 100 km/h reißt.

Der Audi (300 kW/408 PS) schafft das in 5,7 Sekunden, der Jaguar (294 kW/400 PS) in 4,8 Sekunden. Anders als bei Jaguar bleibt der Mercedes auch bei voller Beschleunigung leise. Keine heulende E-Maschine stört, nicht mal ein Surren ist zu hören.

Mach mal Pause
Maximal 110 Kilowatt Strom kann der Mercedes EQC in einer Stunde aufnehmen – sofern die Ladesäule das hergibt.
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Wer allerdings der Freude an der Beschleunigung frönt, wird am Steuer eines Elektroautos schnell bestraft. Der Energieverbrauch schnellt in die Höhe, die Reichweite sinkt rapide. Darin sind sich alle drei SUVs gleich. Der Bordcomputer eines e-tron wirft nach einem Sprint mit Tempo 200 schnell mal einen Wert von 29 kWh für eine Fahrstrecke von 100 Kilometern aus – und rät alsbald zum Aufsuchen einer Ladesäule.

Die Testfahrt des EQC endete nach ein paar Stunden mit einem durchschnittlichen Energieverbrauch von 23,5 kWh – allerdings bei einer insgesamt sehr zurückhaltenden Fahrweise, bei Beachtung aller Tempolimits und einer Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h. Unter deutschen Alltagsbedingungen dürften deutlich höhere Verbrauchswerte herauskommen – und eine maximale Reichweite von weniger als 300 Kilometern mit einer Akkuladung. Wetten?.

Der Preis des Komforts

Ob so ein schweres SUV ökologisch ist? Sicher nicht. Der Energieverbrauch ist bei allen drei SUV schon bauartbedingt sehr hoch. Er ist unter anderem dem hohen Gewicht geschuldet, den breiten Reifen, dem Luftwiderstand , aber beim Mercedes auch einer Vorfunktion geschuldet: Auf Kurzstrecken, an kalten Tagen und bei Fahrgeschwindigkeiten von bis 40 km/h gehen beim EQC über 40 Prozent der Energie dabei drauf, die Batterie aufzuwärmen. Selbst die verschiedenen Rekuperationsstufen können diese Verluste nur zu 60 Prozent wieder hereinholen, geben die Ingenieure kleinlaut zu.

Dafür ist der EQC ein sehr komfortables SUV, das umweltbewegten Menschen mit dicker Geldbörse den Umstieg auf die Elektromobilität leicht machen sollen. Die Umgewöhnungszeit ist kurz, die Reichweitenangst dürfte sich bei den meisten Fahrten in Grenzen halten. Zur Markteinführung bietet Mercedes deshalb ein Holiday-Mobilitätspaket ein: Wer partout mit dem Auto in den Urlaub fahren und damit lange Strecken bewältigen will, mietet sich darüber zu Sonderkonditionen einen Verbrenner.

Was die Mercedes-Ingenieure in drei Sommer und Wintern geleistet haben, lässt sich dann aber nicht erfahren.

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