Normalerweise meide ich die Stadt zu Weihnachten – Menschenmassen, stinkende Autos, Gedrängel und Gehupe. Dieses Jahr werde ich es mir jedoch überlegen. Denn die Madrider Bürgermeisterin Manuel Carmena hat kurzen Prozess mit betrunkenen Autofahrern, verstopften Straßen, Krach, Gestank und Menschenmassen auf Bürgersteigen gemacht. „Madrid Central“, wie der Masterplan der fast autofreien Stadt genannt wird, startete am 30. November. Auf der 472 Hektar großen Fläche befinden sich auch das Universitätsviertel und die Gerichte. Hier gibt es bereits seit geraumer Zeit Zufahrtsbeschränkungen.

Nach monatelangen Protesten, vor allem von Bewohnern und konservativen Lokal-Parteien aus den Madrider Vororten, sind sich jetzt fast alle einig, dass es keine Alternative gibt. Es werden offiziell auch nicht alle Autos aus dem Zentrum verdammt, sondern nur die alten. „Wer eine etiqueta ambiental (Deutsch: Umweltplakette) vom Straßenverkehrsamt bekommt, darf weiter in die Stadt fahren“, heiβt es bei der Verwaltung. Aber natürlich spekuliert Carmena darauf, dass vielen der Gang zum Postamt, um diese Plakette für fünf Euro zu erwerben, zu mühsam ist. Und sie das Auto ab sofort aus Bequemlichkeit zuhause lassen, nicht nur über die Weihnachtstage. Taxis, auch die privaten Fahrdienste, bekommen übrigens nur noch Lizenzen, wenn sie elektrisch oder mit Gas fahren.

Madrid zu Fuß ist stressfreier und billiger

Seit geraumer Zeit gab es bereits drei beschränkt befahrbare Zonen in Madrid und kurzfristige Fahrverbote, wenn der Schadstoffgehalt in der Luft die Grenzwerte überschritten. Die Transportunternehmen melden seitdem Rekordzahlen. Über drei Millionen Menschen nutzten allein am ersten Adventswochenende den Bus, über sieben Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Am letzten Freitag im November, als die Maßnahme startete, verzeichneten der Madrider Busbetreiber EMT sogar einen historischen Rekord mit 1,6 Millionen Fahrgästen an einem Tag. Auch der Nahverkehr auf der Schiene meldet seit Jahren Zuwächse und kam 2017 auf knapp 242.000 Fahrgäste, 14.000 mehr als bei Carmenas Amtsantritt 2015.

Ich fahre seit einem Jahr nicht mehr mit dem Auto in die Innenstadt. Viele Monate besaß ich auch kein Fahrzeug und hatte damit keine andere Wahl. Meine Erfahrung: Es kostet Überwindung, vor allem im Winter und zu Stoßzeiten. Aber egal ob zum Flughafen oder zur Pressekonferenz im Zentrum, mit Straßenbahn, Bus oder Metro war es letztendlich stressfreier – vor allem in Anbetracht der doch eher aggressiven Fahrweise der Madrilenen.

Harte Strafen und wenig Parkmöglichkeiten

Auch die nervende Parkplatzsuche verleidet mir die Fahrt in die Stadt. Mein Auto kann ich auch mit Umweltplakette in Madrid nur in Ausnahmefällen an der Straße abstellen. Eine Stunde Parkhaus kostet immerhin um die 3,50 Euro. Einen freien Platz findet der Besucher an Hotspots wie Gran Vía oder Calle Atocha nur noch selten.

Mit dem Auto in die Stadt zu fahren ist somit einfach nicht mehr rentabel. Deswegen haben sich auch Dienste wie Drivy – eine Plattform fürs private Carsharing – rasend schnell in Madrid verbreitet. Ich selber vermiete mein Auto darüber jetzt an andere, da ich es nicht mehr jeden Tag benötige.

Wer sich nicht an die neuen Regeln hält und mit dem Auto ohne Erlaubnis ins Zentrum fährt oder falsch parkt, muss 90 Euro zahlen. „Das schmerzt“, gibt der 46-jährige Unternehmer Alvaro Rodríguez zu. Er liebt Motorrad- und Autofahren, aber er nutzt schon seit einigen Jahren Nahverkehrszug, um von der Vorstadt Aravaca nach Madrid zu kommen. Er teilt nicht unbedingt Carmenas linke Einstellung, findet ihre Umweltpolitik aber richtig: „Ein fast autofreies Madrid ist einfach eine logische Entwicklung.“

Mehr Touristen, mehr Fahrräder, mehr Lebensqualität

Auch der wachsende Städtetourismus forderte von der linken Madrider Stadtverwaltung andere Mobilitätskonzepte: 2017 hat die Metropole mit 12 Millionen Gästen einen neuen Rekordwert verzeichnet. In diesem Jahr ist die Zahl um weitere fünf Prozent angestiegen. Touristen wollen in Madrid vor allem Museen, Theater, Musicals und Shops besuchen. Die Einkaufsstraße Gran Vía wurde deswegen in den vergangenen Monaten komplett umgebaut, damit dort mehr Menschen Fahrrad fahren und ruhig schlendern können. Die Bürgersteige wurden am spanischen Timesquare noch breiter gemacht.

„Wir hatten genug Zeit, uns auf diesen Wandel vorzubereiten“, sagt die Madrilenin Sonia Pérez. Die 50-Jährige besitzt schon lange eine Vespa und mit der darf sie mit Plakette weiter durch die Stadt fahren: „Aber ich benutze auch die zahlreichen Angebote an Elektro-Fahrrädern und -Rollern, die hier wie Pilze aus der Erde schießen.“ Der 19-jährige Alvaro Bernat hat mit Carmenas Politik auch kein Problem. Er muss jeden Morgen an die Madrider Uni und nimmt manchmal das Fahrrad in der Metro mit: „Aber es fehlt noch an sicheren Wegen“, klagt der angehende Forstwirt. Ein Fahrradweg zwischen Taxispur und Autos, wie es jetzt in Madrid praktiziert werde, sei Wahnsinn.

Bernat fährt dennoch gerne ohne Helm. Eine Pflicht gibt es noch nicht. Aber auch das dürfte sich bald ändern. Denn die Bevölkerung wird für Sicherheitsfragen sensibilisiert werden, wenn die Verwaltung weiter mehr Platz fürs Fahrrad schafft, weil sich weniger Autos im Zentrum breitmachen.

Es bleiben Herausforderungen für den Nahverkehr

Carmena hat noch viel Arbeit und Investitionen vor sich. Das wird sich jetzt zeigen, wenn Geschäfts- wie Privatleute ihre traditionellen Weihnachtsumtrunke und Unternehmenspartys im Zentrum organisieren. Die Deutsche Claudia Haubner, die in einem der Vororte wohnt, machte schon vergangenes Jahr ihre leidvollen Erfahrungen: „Damals habe ich in der Innenstadt kein Taxi mehr bekommen und 30 Minuten um 4 Uhr morgens in der Kälte gestanden. Es gab keine Busse und keine Metro mehr zu dieser Zeit. Ich musste schließlich einen Freund aus dem Bett klingeln, damit er mich mit seinem Auto aufsammelt. Dieses Jahr muss das irgendwie besser geregelt werden mit mehr Bussen und einer Metro, die vielleicht wie in Berlin, die ganze Nacht fährt, zumindest am Wochenende.“

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