Sogar Liblar, ein 13.000 Einwohner zählender Stadtteil im rheinischen Erftstadt, verfolgt einen „Masterplan“. Wenn einer dafür sorgt, dass der Katalog an Infrastrukturprojekten seinen Namen verdient, dann ist es Donald Müller-Judex. Das zumindest lässt der 56-Jährige Gründer, gelernter Maschinenbauer und selbst erklärter „Erfinder“ schnell durchblicken. Denn alles, was es da so an neuen Querungshilfen vor Einkaufszentrum und barrierefreien Wegen geben soll, sei „relativ unspektakulär“, wie er sagt. Abgesehen natürlich vom innovativen Part des Plans: einem 90 Meter langen Radweg aus Solarmodulen, von ihm entwickelt und finanziert mit Mitteln des Bundesumweltministeriums.

An diesem Montag präsentiert er mit der Ministerin Svenja Schulze die Solarstraße. Sie ist eine Premiere in Deutschland. Der erzeugte Strom kann ins Netz eingespeist werden und den Weg im Winter auf Plusgrade wärmen. Aber verglichen mit dem, was Müller-Judex langfristig mit den Straßen der Welt vorhat, ist auch das – um seine Worte aufzugreifen – relativ unspektakulär: Denn eines Tages will sein Berliner Start-up Solmove die gewonnene Energie nutzen, um E-Autos noch während der Fahrt kabellos zu laden.

Mitte Oktober wurde das Unternehmen daher auch in der Kategorie „Visionary Reality“ mit dem „Germany New Mobility & Connectivity Award“ ausgezeichnet, einer Initiative des Handelsblatt und des Stuttgarter Projektbüro zet:project.

Die Gründungsgeschichte, die Müller-Judex stets erzählt, handelt von einer Autofahrt durch das Allgäu, auf der Suche nach einer Fläche für eine Photovoltaikanlage. „Aber alle Dächer wurden bereits genutzt, jeder Reitstall, jede Scheune, jedes Haus“, sagt er. Und so fing er an darüber nachzudenken, ob nicht die asphaltierte Fläche selbst genutzt werden könne, auf der er just durch die ländliche Gegend kurvte. „Das hat einen wirtschaftlichen und ökologischen Vorteil, weil wir weder die Landschaft verschandeln, noch Flächen versiegeln müssten“, so Müller-Judex.

Um das Potenzial zu ermitteln, reiste er nach Bad Hersfeld, eine „typisch mittelgroße deutsche Stadt“, die er exemplarisch vermaß. „Im Stadtzentrum beispielsweise ergibt eine Solarstraße keinen Sinn“, sagt er. Da würden zu viele Autos parken und hohe, eng aneinander gebaute Häuser zu weite Schatten werfen. Geeignet für die Solarnutzung sei daher nur etwa ein Viertel. Hochgerechnet auf das gesamte Bundesgebiet wären das allerdings 1.400 Quadratkilometer, also fast die doppelte Fläche Hamburgs.

Solarstraße liefert Strom für vier Haushalte

In Erftstadt fiel die Wahl auf einen 200 Quadratmeter großen Abschnitt eines Radwegs, der zwischen einem Acker und einem Wohngebiet liegt. Die speziellen Solarmodule der Maße 1,2 mal 1,2 Meter werden zusammengesteckt und so auf dem bestehenden Asphalt verlegt, dass Strom zwischen ihnen fließen kann. Die Oberfläche ist aus rutschfestem und schmutzabweisendem Glas, das die Sonnenstrahlen auf die darunter liegenden Solarzellen treffen lässt. Die gewonnene Energie wird ins öffentliche Netz eingespeist. 16.000 Kilowattstunden sind das jährlich, ausgehend davon, dass jeder Quadratmeter 80 Kilowattstunden liefert.

Strom aus der Straße
So stellt sich Solmove den Solar-Radweg der Zukunft vor
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Das nötige Know-How musste Müller-Judex sich erst einmal selbst aneignen. Denn bei Solmove stoßen viele Fachbereiche aufeinander: Solarenergie, Straßenbau und Leistungselektronik beispielsweise. „Das gibt es ja nicht irgendwo als Studiengang“, sagt er. 2014 gründete Müller-Judex Solmove daher im Forschungsverbund mit zwei Fraunhofer Instituten, der RWTH Aachen und der Universität Bayreuth. Noch arbeiten nur drei Personen fest für das Start-up. Im kommenden Jahr sollen es zehn werden.

„Wir haben jede Menge Anfragen“, sagt Müller-Judex. Für Rheinenergie und für die Ruhrkohle AG entstehen Testanlagen in Köln und Recklinghausen, sowie ein Parkplatz für eine westfälische Firma und einen Radweg für eine Softwarefirma aus dem Silicon Valley. Mit der deutschen Bahn prüft er das Potenzial von Solarmodulen auf Bahngleisen. Im kommenden Jahr startet zudem der Verkauf der Solarmodule an Privatpersonen und Firmen, die ihre Einfahrten und Parkplätze mit pflastern wollen.

Die genauen Kosten will oder kann Müller-Judex noch nicht beziffern. Erftstadt zahle 370 Euro pro Quadratmeter, macht 74.000 Euro für den Abschnitt des Radwegs, erklärt er – aber verweist auf die hohen Entwicklungskosten: „Natürlich hat das insgesamt mehr gekostet. Noch ist es nicht so, dass Erftstadt damit Geld verdient“. Seine Solarstraßen müssten jedoch langfristig und umfassend kalkuliert werden, meint er. Denn: Mit Sensoren ausgestattet könne die Technik hilfreiche Informationen für die Ampelschaltung und Verkehrsplanung liefern. Eingebaute LEDs können beispielsweise Rettungsgassen für Krankenwagen anzeigen.

Solmove Solwalk
Der Solmove Solwalk kann in Hauseinfahrten verlegt werden.
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Und dann ist da noch die Heizfunktion. „Der Winterdienst kostet jede Saison 200 Euro pro Quadratmeter aber mit unser Technik nur jeweils 30 Euro“, rechnet Müller-Judex vor. Allerdings gilt das nur unter der Bedingung, dass die Straßen 25 Jahre halten würde, selbst wenn tonnenschwere Lkw über sie brettern würden. Darauf deutet ein Testergebnis der RWTH Aachen, dem zufolge Glas besser halten würde als leicht zerbröselnder Asphalt. „Das ist eine Annahme“, räumt der Solmove-Gründer jedoch ein. „Den Beweis haben wir noch nicht.“

Werden die Seitenstreifen an den Autobahnen zur Solarfläche?

Mit solchen Unabwägbarkeiten will er sich ohnehin nicht lange aufhalten. Er hat eine größere Vision, von der er sich erhofft, auch die letzten Zweifler zu überzeugen. Die Zukunft der Mobilität ist für ihn elektrisch. Und er möchte den Strom dafür liefern. Deshalb kooperiert mit einer finnischen Firma, die seine Solarstraße mit einer Technologie ausstatten könnte, die Autos induktiv während der Fahrt laden lässt.

„Es könnte sein, dass sich das bereits in wenigen Jahren auf Busspuren verbreitet“, sagt er vor allem mit Blick auf asiatische und südamerikanische Länder: „Dadurch würde man mit viel geringeren Batteriekapazitäten auskommen“. Langfristig könnten so auch die ungenutzten Seitenstreifen deutscher Autobahnen die nötige Energie erzeugen, um die vorbeirauschenden Autos kabellos anzutreiben. „Bis dahin dauert es aber noch etwas“, so der Gründer.

Er ist nicht der einzige, der sich auf den Weg gemacht hat, Solarstraßen zu bauen. In den Niederlanden beispielsweise gibt es bereits einen Solarweg für Radfahrer. Und in Frankreich hat Wattaway den ersten Autobahnkilometer eröffnet. Müller-Judex lässt sich von der Konkurrenz nicht einschüchtern: „Die sind sicherlich gut, die Welt ist aber deutlich größer, als dass sie von ein paar Firmen bedient werden kann.“ Über seine kleinen, einfach ineinander zu steckenden Solarplatten sagt er außerdem: „Wir können sie sehr schnell verlegen.“ Um die vielen Anfragen abzuarbeiten, muss er das auch. Und zwar spektakulär schnell.

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