Auf dem „Handelsblatt Auto-Gipfel“ in Stuttgart spricht VW-Konzernchef Matthias Müller mit Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart und Chefredakteur Sven Afhüppe über die Herausforderungen in der Elektromobilität – und verrät dabei wie sich die Wolfsburger den Wandel auf der Straße vorstellen.

Herr Müller, in Berlin laufen die Verhandlungen zur Jamaika-Koalition. Was sind Ihre Erwartungen?
Zunächst wünsche ich mir, dass die Diskussion um die Autoindustrie wieder versachlicht wird. Außerdem wollen wir beim Thema Mobilitätskonzepte enger mit der Politik zusammenarbeiten. Ich würde mir wünschen, dass auch eine neue Regierung in Berlin erkennt, wie systemrelevant unsere Branche ist. Im Wahlkampf ist zu leichtfertig mit der Industrie und auch mit Volkswagen umgegangen worden. Ich würde mir mehr Anerkennung dafür wünschen, dass wir unsere Fehler erkannt haben und unser Unternehmen dramatisch verändern.

Brauchen wir in der Regierung eine Bündelung der Kompetenzen, die mit dem Thema Auto und Mobilität zu tun haben?
Ich habe in jungen Jahren als Volontär im japanischen Wirtschaftsministerium Miti gearbeitet, in dem die Kompetenzen exakt so gebündelt waren und das bis heute großen Einfluss in Japan und der Welt hat. Ein solches Superministerium könnte ich mir auch in Deutschland sehr gut vorstellen.

Solch ein Ministerium würde sich um Strukturfragen der Zukunft kümmern?
Heute sind die Kompetenzen in Deutschland über viele Ministerien verteilt. Bei der Digitalisierung und der Elektromobilität wird viel gesprochen und zu wenig gehandelt. Wir müssen zu einer Planung kommen, die auch verschiedene Industriebranchen mit einschließt. Nicht nur die Autobranche gehört dazu, sondern etwa auch die Energieindustrie, IT, Digitalwirtschaft. In einer solchen Zusammenarbeit müssen konkrete Pläne entstehen, die dann wirklich verbindlich sind.

Ist die digitale Kompetenz in der Regierung überhaupt vorhanden?
Ich würde nicht sagen, dass es eine solche Kompetenz nicht gibt. Aber es gibt auf jeden Fall die passenden Ansprechpartner in der Industrie, mit denen man darüber reden könnte.

In den aktuellen Koalitionsverhandlungen spielt das Thema Ladenetz überhaupt keine Rolle. Ein Problem?
Das wird sich ändern müssen. Sonst werden wir weiter an unserem Mobilitätsproblem kranken. Ich weiß nicht, wie wir die Luft sonst sauber bekommen.

Ist das ein Politikversagen?
Es steht mir nicht zu, von Politikversagen zu sprechen. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass wir uns mit dem Thema früher beschäftigen. An der Stelle ist viel zu wenig passiert.

In anderen Weltregionen wie China geht das schneller…
Die Chinesen werden zurecht zunehmend selbstbewusster und haben technisch stark aufgeholt, was insbesondere die Digitalisierung und die Elektromobilität betrifft. Nichtsdestotrotz liegt es auch an uns, dort mit erfolgreichen Konzepten anzutreten.

Die Forderungen der Chinesen sind anspruchsvoll, was die Einführung einer Quote für Elektrofahrzeuge zeigt. Kommen Sie damit klar?
Sie sind auch kompromissbereit. Wir haben uns frühzeitig in die Diskussion eingebracht – und das hat am Ende zu einem vernünftigen Ausgleich zwischen chinesischen Behörden und vor allem den deutschen Herstellern geführt.

Die Amerikaner leiden an der Dominanz der deutschen Autohersteller, die Chinesen arbeiten vehement an ihrem Aufstieg: Erleben wir gerade den Versuch, die Dominanz der Deutschen zu brechen?
Der Versuch ist sicherlich da. Und es sind nicht nur die Chinesen. Denken Sie allein an die großen IT-Konzerne, die sich intensiv mit dem Thema Mobilität beschäftigen. Fakt ist: Wir haben ein Mobilitätsproblem in vielen Städten der Welt – und dieses Problem gilt es zu lösen. Am Ende werden wir sehen, wer die Nase vorne hat.

Sie wollen 80 Elektromodelle in den kommenden Jahren entwickeln. Ist das überhaupt realistisch? Die Nachfrage ist heute doch noch gar nicht vorhanden.
Die Nachfrage wird durch attraktive Produkte zustande kommen. Und wir sollten nicht immer nur nach Deutschland schauen. Wir Deutschen sind, was technische Neuerungen betrifft, immer etwas konservativ. Das ist in China und den USA anders. Aber Sie haben Recht: Wir brauchen natürlich auch eine ausreichende Infrastruktur mit der entsprechenden Anzahl von Ladestationen. Ich denke, dass auch die neue Bundesregierung dafür sorgen wird, dass es an dieser Stelle vorangeht. Aber ein ganz wichtiger Punkt: Volkswagen wird auch weiter Verbrennungsmotoren entwickeln, Diesel und Benziner. Denn wir werden ohne diese Motoren auch künftig und auf absehbare Zeit nicht auskommen.

Was ist denn diese „absehbare“ Zeit?
Um das Jahr 2030 herum dürften wir den Zeitpunkt erreichen. Dann wird die Elektromobilität Oberhand gewinnen.

Dann haben die Grünen mit ihrer Forderung für ein Ende des Verbrennungsmotors gar nicht so falsch gelegen?
Die liegen gar nicht falsch. Ich sage nur, dass es nicht gleich morgen soweit ist. Es wird noch längere Zeit eine Koexistenz geben. Und dann gibt es noch andere alternative Antriebsarten, der Erdgasantrieb ist nur ein wichtiges Beispiel. Auch Wasserstoff bleibt eine Alternative.

Was muss noch alles passieren, damit Elektroautos wirklich in der Masse auf den Straßen fahren können? Reicht unser Stromnetz?
Als erstes brauchen wir ein Schnelllade-netz entlang der europäischen Autobahnen. Dafür haben die deutschen Hersteller ein Konsortium gegründet, das seine Arbeit jetzt aufnimmt, mit über 400 geplanten Stationen entlang der Autobahnen. Das ist natürlich nur ein erster Schritt und ein Tropfen auf den heißen Stein. In den Metropolen muss entsprechend ein flächendeckendes Ladenetz aufgebaut werden. Dazu können auch Unternehmen einen Beitrag leisten, wenn sie Ladestationen für ihre Mitarbeiter bauen lassen. Unsere deutsche Stromwirtschaft sollte kompetent genug dafür sein, die entsprechenden Kapazitäten für Ladespitzen zu schaffen.

Das komplette Interview finden Sie auf Handelsblatt Online

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