Kennen Sie Polestar? Nein, sollten Sie aber. Denn Polestar ist nach eigener Definition Volvos elektrifizierte Performance-Marke. Volvo spielt ja neuerdings nicht nur den traditionsreichen schwedischen Autobauer mit der vorbildlichen Sicherheitstechnik, sondern auch den nordischen Vorreiter für cleane Mobilität. Und Polestar („Polarstern“) wiederum ist gewissermaßen die edle Speerspitze für das, was bei Volvo demnächst stromt und außerdem besonders stark ist. So eine Art von Oberpremium für die Generation E. Sehr sportlich und natürlich ziemlich teuer.

Das geht zügig voran, zeigt sich jetzt bei der Eröffnung des neuen globalen Headqarters „Cube“ (Würfel) in Göteborg, zu der Konzernchef Hakan Samuelsson persönlich kam und erst einmal was Grundsätzliches sagte: „Polestar wird eine sehr bedeutende Rolle bei der Elektrifizierung von Volvo spielen.“ Das wissen wir längst, aber auf alle Fälle wirkt dieser strahlend weiße, mehrstöckige Bürokasten so cool wie neuerdings das Autodesign der schwedischen Traditionsmarke. Viel Glas an der Front, viel Licht und mittendrin eine raue stählerne Wendeltreppe, die sich bis in die dritte Etage windet.

Genauso cool, minimalistisch und clean plant Volvo für seine neue Marke auch das Showroom-Konzept namens „Polestar Space“, das demnächst weltweit in insgesamt 60 großen Metropolregionen platziert werden soll. „Polestar wird das Kundenerlebnis neu definieren“, erklärt Polestar-Chef Thomas Ingenlath, der in Personalunion auch noch Volvos Chefdesigner ist. „Die Spaces sind ein bedeutender Bestandteil unseres Vertriebskonzepts.“ In Oslo, also der Hauptstadt des Elektro-Vorzeigelandes Norwegen, gehe es Mitte nächsten Jahres los. Selbstverständlich in einer angesagten Shopping-Gegend. Und Volvo sei gerade dabei, „eine Reihe weiterer Standorte für Polestar Spaces in aller Welt festzulegen“, so Ingenlath weiter.

Für die möglichen deutschen Standorte gibt es auch schon einige Ideen, mit diversen potentiellen Investoren, hauptsächlich gut etablierte Volvo-Händler, wurde schon aufmunternd geredet. Mindestens acht Spaces in großstädtischen Toplagen könnte sich Volvo Deutschland hierzulande vorstellen, dazu etwa 15 Servicepunkte. Alles noch ein bisschen früh und nicht spruchreif, aber nach erster Planung sind hier Berlin, Hamburg, München, Frankfurt, Düsseldorf, Köln sowie Dresden und Leipzig schon mal mit von der Partie.

Die Idee hinter diesen Boutiquen: Polestar will zwar ein komplett digitales Verkaufserlebnis offerieren, dass es den Kunden erlaubt, alles rund um den Fahrzeugerwerb online zu erledigen, doch die Polestar Spaces mit Präsentationsflächen für bis zu drei Fahrzeugen sollen die relaxte Möglichkeit bieten, Polestar-Experten zu treffen, sich die feinen Fahrzeuge aus der Nähe anzuschauen, Probefahrten zu buchen und am Ende mal Tacheles, also übers Geld, zu reden.

Die Köpfe hinter Polestar
Volvo-Chef Hakan Samuelsson und Polestar-Chef (und Volvo-Chefdesigner) Thomas Ingenlath neben einem Polestar 1.
© Copyright Frank Elschner

Wie so ein bis zu 250 Quadratmeter großes Space gestrickt ist, zeigen die ersten Fotos. Wir sehen eine Einrichtung mit sehr glatten Flächen, alles in Stahlgrau. Minimalistischer als eine Edelstahlküche, obercool bis in den letzten Winkel. Gemütlich ist anders. Garantiert ein Paradies für hippe, sehr solvente und nicht mehr ganz so junge Turnschuhträger. Klar, Loungesessel. Klar, entspannende Loungemusik im Hintergrund. An den Wänden integrierte gläserne Schaukästen mit den nackten technischen Highlights der neuen Modelle.

Polestar 1: Ein nordischer Überflieger als Plug-in-Hybrid

Fehlen nur noch die Autos, die sich hier zeigen sollen. Keine Angst, sagen die Manager der neuen Marke, der Polestar 1 sei ja schon in Sichtweite. Ein extrem sportlicher, coupehafter 2+2-Sitzer, der mit 441 kW (600 PS) und 1.000 Nm Drehmoment in nur 3,8 Sekunden auf Tempo 100 rasen kann. Ein Ampelsprintsieger mit einer elektronisch limitierten Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h, selbst rein elektrisch geht es bis 160 km/h. Nix für kuschlige schwedische Elch-Reviere, eher was für deutsche Autobahnen. Aber das schnörkellose, sehr nordische Design des Sportwagens, das sichtbar diverse Volvo-Gene trägt, hebt sich wohltuend ab von den optischen Krawallos der Konkurrenz. Wie sich der Polestar-Stil eigentlich definiere, wollen wir wissen. Ingenlath, sehr schlank in seinem eng sitzenden senffarbenen Anzug, haut emphatisch die Kurzfassung raus: „Pure, Progressive, Performance!“

Kurz zur Technik: Den Antrieb des GT-Sportcoupés übernimmt ein rund 360 PS starker Vierzylinder-Kompressor-Turbobenziner mit zwei Liter Hubraum aus dem aktuellen Volvo-Baukasten, der die Vorderachse antreibt. An der Hinterachse indes treiben gleich zwei Elektromotoren mit je 80 kW (109 PS). Ein bisserl was (34 kW) steuert auch noch der Startergenerator zu. Das bringt in Summe die erwähnten 600 PS Systemleistung. Und weil jeder der beiden E-Motoren hinten ein eigenes Planetengetriebe hat, gibt es hier für schöne Kurvenschwünge das sogenannte Torque-Vectoring, mit dem sich wie im Rennsport elektronisch-automatisch blitzartige Beschleunigungsschübe fürs rechte oder linke Hinterrad aktivieren, welche die Kurvenfahrt enorm verbessern. Wobei es sich mit Polestar 1 nach Aussage der Testfahrer auch völlig entspannt herumrollen lässt. Ohne Getöse und Getröte, sondern im Elektro-Modus (bei Polestar „Pure“ genannt) mit zartem elektrischen Gesumme.

Wie es drinnen aussieht? Alles schick und fein im Cockpit, auffällige Anlehnung an die aktuelle Volvo-Linie. Also lifestylisch, chromveredelt und digitalisiert. Vorn, wir haben es im jetzt serienreifen Modell probiert, ist auch Platz für zwei Sitzriesen, hinten für deren Kids. Allerdings wiegt das komplette Auto trotz Kohlefaserkarosserie rund 2200 Kilo, allein die Batteriepakete steuern da 320 Kilo bei. Und der Kofferraum ist mit geschätzten 250 Litern Volumen nicht unbedingt ein Fall für Koffer. Da passen wahlweise zwei schlanke Lufthansa-Bordtrolleys oder (laut Polestar) ein Golfbag rein. Schuld daran sind die zwei heckwärtigen Lithium-Ionen-Batteriestapel (Nummer drei liegt im Mitteltunnel), die sich da etwas breitmachen. Okay, für ein nettes Wochenende zu zweit reicht der Stauraum.

Prinzipiell ist es eine kitzlige Frage, ob dieser 4,50 Meter lange und nur 1,35 Meter hohe Leistungssportler nun der passende Einstieg in die Polestar-Zukunft ist, denn diese Verbrenner-Elektrozwitter haben ja auch bekannte Nachteile, weil sie ökologisch immer ein Kompromiss sind. Ingenlath sieht da keinen Widerspruch. Im Gegenteil. „Der Polestar 1 ist ein Aushängeschild, ein Dream Car, dieses Auto wird der Marke eine emotionale Initialzündung geben“, sagt er lächelnd mit sanfter Stimme. Außerdem biete dieses Auto mit seiner Batteriekapazität von 34 kWh immerhin 150 Kilometer Reichweite im rein elektrischen Fahrbetrieb — mehr als jedes andere Plug-in-Hybridfahrzeug der Welt. „Wetten, dass Sie mit dem die meiste Zeit elektrisch fahren?“ Könnte sein und falls nicht: Die Benzin-Strom-Gesamtreichweite erreicht dank eines 60-Liter-Tanks üppige 900 Kilometer.

Die Produktion der ersten 34 Prototypen hat gerade begonnen. Sie werden quasi in Handarbeit am Volvo-Standort Göteborg gefertigt – für weltweite Fahrtests und um sie in diversen Crashversuche kaputt zu machen. Natürlich ist das Ganze auch eine Produktions-Testphase für die künftigen Polestar 1-Kundenfahrzeuge, die, kriegen Sie jetzt bloß keinen Schock, nicht in Schweden, sondern im neuen Polestar-Produktionszentrum im chinesischen Chengdu gebaut werden.

Tja, nur mal zur Erinnerung: Volvo gehört seit 2010 zum chinesischen Fahrzeugkonzern Geely („Glück verheißende Automobile“), mit dem Volvo bisher bestens gefahren ist, weil man in Göteborg bei fast allen wichtigen Entscheidungen relativ freie Hand und genügend Taschengeld für Zukunftsprojekte hatte. Und das völlig neue Werk in Chengdu, das nach dem Jahreswechsel seinen Betrieb aufnimmt, passt mit seinem elegant geschwungenen, luftigen Layout wohl bestens zur Marke, es ist laut Volvo die energetisch und ökologisch vorbildlichste Autofabrik im Reich der Mitte.

Im ersten Quartal nächsten Jahres beginnt hier die Serienproduktion des Polestar 1, spätestens im Juli folgen die ersten Kundenfahrzeuge, die dann per Bahn auch nach Deutschland rollen. Von den 200 bis 300 Autos, die Polestar noch bis Ende 2019 bauen wird, dürften aber schätzungsweise nur rund 20 bei uns ankommen. Kein Wunder, denn zwischen 30 und 40 Prozent der Polestar-Produktion bleibt gleich auf dem chinesischen Markt.

Ausblick auf den Markenauftritt
Das skandinavisch-minimalistische Design des neuen Headquaters gibt auch einen Ausblick auf den Markenauftritt in den Polestar Spaces.
© Copyright Frank Elschner

Der hohe Preis von 155.000 Euro (ohne Extras) scheint jedenfalls nicht abzuschrecken. Polestar hat bis jetzt 590 Vorbestellungen gesammelt, allein 200 davon in den USA. Alle diese Jungs und Mädels haben 2500 Euro angezahlt, um nachher bei der Verteilung von Polestar 1 ganz vorn dabei zu sein, ohne tagelang im Schlafsack vor dem Polestar-Space kampieren zu müssen. Schließlich hat dieses erste Modell eine gewisse Exklusivität: Maximal 500 Exemplare sollen jährlich gebaut werden, heißt es offiziell. Und das auch nur drei Jahre lang. Andererseits, so verrät uns ein Polestar-Manager hinter vorgehaltener Hand, könne man „bei entsprechender Nachfrage“, die Jahresstückzahl durchaus auf 750 Exemplare erhöhen.

Wobei Volvo den Polestar 1 und seine Nachfolger nicht nur über traditionelle Eigentumsmodelle an den Mann bringen will. Die Schweden planen als Alternative ein kautionsfreies Auto-Abo mit Festlaufzeit (ein bis drei Jahre) als All-Inclusive-Angebot. Ein Abo, das Versicherung, Wartung, einen Concierge-Service und sogar die steuerliche Abschreibung umfasst. „Carefree“ („Sorgenfrei“) heißt das bei Polestar. Der Mietpreis? Immer noch geheim.

Die Nachfolger Polestar 2 und 3 fahren batterieelektrisch

In Göteborg war aber zu hören, wie es mit Polestar 2, so der aktuelle Arbeitsname, und in viel größeren Dimensionen Anfang 2020 weiter gehen soll. Denn dieses fünfsitzige, vollelektrische Modell wird kein elitärer Luxusliner, sondern eine familientaugliches Vollwert-Limousine für die ganze Familie. Mittelklasse also, kaum größer als ein aktueller Volvo S60, etwa rund 4,65 Meter lang. Viel Platz, viel Laderaum unter einer großen Heckklappe. „Damit bringen wir einen echten Tesla-Konkurrenten auf den Markt“, sagt Ingenlath. Und auch beim Preis, der zwischen 40.000 und 65.000 Euro liegen soll, orientiert sich Polestar 2 am Ami.

Von Göteborg nach Chengdu
Die Zentrale ist unweit der Mutter Volvo in Schweden, gebaut werden die Polestar-Fahrzeuge aber in China.
© Copyright Frank Elschner

Und wie beim etablierten US-Rivalen soll es Polestar 2 in verschiedenen Reichweiten-Versionen geben, und die jährlich Stückzahlen dürften, nach allem was zu hören ist, zwischen 25.000 und 50.000 Fahrzeugen liegen. Schnellladen wie bei Tesla? „Selbstverständlich“, versichert Ingenlath, von den ständigen Fragen nach Reichweite und Ladetempo schon leicht genervt. „Typisch deutsches Sicherheitsdenken, alles soll schnell gehen.“ Dabei würden die meisten Fahrer sowieso nur auf kürzeren Strecken unterwegs sein, und auf der Langstrecke würde man ja schließlich „auch mal in Ruhe einen Kaffee trinken und nicht im Akkord pinkeln“.

Okay, verstanden. Hybride übrigens soll es ab Polestar 2 bei Volvos Performance-Truppe generell nicht mehr geben. Ergo fährt auch Polestar 3, der 2021 erscheint, nur batterieelektrisch. Die aktuelle Definition der Schweden: „Ein aerodynamisches SUV mit niedriger Dachlinie. Mindestens zwei Handbreit flacher als Volvos SUV-Flaggschiff XC90. Mehr raffiniertes Sportcoupé mit schöner Hochsitzer-Aussicht als kraxelnder Waldschrat. Schnittig, schnell. Im Idealfall, wenn Ingenlaths Truppe mal wieder ihren nordisch-kreativen Tag hat, wieder so ein Hingucker, den man auch kauft, wenn man ihn gar nicht braucht. „Das Modell hat mit einem klassischen SUV eigentlich wenig zu tun“, betont Jonathan Goodmann, als Chief Operating Officer (COO) bei Polestar für alle Betriebsabläufe zuständig. „Das wird ein aufregendes Auto.“

Bliebe noch zu sagen, dass Volvo selbst zügig vollelektrische Modelle plant, die sich die skalierbare Basistechnik (Batterie flach im Unterboden) mit den neuen Polestar-Modellen teilen. Und umgekehrt. Zum Zeitplan: Mitte 2020 startet der schicke Kompakt-SUV XC40 als vollelektrisches Auto und etwas später auch die batterieelektrische Version vom Nachfolger der wichtigen Kompaktlimousine V40.

Vom schwedischen Golf-Rivalen noch schnell zu großen Zielen der Schweden: Bis 2025 soll bei Volvo die Hälfte des weltweiten Absatzes auf reine Elektroautos entfallen. Polestar ist der Pionier. Und neben China, den USA, Kanada, Schweden, Norwegen, Belgien, Holland und England gehört Deutschland zu den Märkten, auf denen die „Performance Marke“ (Originalton Volvo) zuerst an den Start geht.

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