Dieselskandal, Kartellverdacht und der galoppierende Verlust des Vertrauens – bisher hatte Volkswagen dem riesigen Imageschaden nur wenig entgegengesetzt. Doch jetzt nehmen die Niedersachsen ihr Schicksal wieder selbst in die Hand und blasen zur großen Charmeoffensive. Dabei setzten sie auf einen Sympathieträger, wie es ihn im ganzen Konzern nur einmal gibt: den Bulli.

Und zwar nicht auf den noch immer funktionalen, aber mittlerweile ziemlich versnobten T6, das aktuelle Modell. Sondern auf den legendären VW Bus, mit dem die Geschichte des Transporters vor bald 70 Jahren begonnen hat. Ganz nach dem Vorbild der Designstudie ID Buzz soll er als elektrische Inkarnation der Ikone tatsächlich in Serie gehen und die guten Zeiten wieder rollen lassen. Was die VW-Leute ausgerechnet bei der Oldtimer-Schau Concours d’Elegance im mondänen Pebble Beach verkündet haben: Als eines von mindestens fünf reinen Elektroautos bei der VW-Marke und 25 in der ganzen Gruppe soll er im Jahr 2022 auf den Markt kommen – nach dem ID Schrägheck, wie wir ihn vom Pariser Autosalon 2016 kennen, und dem SUV-artigen ID Crozz von der Messe in Shanghai Anfang 2017.

„Wir haben seit der Premiere in Detroit viel Post bekommen, in der uns Kunden schreiben: ‚Bitte baut dieses Auto!'“, sagt Herbert Diess, Chef der Marke VW. Er hat die Motorshow in Pebble Beach – die elitärste der Welt – nicht ohne Grund als Ort der Verkündung gewählt, selbst wenn VW nicht ganz zu PS-Pretiosen wie Pagani, Maybach oder Koenigsegg passen will. „Doch der Microbus, wie der Bulli in Amerika heißt, war immer Teil des kalifornischen Lifestyles“, erklärt Diess und will deshalb auch das Comeback von dort aus starten. Nachdem die VW-Krise in den USA ihren Anfang genommen hat, könnte so mit dem ID Buzz dort auch ihr Ende beginnen.

Raumwunder wie das Original

Auf eine Neuauflage der Ikone hatten Fans des Bulli kaum mehr zu hoffen gewagt. Zu oft hat VW es in den vergangenen Jahren schon mit irgendwelchen Retro-Bussen für irgendwelche Messen probiert, nur um die Prototypen kurz darauf wieder einzustampfen. Denn irgendwie wollten Design, Technik oder Kosten nie so richtig passen. „Doch mit dem ID Buzz haben wir endlich die Lösung, wie wir den Bulli neu erfinden und in die Zukunft bringen können“, ist Diess überzeugt: „Mit einem Elektroantrieb.“ Denn so machen die Niedersachsen den Bus von gestern nicht nur fit für die Zukunft, sondern sie bieten auch jene Raumeffizienz, die das Original über Jahre so einzigartig gemacht hat. Und das sympathische Design ist dann so etwas wie die Kirsche auf dem Kuchen.

Vielleicht ist diesmal also wirklich Zeit für ein bisschen Vorfreude. Erst recht, wenn der Reporter gebeten wird, mit einer fast magischen Geste über die in den Sicken des Blechs versteckten Sensorfelder zu streichen, mit denen die elektrischen Türen aufschwingen; wenn er eingeladen wird, sich hinter das eigenwillige Lenkrad in dem ungewöhnlich cleanen Cockpit zu setzen – und wenn er dann mit dem Showcar auch noch eine schnelle, oder besser: kurze Runde auf einer der schönsten Küstenstraßen drehen darf, die Kalifornien zu bieten hat: die 17 Miles Drive. Kein Wunder also, dass der Puls nach oben schnellt, sobald der Finger das D-Feld in der Mitte des Lenkrades berührt und das kleine Space Shuttle auf die Straße schießt.

Was das ID Buzz so vielversprechend macht, ist nicht nur sein elektrischer Antriebsstrang, der VWs Modularem Elektrifizierungsbaukasten (MEB) entstammt und eine Flachboden-Batterie von bis zu 111 Kilowattstunden Speicherkapazität und ein oder zwei Motoren mit 150 Kilowatt Leistung für Heck- oder Allradantrieb kombiniert. Es ist nicht die in einem VW Bus bislang unerreichte Beschleunigung von 0 auf 100 in weniger als fünf Sekunden, die für den Fahrspaß viel wichtiger ist als das freiwillige Limit bei 160 Kilometern pro Stunde. Und es ist auch nicht das Design, das außen schnörkelloser und innen schlichter kaum sein könnte.

Sondern es ist vor allem der Umstand, dass der futuristischste VW Bus dem historischen Microbus näher kommt als alle Generationen dazwischen. Er hat das gleiche unerreichte Verhältnis von Größe und Raum, er hat den selben freundlichen Charakter. Und er ist noch viel variabler und flexibler als es der herkömmliche T6 jemals sein wird. Sogar der Motor residiert wieder im Heck. Wenn jetzt nur bitte noch jemand einen Elektroantrieb erfinden könnte, der wie ein luftgekühlter Boxer klingt.

Sympathisch, nicht perfekt

Natürlich ist das handgefertigte Einzelstück weniger sportlich, als das Datenblatt verspricht. Die ungewöhnlichen schlanken und hohen Reifen auf ihren 22-Zoll-Felgen sind etwas laut und nicht sehr komfortabel und der Wendekreis ist wegen des Radstandes von 3,30 Meter riesig. Kein Wunder das die VW-Entwickler für die Serie über eine Hinterradlenkung nachdenken. Doch der Probe-Fahrer bekommt trotzdem ein sehr gutes Gefühl dafür, wie es sein könnte, mal wieder mit einem Microbus zu cruisen – besonders wenn er sich die Gesichter vor den großen Fenstern ansieht. Denn egal ob aus einem VW Jetta oder einem Rolls Royce Phantom, einem Oldtimer oder einem Supersportwagen – von überall sieht er nichts als gereckte Daumen. Zumindest, wenn die anderen Verkehrsteilnehmer nicht gerade damit beschäftigt sind, eiligst ihr Smartphone zu zücken und die Speicherkarte mit Fotos zu fluten. Kein Wunder, dass Markenchef Diess den Microbus einen der sympathischsten Volkswagen aller Zeiten nennt.

Was der Fahrer dagegen noch nicht ausprobieren kann, ist der autonome Modus des ID Buzz, den Volkswagen Schritt für Schritt ab 2025 anbieten will. Weil alle Sensoren und Kameras noch fehlen, kann er nur im Stillstand versuchen, was bald auch während der Fahrt funktioniert: für mehr als drei Sekunden den Finger auf das VW-Logo legen oder ein bisschen an seinem Sitz ruckeln – und das Lenkrad zieht sich ins Armaturenbrett zurück. Dann kann der Ex-Fahrer seinen Sessel um 180 Grad nach hinten drehen und seine ganze Aufmerksamkeit den bis zu sieben Personen widmen, die in der geräumigen Lounge noch Platz finden. Oder er überlegt, wie er sein Gepäck auf bis zu 4.600 Litern Stauraum verteilt.

Natürlich werden sich einige Details noch verändern, bis in vier Jahren die Produktion endlich startet. Zum Beispiel könnte das Auto auf die Größe eines Touran schrumpfen und dann trotzdem noch so viel Platz bieten wie heute ein T6, deutet einer der Entwickler an. Er wird sein rechtwinkliges Lenkrad verlieren, weil es ein bisschen schwer in engen Kurven oder beim Rangieren zu handhaben ist. Und er wird ein paar Schalter und Anzeigen bekommen, weil VW die Kunden beim Trip in die Zukunft nicht gleich überfordern will. Aber der Wagen wird nicht nur Form und Stil behalten, verspricht Designchef Klaus Bischoff. Sondern vor allem seinen Charakter.

Neben dem elektrischen Antriebsstrang, der Technik für autonomes Fahren und jeder Menge Konnektivität, bietet der ID Buzz noch viele Gimmicks. Ernsthafte wie Kameras anstelle der Spiegel, die Gesichtserkennung als Ersatz für den althergebrachten Tür- und Zündschlüssel und alberne wie den kleinen Buddha, der mit einem breiten Grinsen unerschütterlich über dem Armaturenbrett schwebt. Der hat zwar keinen tieferen Sinn, aber er will uns trotzdem etwas sagen: Wer nur lange genug die Ruhe behält und Probleme einfach aussitzt, hat am Ende gut lachen.

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