Insa Thiele-Eich (34) möchte die erste deutsche Frau im All werden. Eigentlich ist sie Meteorologin und arbeitet als wissenschaftliche Koordinatorin an der Universität Bonn. Doch die Faszination für die Raumfahrt liegt ihr im Blut: Bereits ihr Vater Gerhard Thiele, mit dem wir in unserer aktuellen Ausgabe sprachen, ist mit dem Space Shuttle ins Weltall geflogen. Er ist einer von bisher elf deutschen Raumfahrern, alle von ihnen Männer. Das will die Initiative „Astronautinnen“ ändern. Sie schrieb in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt zwei Stellen für eine Mission zur Internationalen Raumstation ISS aus. Zwei Kandidatinnen sollen gemeinsam trainieren – aber nur eine letztlich 2020 in die Erdumlaufbahn vorstoßen. Thiele-Eich setzte sich gegen rund 400 Bewerberinnen durch, gemeinsam mit der Bundeswehr-Pilotin Nicola Baumann. Doch die ist mittlerweile aus dem Programm ausgestiegen. Eine Nachrückerin ist noch nicht nominiert. Damit sind die Chancen von Thiele-Eich erheblich gestiegen.

Edison: Frau Thiele-Eich, von welchem Beruf träumten Sie als Kind?
Ich wollte Astronautin oder Mutter werden. In der Grundschule hatten wir immer Poesiealben, wo man auch seinen Traumberuf eingetragen hat. Erst habe ich immer Mutter reingeschrieben, ein bisschen später dann Astronautin. Jetzt lebe ich beide Träume meines jungen Ichs gleichzeitig.

Sie haben bei Ihrem Vater aus nächster Nähe mitbekommen, was es heißt, Astronaut zu sein. Der Flug ins All ist längst nicht alles, davor liegt eine Menge harte Arbeit während der Vorbereitung. Hat Sie das abgeschreckt?
Im Gegenteil. Als die Ausschreibung kam, habe ich nicht lange überlegt. Ich wollte das unbedingt machen, gerade auch wegen der drei Jahre Vorbereitung. Das ist eine super spannende Zeit. Beim körperlichen Training gehen wir an unsere Grenzen. Und auch mental bereiten wir uns vor: Wie reagiere ich in einem Notfall, welche Experimente machen wir auf der Station? Man lernt Fliegen und Tauchen. So ein vielseitiges Training können Sie nirgendwo sonst machen. Aber natürlich bleibt der Hauptansporn der Flug ins All.

Was fasziniert Sie am Weltall?
Das ist in erster Linie der Pioniergedanke. Menschen sind Abenteurer und Entdecker. Es gibt immer die Diskussionen, ob der Nutzen der Flüge die Kosten rechtfertigt. Ich finde, das ist eine irrelevante Frage. Es ist Teil der menschlichen Natur, immer weiter vorstoßen zu wollen. Die Grenzen des Unbekannten immer weiter hinaus zu schieben. Zu erforschen, was man nicht kennt. Das treibt einen an. Das führt einen automatisch auch zu den ganz großen Fragen: Wo kommen wir her? Sind wir alleine im Universum? Wohin führt der Weg der Menschheit?

Elon Musk plant, den Mars zu kolonisieren. Glauben Sie, die Zukunft der Menschheit liegt jenseits der Erde?
Sicherlich nicht die Zukunft der gesamten Menschheit. Natürlich wollen wir zum Mars. Aber er kann keine Erde 2.0 werden. Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass wir eine alternative Erde finden und deshalb mit dieser hier machen können, was wir wollen. Das ist gerade mit Blick auf das Thema Klimawandel wichtig zu betonen. Es gibt die Theorie, dass wir noch keinen Kontakt zu anderen Zivilisationen aufnehmen konnten, weil diese sich immer selbst auslöschen, bevor sie technisch in der Lage sind, durchs All zu reisen. Wenn wir nicht vorsichtig mit der Erde umgehen, könnte es uns ebenso ergehen.

Sie machen die Astronautenausbildung nebenberuflich, zusätzlich zu Ihrem Job als wissenschaftliche Koordinatorin an der Universität Bonn. Wie lassen sich das zeitintensive Training, Job und Familie vereinbaren?
Die Belastung ist natürlich groß. Ich habe eine 70 Prozent Stelle an der Universität und eine 50 Prozent Stelle als Astronautin. Also insgesamt 120 Prozent. Es gibt Tage und Wochen, in denen es sehr viel ist. Aber dann kommen auch wieder Phasen, wo ich es sehr genieße. Ich habe schließlich großes Glück, Astronautin sein zu dürfen. Aber auch mein Hauptberuf an der Universität macht mir viel Spaß, deshalb möchte ich ihn nicht aufgeben.

Auf die Ausschreibung der Astronautinnen-Stelle bewarben sich gut 400 Frauen. Für den Traumjob Astronautin wirkt das erst einmal wenig. Woran, glauben Sie, liegt das?
Spontan hatte ich auch gedacht, es müsste eigentlich Tausende Bewerberinnen geben. Aber immerhin waren es mehr Bewerberinnen als bei der letzten Ausschreibung der ESA. Für Frauen sind einfach noch viele Hürden da, die sie davon abhalten, sich auf so eine Stelle zu bewerben. Diese Hürden wollen wir mit der Astronautinnen-Initiative abbauen. Sie soll nachhaltig etwas ändern. Das Ziel ist nicht nur, die erste Astronautin ins All zu schicken, sondern irgendwann auch die zehnte und elfte.

Woher kommen diese Hürden?
Ein Problem in Deutschland: Es fehlen Vorbilder. Das fängt ganz früh an. In Kinderbüchern sind die Männer Astronauten und Feuerwehrmänner, die Frauen sind Krankenschwestern und Lehrerinnen. Ich habe viele Astronautenbücher gelesen. Und kaum Frauen entdeckt. Diese unbewussten Botschaften nehmen die Kinder früh auf. Wenn ein Mädchen keine Astronautinnen sieht, dann kommt sie auch nicht auf die Idee, dass sie selbst eine werden könnte. Im Kopf gibt es noch die Trennung zwischen „Männerberufen“ und „Frauenberufen“. Ich hoffe, dass wir bald einfach nur noch „Berufe“ haben.

Gab es diese Hindernisse bei Ihnen auch?
Bei mir war das ein bisschen anders. Ich bin in den USA aufgewachsen. Dort ist es kein Novum, wenn eine Astronautin einen Raum betritt. Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ist viel ausgeglichener. Ich war früher Babysitterin bei einigen von ihnen. Ich habe gesehen: Die sind Astronautinnen und Mütter, das lässt sich vereinbaren. Das war dort ganz normal. In Deutschland ist die Kultur eine andere. Als Frau ist es schon ungewöhnlich, mehr als 70 Prozent zu arbeiten. Und gerade mit kleinen Kindern ist der Druck der Gesellschaft groß, gar nicht arbeiten zu gehen.

Begegnen Sie hier oft Vorurteilen und Skepsis?
Oh ja, ständig. Auf einmal gucken die Leute genau hin, ob ich noch die Zeit habe, im Garten die Disteln ordentlich zurückzuschneiden. Wenn ich meine Kinder vom Kindergarten abhole, höre ich Sprüche wie: „Sieht man dich auch mal wieder?“ Solche Sprüche implizieren, dass durch meine Arbeit die Kinder automatisch auf der Strecke bleiben müssen. Dabei hole ich sie genauso regelmäßig ab wie früher. Am Anfang hat mich überrascht, wie viel Sexismus tatsächlich noch in den Köpfen steckt, auch in meiner Generation. Die Leute sind skeptisch, dass man Frau, Mutter und Astronautin zugleich sein kann. Einmal wurde ich gefragt, ob ich nicht Angst hätte, zwei Wochen auf engem Raum mit so vielen Männern zu verbringen. Da war ich geschockt, welche Bilder noch in den Köpfen stecken.

Ist es anstrengend, immer wieder auf das Frauenthema angesprochen zu werden?
Ich will als Astronautin gesehen werden und nicht als Frau und Mutter, die auch noch Astronautin ist. Am Anfang fand ich es deshalb befremdlich, überhaupt über dieses Thema zu sprechen. Dadurch rücke ich es ja erst ins Rampenlicht. Aber als ich seitenlange Mails von jungen Frauen bekommen habe, die sich gefreut haben, dass so ein Beruf auch als Mutter möglich ist, war das ein Zeichen für mich, weiter darüber zu sprechen. Denn ich verstehe, dass solche Beispiele Kraft geben. Ich kenne das selbst. Wenn ich beispielsweise Ursula von der Leyen anschaue: Die hat sieben Kinder und ist Verteidigungsministerin. Solche Vorbilder geben auch mir Kraft.

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