Die Geschichte von Daniel Wickersheims Hausboot beginnt mit einer Motorradtour durch Hamburg. Auf der Suche nach einem Thema für seine Diplomarbeit in Architektur lässt sich der gelernte Zimmermann im Sommer 2006 auf einer BMW R80 durch seine Wahlheimat treiben. „Hier habe ich realisiert, wie wasserreich Hamburg doch eigentlich ist“, sagt er.

Kurz darauf stößt er auf einen städtischen Wettbewerb zur Gestaltung von Hausbooten und ist vom Leben auf dem Wasser sofort begeistert: „Das Wasser zieht mich schon immer an.“ Im zweiten Anlauf haben seine Pläne Erfolg – er darf sein Hausboot „Schwan“ am Norderkai-Ufer im Stadtteil Hammerbrook bauen.

Hausboote haben in Deutschland immer noch Seltenheitswert. Schätzungen gehen von ein paar hundert aus – die meisten dürften Ferienwohnungen sein. Zum Vergleich: In Amsterdam alleine liegen 2500 Wohnboote. Anbieter wie Floating Houses oder Nautilus wollen in Deutschland einen Markt für maßgefertigte Hausboote schaffen. Kleinere Modelle gibt es bereits ab rund 60.000 Euro, wer will kann sich auch ein mehrgeschossiges Hausboot im Millionenbereich konstruieren lassen. Jedoch müssen Hausboote umfangreich genehmigt und der passende Liegeplatz oft in Eigenregie erschlossen werden. Und dann bauen viele lieber komplett selbst.

So wie der gebürtigen Schwarzwälder Wickersheim. Mehr als den Liegeplatz bekam er nicht – Anschlüsse für das öffentliche Abwassernetz, Stromanschlüsse und auch die sogenannten Dalben, im Wasser stehende Pfähle, an denen das Hausboot befestigt wird, fehlten. Gemeinsam mit anderen Bauherren gründete Wickersheim daher eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, beauftragte Bauunternehmen und verhandelte mit der Stadt und deren eigenem Hausboot-Koordinator.

Teure Anschlüsse in der Stadt

Die Kosten für die Erschließung eines solchen Liegeplatzes können bei bis zu 120.000 Euro liegen, zudem ist der Verwaltungsaufwand für den eigentlichen Bau hoch: das Hausboot muss nachweislich schwimmen und darf nicht kippen können, Statiker müssen sowohl den Rumpf wie auch die Aufbauten überprüfen. Hamburgs eigener Genehmigungsleitfaden für Hausboote umfasst 42 detaillierte Seiten. Hohe Kosten gepaart mit viel Aufwand – das dürften Hauptgründe sein, wieso von den rund 1000 Hausbooten, von denen Hamburg in seinem Senatsplan „Schwimmende Häuser“ vor über zehn Jahren träumte, bisher nur wenige Dutzend verwirklicht wurden.

Auch die charakteristische, tunnelartige Form des „Schwans“ ist übrigens den Bauauflagen geschuldet. „Das Hausboot muss schiffbar sein und unter Brücken durchpassen“, sagt Wickersheim. Die niedrigste, für ihn relevante Brücke hat an der größten Durchfahrtshöhe einen Rundbogen – genauso wie das Dach des Hausboots Schwan.

Der Immobilienunternehmer Harald Busse hatte es da unkomplizierter. Sein Hausboot besitzt eine klassische Sattelform und ist obendrein mit Reet gedeckt. Auch sonst unterscheidet sich sein schwimmendes Eigenheim, das am Scharmützelsee südöstlich von Berlin ankert nur wenig von einem normalen Haus am Festland. Wäre da nicht das schwimmende Fundament und ein 50 PS starker Motor. Der sorgt dafür, dass Busses mit seinem Hausboot bereits in den Kanälen von Berlin oder Hamburg unterwegs war. Der treffende Name des Hausbootes: Vagabund.

Der schwimmende Landstreicher, der in klassischer Fachwerk-Bauweise entstanden ist, besitzt zahlreiche Annehmlichkeiten: An einer Seite lädt eine zehn Quadratmeter große Terrasse inklusive Strandkorb und Gartenzwerg zum Sonnen ein. Im Inneren gibt es ein großzügiges Wohnzimmer nebst Küche und Kamin, ein Schlafzimmer sowie ein großes Bad. Auf die Idee für sein schwimmendes Fachwerkhaus kam der 61-jährige Busse, der in Brandenburg aufwächst, nach einem Gespräch mit seinem Arzt. Der empfahl ihm nach diversen Schlaganfällen und einem Herzinfarkt 2010, beruflich etwas kürzer zu treten. Statt weiter täglich ins Büro zu fahren, solle er besser am Scharmützelsee spazieren gehen. „Hätte ich das jeden Tag gemacht, hätte man mir gleich den Sarg bestellen können“, sagt Busse trocken.

Er will zwar weniger Stress, dennoch aktiv sein. Statt um den Scharmützelsee spazierte Busse daher an den Zeichnertisch – und konstruierte sein eigenes Hausboot. „Am 10. April 2010 habe ich mit dem Bau begonnen, am 22. Juni des selben Jahres war der Vagabund voll einsatzbereit“, sagt Busse mit ein wenig Stolz in der Stimme. Unterstützung erhielt er zwar von Unternehmen aus der Umgebung, die Konstruktion und der Bau waren jedoch Chefsache. Busses Motivation für das Projekt Vagabund: „Ich wollte schon immer ein richtiges Haus zum Schwimmen bringen.“ Mittlerweile ist sein Hausboot mit Heimathafen Bad Saarow eine Attraktion, patentrechtlich geschützt und nach eigenen Angaben einmalig in Europa.

Mini-Me-Boot

Dabei ist das Hausboot eine Miniaturausgabe von Busses Haus, das nur wenige hundert Meter entfernt am Festland steht. Statt auf über 100 Quadratmeter kommt die schwimmende Version allerdings nur auf 40 Quadratmeter Wohnfläche. Mehr als 2000 Arbeitsstunden und rund 130.000 Euro hat Busse investiert. Für den Immobilienunternehmer ist es die Stimmung auf dem Wasser und im Hafen, der maritime Flair, den das Leben auf dem Hausboot ausmacht: „Wenn man vom Hausboot auf die hektischen Menschen an Land blickt, denkt man, die seien in einer anderen Welt, auch wenn man bis kurz zuvor auch einer von denen war.“ Hier kommt der sonst umtriebige Unternehmer zur Ruhe. „Ich schlafe hier wie ein Toter.“

Ruhig, gemütlich – das ist auch der „Schwan“, in dem Daniel Wickersheim seit gut zweieinhalb Jahren wohnt. Betreten Freunde das Haus, fühlen sie sich oft wie in einer „Hobbithöhle“, erklärt Wickersheim. Grund dafür ist wohl der auffällige, ellipsenförmige Querschnitt des rund 100 Quadratmeter großen Hausboots, der im Inneren „bei vielen Besuchern ein höhlenartiges, gemütliches Gefühl hervorruft“.

Auch die Raumaufteilung sorgt für Behaglichkeit. „Hier habe ich mich an der Gestaltung von Segelyachten orientiert“, sagt Wickersheim und zeigt an die beiden Enden seines langegezogenen Hausboots. Hier, mit jeweils einer eigenen Terrasse liegen die beiden Schlafzimmer, ähnlich einem Segelboot, wo auch in Bug und Heck genächtigt wird. In der Mitte, wo auf der Segelyacht der Salon mit Küchenzeile liegt, hat auch Wickersheim sein Wohnzimmer nebst offener Wohnküche eingerichtet. „Alles ist hell und offen, trotzdem erzeugen die runden Wände ein Gefühl von Geborgenheit“, freut sich der 44-Jährige über sein Wohnkonzept.

Umweltfreundliche Hobbithöhle

Neben einem guten Wohnklima war Wickersheim die Nachhaltigkeit bei Bau und Nutzung seines Hausboots wichtig. So besteht der Ponton, das Fundament des „Schwan“ aus schwimmendem Stahlbeton. „Der ist einerseits wesentlich wartungsärmer als ein Stahlrumpf, gleichzeitig benötigt er weniger Energie in der Herstellung“, erklärt Wickersheim, der neben seiner Tätigkeit als Architekt auch Energieberater ist. Der Aufbau seines Hauses besteht aus einem Holzgerippe mit einer Außenhaut aus Zinkblech. Gedämmt wurde mit recycelten Zelluloseschnipseln, im Prinzip Altpapier. Im Sommer erhitzen Solarthermiezellen das Duschwasser und den Fußboden, im Winter übernimmt ein Pelletofen diese Aufgaben. Ein Akku im Rumpf des Pontons speichert überflüssige Sonnenenergie der Photovoltaikanlage auf dem Dach. „Von der Energiebilanz bin ich damit nah dran am Passivhaus“, freut sich Wickersheim. Zu den Kosten seines „Schwan“-Hausbootes schweigt der stolze Besitzer. „Preislich liegt es aber in etwa im Bereich einer ähnlich großen Eigentumswohnung in Hamburg.“

Wickersheim, ein Mann mit Kurzhaarschnitt und offenem Lächeln, liebt die Ruhe auf dem Hamburger Mittelkanal in Kombination mit der zentralen Wohnlage, die sein Haus hat. „Jeden Tag aufs Wasser zu blicken, hat etwas anziehendes, was mich immer wieder begeistert“, schwärmt er. An einem Wintertag aus der heißen Badewanne auf den kalten Kanal zu schauen und das mitten im Herzen von Hamburg – etwas Schöneres kann er sich kaum vorstellen.

Auch Busse verbringt einen Großteil seiner Zeit inzwischen auf dem Wasser, auch wenn es das Haus an Land noch gibt. Das liegt auch daran, dass ihn das rege Interesse an dem Hausboot auf eine Geschäftsidee gebracht hat: Heute vermietet er neben seinem ersten und größten Hausboot vier weitere Schiffe, zum Teil als Veranstaltungsboote, zum Teil als „schwimmende Ferienhäuschen“, wie es in einem Prospekt heißt. Alle Hausboote sind dabei in Eigenregie entstanden – mittlerweile hat Busse sogar eine Gewerbefläche mit Hallen gepachtet, um weitere Boote bauen und renovieren zu können.

Leben kann Busse davon zwar nicht. „Dann würde ich wahrscheinlich nur noch 38 statt über 90 Kilogramm wiegen“, stellt er schmunzelnd fest. Doch das Geschäft ist für den 61-Jährigen eigentlich nur Nebensache. „Das Leben auf einem Hausboot macht einfach Freude, die ich gerne teilen möchte.“ Dann muss Busse auch schon los, der Vagabund sticht mit Ehefrau und zwei Enkelkindern in See. „Es geht aufs Meer“, erklärt er freudig. Das ist natürlich maßlos übertrieben: Theodor Fontane hat den Scharmützelsee seinerzeit „Märkisches Meer“ getauft. Und das klingt natürlich deutlich friedlicher.

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