Noch vor einigen Jahren hätten eingefleischte Porsche-Puristen den Begriff Digitalisierung im Fremdwörterbuch nachgeschlagen. Doch heute ist speziell die internationale Klientel der Zuffenhausener viel jünger und voll vernetzt. Und deshalb ist Porsche dabei, die Konkurrenz bei der digitalen Aufrüstung links zu überholen. Es geht um völlig neue Service-Modelle und ganz neue Erlebnisse für die solventen Kunden.

„Überholspur? Ja, das trifft es genau“, sagt Thilo Koslowski, Chef von Porsche Digital, der erst vor gut zwei Jahren von einer Topposition im kalifornischen Hightech-Mekka Silicon Valley zum Sportwagenhersteller wechselte. „Wir sehen die Digitalisierung als eine Riesenchance für Porsche, denn dadurch können wir die Autos noch emotionaler machen.“ Es gehe, ganz einfach, um einen intelligenten Mehrwert für die Kunden.

Digitale Porschefahrer in digitalen Autos

Die dafür zuständige Ideenschmiede sitzt im schwäbischen Ludwigsburg. Dort residiert Porsche Digital auf 15.000 Quadratmetern Bürofläche mit 700 Mitarbeitern, die auffallend jung sind. Und dort haben sie jetzt zum Experimentieren in einer ehemaligen Maschinenhalle die „Digitale Werkstatt“ (Digital Experience Foundry) eröffnet. In deren Mitte klotzt ein 30 Quadratmeter großes, dreiteiliges Riesendisplay, ideal für Simulationen, fiktive Tests und Start-up-Pitches. Hier, so hören wir, rasen jedoch keine rasanten Supersportwagen über den Screen, sondern „digitale Prototypen und Services in realitätsnahen Situationen.“

Das klingt erst mal sehr akademisch, ist aber ziemlich spannend, denn die Digital-Truppe kann hier die coole, ziemlich feine Welt der Porsche-Klientel komplett, aber auch individuell bis ins private Detail simulieren. Und schon flimmert auf dem Screen das fiktive Leben des Porsche-Kunden „Jack“, eines Endvierzigers im gehobenen Business-Leben. Ein Single im durchgestylten Smart Home, zu Hause auf den internationalen Flughäfen dieser Welt. Sein Wohnzimmer, sein cooles Lieblingscafé (mit Tellerklappern im Hintergrund), seine Berghütte (mit Vogelgezwitscher) – alles darstellbar. Und natürlich alle Berührungspunkte zur Automarke Porsche. „Customer Journey“ nennen das die Marketingprofis.

Sportwagen als Teil des Smart Homes

Und aus „Jack“ kann auch ruckzuck „Maximilian“ werden, ein junger Familienvater, der den teuren Porsche noch nicht auf dem Schirm hat, aber vielleicht bald. Oder Peter, ein junger Geschäftsmann aus Stuttgart. Und schon erscheinen ihre Lebenswelten auf dem Display. Aber auch echte Kunden lädt Porsche in diese digitale Werkstatt zur Diskussion ein, um deren Wünsche zu hören. „Wir gehen vom Auto in den digitalen Lebensstil unserer Kunden“, sagt Koslowski.

Dabei ist die Vernetzung mit dem Smart Home ein Schlüsselfaktor. Und hier hilft das Start-up und Kooperationspartner home-iX, das zwei Ex-Porsche-Mitarbeiter gegründet haben. „Wir helfen Firmen, diese Smart-Living-Superkräfte zu bekommen“, sagt dessen Chef Mehmet Arziman. Zum Beispiel mit einer einheitlichen Bedienoberfläche fürs Smartphone, über die vom Licht bis zur Kaffeemaschine wirklich das ganze Haus samt Inhalt gesteuert werden kann – auch per „Siri“-Assistent auf dem iPhone. Und natürlich auch der Ladevorgang des vollelektrischen Porsche in der Garage. Richtig, alles in der Digital Unit in der Entwicklung und laut Porsche „demnächst verfügbar“.

Ein aktuelles Projekt und bereits in der Pilotphase ist auch „Porsche GO“, ein mobiler Assistent fürs Reisen von Tür zu Tür. Der Umstieg zwischen unterschiedlichen Verkehrsmitteln wird automatisch organisiert, für alle Unterwegsprobleme (Staus, Zugverspätungen) gibt es sofort Lösungsangebote. Hotelbuchungen, Parkplatzsuche, Reisekostenabrechnungen – alles inklusive. Die Zuffenhausener versprechen hier eine „kurzfristige Markteinführung“. Und später soll sich mit dem virtuellen, cloudbasierten Porsche-Assistenten per selbstlernender Software der komplette Tag organisieren lassen – vom Weckerklingeln bis zum Rundruf an die Sportfreunde, weil der Porsche-Fahrer heute zehn Minuten später zum Tennis kommt.

Für solche Services kooperiert Porsche übrigens auch mit dem israelischen Start-up Anagog, das mit künstlicher Intelligenz über Smartphone-Apps auf dynamische Änderungen des Tagesablaufes intelligent reagieren soll und zum Beispiel gerade frei werdende Parkplätze offerieren kann. Schöne neue Welt.

Autokauf vom Sofa

Auch für den Autokauf selbst hat Porsche Digital neue Ideen. Statt langer und ziemlich theoretischer Modell-Konfiguration auf einer Website geht es für die Kunden quasi direkt ins Porsche-Autohaus. Per Live-Video kann der Händler jedes Modell und jedes Ausstattungsdetail ausführlich präsentieren, auch Gebrauchtwagen oder Farbpaletten. Für den Kontakt reicht ein Button-Klick, schon erscheint die Rezeptionsdame des Autohauses auf dem Display. „Der Kunde selbst bleibt unsichtbar, sein privates Umfeld geschützt“, sagt Digital-Spezialist Stephan Baral. „Das senkt die Hemmschwelle.“ Und mache für die Kunden die Entscheidungsfindung sehr bequem. Genau, Porsche-Shoppen vom Sofa.

In Kanada ist dieser virtuelle Showroom bei sieben ausgewählten Porsche-Händlern bereits Realität und über die schrittweise Einführung des Systems für den amerikanischen Markt wird gerade entschieden. „Wir gucken uns da gerade alle unsere Regionen an, denn das Feedback der Händler, denen wir dieses Super-Tool vorgestellt haben, ist extrem positiv — auch in Deutschland“, erläutert Thilo Koslowski. Und wann kommt das neue System zu uns? Vielleicht in den nächsten zwei bis drei Jahren? „Sicherlich.“

„Digitalisierung führt zu einer Renaissance des Autos“

Auch für Motorsport-Fans hat Porsche eine neue Idee in Arbeit. Per App soll der Nutzer Rennsport-Ereignisse in Echtzeit interaktiv verfolgen können – ohne vor Ort zu sein. Also egal, ob von zu Hause oder unterwegs. Per integrierter Augmented-Reality-Funktionen lässt sich die Rennstrecke gewissermaßen auf den Frühstückstisch projizieren. Alle Porsche-Rennwagen sind im Blick, dito alle Boxenstopps, Fahrerwechsel, Unfälle, Rundenzeiten. „Wer will, kann die Aktionen seines Lieblings über eine Kamera im Fahrzeug permanent aus der Fahrerperspektive verfolgen“, sagt Robert Bischoff von Porsche Digital. Eine erste Pilotphase der App lief gerade beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Erfolgreich, wie zu hören ist.

Digital-Chef Koslowski wagt da schon mal eine Prognose: „Die Digitalisierung wird meiner Meinung nach zu einer Renaissance des Autos führen und es zu einem noch wichtigeren Bestandteil im Leben eines Kunden machen.“

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