Das Wetter in Schleswig-Holstein ist rau. Eine steife Brise an den Küsten ist genauso normal wie Stürme im Herbst. Ideale Bedingungen für die rund 3000 WEAs, die Windenergieanlagen, die mittlerweile 6800 Megawatt (MW) ins Netz speisen können.

Weitere 700 Anlagen mit einer Leistung von nochmal 2000 MW sollen im Land zwischen den Meeren noch hinzukommen. Sauberer Strom für ganz Deutschland, doch was gut für die Energiewende ist, ist schlecht für die Netze. Sie sind mit der Menge an Strom, die vom Norden in den Süden transportiert werden muss, längst überfordert. Die Folge: Anlagen werden abgeschaltet. Das ist keine Ausnahme, sondern fast schon die Regel. 800 Millionen Euro hat dies deutschlandweit 2016 gekostet. Bezahlt wird es vom Verbraucher.

Um Transportengpässe im Netz zu reduzieren, wollen Übertragungsnetzbetreiber Tennet und Solar- und Stromspeicherhersteller Sonnen e-Services in einem jetzt gestarteten Pilotprojekt Heimspeicher vernetzen, die normalerweise nur den Strom aus der heimischen PV-Anlagen speichern.

Blockchain macht Austausch nachvollziehbar

Damit Netze und Heimspeicher wie ein Kraftwerk funktionieren, wird die Blockchain genutzt. Sie ermöglicht einen massenhaften und gleichzeitigen Austausch der Akteure untereinander. Zusammen mit dem intelligenten Management der Batteriespeicher kann je nach Bedarf überschüssigen Strom sekundenschnell aufgenommen oder abgegeben werden und damit verhindern, dass Windstrom in großen Mengen verschwendet wird. „Jede Kilowattstunde hat eine fälschungssichere Geburtsurkunde bei der Blockchain“, erklärt Matthias Dilthey, VP Operations & Trading bei sonnen, einen weiteren Vorteil. Damit könne lückenlos nachgewiesen werden, ob die Anforderungen des Netzbetreibers umgesetzt worden seien.

Das Projekt sei wegweisend für die zukünftige Einbindung der erneuerbaren Energien, so Urban Keussen, Vorsitzender der Geschäftsführung der Tennet TSO GmbH. „Wir sehen klar ein Potenzial, neue Flexibilitätsmöglichkeiten über die Blockchain-Technologie zu erschließen.“ Besitzer eines Speichers sollen davon ebenfalls profitieren, in dem sie daran verdienen. Wie dies genau aussehen kann, wird in dem Projekt noch ausgelotet. Schon heute erhalten sonnen-Kunden über eine Art Flatrate kostenlosen Strom, wenn sie ihre Speicher für wenige Minuten am Tag für Netzdienstleistungen zur Verfügung stellen.

Erstes Pilotprojekt

Es ist das europaweit erste Pilotprojekt, das vernetzte Heimspeicher und die Blockchain-Technologie zur Stabilisierung des Stromnetzes nutzt. Eine Technologie, die – ähnlich wie einst das Internet – auf dem Weg ist, die digitale Welt zu revolutionieren. Bekannt wurde sie durch die Kryptowährung Bitcoin, deren stromintensive Erzeugung sie bislang nicht zum Öko-Liebling machte. Dafür gilt die Blockchain bei Investoren als eines der heißesten Themen in der Technologiebranche: Über eine Billion US-Dollar flossen laut Marktforschungsagentur CBInsights in den vergangenen zwei Jahren in Blockchain-Start-ups.

Bei der Blockchain sind in einer virtuellen, kryptografisch abgesicherten Kette aus Datenblöcken alle Transaktionen gespeichert und in einer für jeden Nutzer einsehbaren verketteten Liste zu sehen. Wie eine Art Buch, in dem Transaktionen aufgeschrieben werden. Dieses Buch gehört aber nicht einem einzigen Besitzer, sondern allen Beteiligten. Findet eine Transaktion statt, gilt diese erst als vollzogen, wenn eine Mehrheit der Besitzer des Buches die Transaktion verifiziert hat. Betrug soll damit ausgeschlossen werden. Die von Satoshi Nakamoto entwickelte Technologie ermöglicht es, Geld, Produkte oder Dienstleistungen per digitalen Vertrag in Echtzeit auszutauschen – ohne dass ein zentraler Vermittler wie eine Bank benötigt wird.

Vorteilhaft sind auch die geringen Kosten. In dem Pilotprojekt sei dies nicht entscheidend, werde aber relevant, wenn Millionen Erzeuger und Verbraucher miteinander vernetzt würden, so Dilthey. Das Potential ist groß. „In Deutschland gibt es 15 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuser. Hätten zehn Prozent davon einen Batteriespeicher mit vier Kilowatt Leistung, dann ergibt sich eine Gesamtleistung von 6000 Megawatt, was in etwa fünf Atomkraftwerken entspricht.“

Erster Test noch im kleinen Rahmen

Das ist noch Zukunftsmusik. In dem Pilotprojekt starten Tennet und Sonnen damit, 6000 Speicher zu vernetzen, um sie über ein intelligentes Lademanagement individuell an die jeweilige Situation im Netz anzupassen und Prognosen treffen zu können. Mit einer Speicherleistung von insgesamt 24 MW ist das Projekt allerdings ein Tropfen auf dem heißen Stein für die strapazierten Netze. „Jetzt geht es erstmal darum, die Technologie umzusetzen und die Tür für eine weitere Skalierung des Projektes aufzustoßen“, so Dilthey. Weltweit gebe es keine Referenzen oder Orientierung dafür, Heimspeicher per Blockchain zur Netzstabilisierung zu verwenden, erklärt er die Herausforderung. Im Übertragungsnetzbereich sei es absolutes Neuland.

„Ich glaube, es wird eine Tür öffnen“, ist Tennet-Sprecherin Ulrike Hörchens überzeugt. Funktioniert es, sei der Weg für weitere Partner frei. Neben Heimspeicher könnten auch Elektroautos oder Wärmepumpen eingesetzt werden, um Ökostrom aufzufangen. Als Netzbetreiber müsse darüber nachgedacht werden, wie die Digitalisierung genutzt werden könne, um erneuerbare Energien anders einzubinden, so die Sprecherin. Ohne Blockchain sei dies so nicht möglich gewesen. Hörchens: „Wir bewegen uns aus einer alten in eine digitalisierte Übertragungswelt.“

In den Niederlanden startet Tennet einen Versuch mit Elektroautos. Der Übertragungsnetzbetreiber untersucht die Möglichkeit, ob mit Hilfe der Blockchain-Technologie Flexibilität, die von E-Autos zur Verfügung gestellt wird, genutzt werden kann. Partner dieses Pilotprojekts, das Ende November startet, ist der Energiedienstleister Vandebron. Er stellt im niederländischen Tennet-Netz Regelleistung aus einem Pool von Ladestationen für Elektrofahrzeuge zur Verfügung, um Frequenzschwankungen im Netz auszugleichen.

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