Ein Sportwagen mit vier Sitzen. Nicht länger als 180 Inches (4,57 Meter), nicht schwerer als 2500 Pfund (1134 Kilo). Die Vorgaben des damaligen Ford-Generaldirektors Lee Iacocca an die Entwickler des Ford-Modells waren knapp gehalten. Ach ja, noch eine Anweisung wanderte ins Lastenheft: Maximal 2500 Dollar dürfe das Auto kosten, also etwa den halben Jahresverdienst eines durchschnittlichen US-Bürgers.
Das war 1962. Nur 18 Monate später, am 17. April 1964, wurde die erste Generation des Sportwagens auf der Weltausstellung in Flushing Meadows einem begeisterten Publikum präsentiert. Auf dem Kühlergrill prangte ein chromglänzendes Emblem, das ein Wildpferd in vollem Galopp zeigte. Der Ford Mustang – der seinen Namen vom erfolgreichsten Jagdflugzeug der US-Luftwaffe im 2. Weltkrieg entlehnte – war von Anfang an ein voller Erfolg: Gleich am ersten Verkaufstag wurden 22.000 Autos des Typs verkauft. Am Ende des ersten Verkaufsjahres waren es fast eine halbe Million Fahrzeuge.
Zwei Embleme mit stilisierten Pferdchen im Galopp zieren auch den Mustang, der auf dem Testwagen-Parkplatz der Ford-Werke GmbH in Köln-Niehl parkt. Nach einem Ford-Logo muss der Autor hingegen lange suchen – es ist gut versteckt. Über den Antrieb hingegen muss nicht lange spekuliert werden: Von einer Klappe vorne links geht ein dickes blaues Kabel zu einer Ladesäule des Stromversorgers Rhein Energie. Damit ist klar: Dieser Mustang ist die Mach-E genannte erste Elektrovariante des Kultautos, das Ford 57 Jahre nach dem Verkaufsstart immer noch im Lieferprogramm hat. Mit Vier- und Achtzylinder Benzinern – und in Kürze auch mit Elektromotor. Bestellungen für den Mach-E werden bereits entgegengenommen. An Kunden in Deutschland sollen die ersten in Mexiko produzierten Elektroautos ab April 2021 ausgeliefert werden. Später sollen noch weitere Varianten folgen, unter anderem ein Mustang Mach-E GT. Ein Cabriolet ist nach Stand der Dinge aber nicht geplant.
Aber ist der Mach-E noch ein echter Mustang oder nur ein elektrisches Schaukelpferd für den Spielplatz auf dem Ponyhof? Fünf Tage lang durften wir der Frage nachgehen. Nach 700 Kilometern endete der Test mit einem überraschenden Ergebnis.
Schein& Sein
Schick sieht er aus, der Mustang Mach-E in „Carbonized Grey“, den uns Ford da hingestellt hat. In der Topausstattung mit Allradantrieb und in „Extended Range“-Ausstattung mit dem großen Lithium-Ionen-Akku, der 98,7 Kilowattstunden (kWh) Strom speichert und davon 88 kWh für den Fahrbetrieb zur Verfügung stellt. Würde das Lastenheft von einst zu Rate gezogen, so müsste ein Lee Iacocca die Designer allerdings wieder zurück ins Studio schicken: Mit einer Länge von 4,71 Metern erfüllt es ebenso wenig die Vorgaben wie mit einem Gewicht von 2.257 Kilogramm.
Und kann man einen Fünftürer noch als Sportwagen bezeichnen? Eher nicht. Das Kraftfahrtbundesamt hat den E-Mustang jedenfalls als „Schräghecklimousine“ klassifiziert. Ford selbst spricht lieber von einem Crossover-SUV und verweist beim Stichwort „Sport“ auf die zum Jahresende erwartete GT-Version. Immerhin: Mit seiner langen Fronthaube (unter der sich von kleiner, 81 Liter fassender Zweit-Kofferraum verbirgt) und der markanten Heckpartie mit den typisch dreiteiligen Rückleuchten schlägt der Mach-E stilistisch eine Brücke zum historischen Vorbild.
Aber ansonsten sieht dieser Mustang trotz einer coupehaften Dachlinie eher wie ein SUV denn wie ein Sportwagen aus. Was kein Nachteil ist: Im Fahrgastraum finden bis zu fünf (!) Personen jede Menge Platz vor. Und um die Unterbringung des Reisegepäcks muss man sich auch keine Gedanken machen: Neben dem großen Kofferraum hinten gibt es vorne noch einen kleinen „Frunk“ für das Ladekabel und anderen Krimskrams.
Tesla gibt die Richtung vor
Man muss sich nur ein wenig umgewöhnen: Im 21. Jahrhundert sind die Designer zur Auffassung gelangt, dass ein einfacher Türgriff nicht mehr reicht und schon gar nicht aus der Fahrzeugflanke herausragen darf. Bei Tesla – und inzwischen auch anderen Herstellern wie Volkswagen – hat man sich dafür entschieden, die Griffe elektrisch ein- und ausfahren zu lassen. Die Ford-Designer gingen noch einen Schritt weiter: Die Fondtüren springen nur noch auf Knopfdruck auf. Für die Fahrer- und Beifahrertür gibt es zusätzlich eine kleine Bank zum „Fingerhakeln“: halb zieht man sie, halb springt sie auf. Angeblich sollen die kleinen Winglets die Aerodynamik und damit den Energieverbrauch reduzieren. Wir glauben es mal.
Aber auch im Interieur zeigt sich, wie der Erfolg des Elektroauto-Pioniers Tesla die Denke bei den etablierten Autoherstellern verändert hat: Knöpfe und Schalter beispielsweise gelten neuerdings in einem Auto als überholt. Stattdessen wird getoucht, gescrollt und geschnipst, was das Zeug hält. So werden auch im Mustang wie etwa im Tesla die meisten Funktionen über einen 15 Zoll großen, hochkant stehenden Touchscreen gesteuert. Allerdings waren die Ford-Designer noch so gnädig, uns einen Drehregler für die Einstellung der Lautstärke zu lassen. Und zusätzlich gibt es hinter dem Lenkrad ein zweites Display, das die wichtigsten Fahrinformationen vor Augen führt. Damit lässt sich leben – und sicher fahren.
Wem das zu wenig ist, kann sich seinen Mustang ganz nach seinen persönlichen Wünschen konfektionieren. Fords eigene „Sync“-Software erlaubt die Anpassung von bis zu 80 Fahrzeugfunktionen und liefert „over the Air“, also per Funk regelmäßig Updates: Auch wenn das Auto untertags mehr steht als fährt – für Unterhaltung ist somit immer gesorgt.
Saus & Braus
Den Mach-E gibt es mit Heck- und Allradantrieb und zwei Batteriegrößen, je nach Geldbeutel – auf den wir noch zu sprechen kommen – und Fahrprofil. Aber Klagen über einen Mangel an Antriebskraft dürften nicht aufkommen: Schon in der Basisversion stehen 198 kW (269 PS) und bis zu 430 Newtonmeter Drehmoment zur Verfügung. Bei unserem Testwagen sind es sogar 258 kW (351 PS) und 580 Newtonmeter. Damit sind in der Tat sehr sportliche Fahrwerte drin. Tempo 100 ist schon nach 5,1 Sekunden erreicht – da ist auch das Schwestermodell mit klassischem Achtzylinder-Benziner nicht (viel) schneller, macht dafür aber bei solchen Beschleunigungsorgien einen Höllenlärm.
Im Mach-E spürt man die Kräfte allein mit dem Popometer. Wer eine Rückmeldung auf die Ohren benötigt, kann im Fahrmodus „Temperamentvoll“ („Untamed“) künstliche Motorklänge über die Lautsprecher der Soundanlage erklingen lassen. Wer’s braucht. Alle übrigen schalten auf „Zahm“ (Whisper“) und zischen lautlos durch die Lande. Die Fahrwerksabstimmung ist exzellent, der Fahrspaß auch dank eines tiefen Schwerpunkts und einer intelligenten Regelung der Antriebskräfte auch auf nassen Fahrbahnen groß.
Mustang mit 610 Kilometer Reichweite
Und der Energieverbrauch? Ist niedriger als gedacht. Ford verspricht Durchschnittswerte für den Allradler von 18,7 kWh pro 100 Kilometer nach der WLTP-Norm. Damit sollen angeblich Reichweiten von bis zu 540 Kilometer darstellbar sein. Für den 216 kW (294 PS) starken Hecktriebler mit dem 88 kWh großen „Extended Range“-Akku werden sogar Reichweiten von bis zu 610 Kilometer versprochen. Auch wenn die Verbrauchsanzeige im Bordcomputer sehr zuverlässig scheint: Auf solche Werte sollte sich niemand verlassen, wenn er mit einem Mach-E nicht ausschließlich im Stadtverkehr unterwegs ist.
Unser Testverbrauch pendelte sich bei 22 kWh ein. Die Reichweitenanzeige kam entsprechend auf Werte um die 400 Kilometer. Allzu oft darf man dem Mustang dann aber auch nicht die Zügel lassen. Bei längeren Fahrten mit Spitzengeschwindigkeit 180 schießen die Verbrauchswerte schnell über 25 kWh und leert sich der Akku schneller, als einem lieb sein kann.
Immerhin legt der Mustang auch an der Schnellladesäule ganz ordentliche Werte hin: Mit bis zu 150 kW wird hier Gleichstrom aufgenommen – zumindest bei leerem Akku und für kurze Zeit. Wohl aus Rücksicht auf den Akku wird die volle Ladeleistung leider schon bald zurückgenommen und schrittweise erst auf 100, später auf 80 kW gedrosselt. Und ist der Akku erst einmal zu 80 Prozent gefüllt, fließt der Strom sogar nur noch mit etwa 10 kW. Eine Ladepause kann auf diese Weise schon einmal leicht bis zu einer Stunde dauern. An einer AC-Ladesäule fließen 11 kW. Eine optionale Aufstockung auf 22 kW – wie etwa beim Audi e-tron – ist laut Ford derzeit nicht geplant.
Geld & Kapital
2368 Dollar betrug 1964 der Basispreis für den allerersten Ford Mustang. Nach heutiger Kaufkraft wären das knapp 22.000 Dollar oder 18.000 Euro. Zu dem Preis gibt es heute bei Ford, wenn es etwas Sportliches sein soll, nicht mal einen Fiesta ST. Die Preise für einen Mustang (mit Vierzylinder-Benziner) beginnen in den USA derzeit bei 27.155 Dollar, hierzulande bei 49.300 Euro – für die Version mit Achtzylinder-Maschine. Wer erwartet, dass der Stromer deutlich teurer ausfällt, wird positiv überrascht: Die Preisliste startet schon bei 46.900 Euro für die heckgetriebene Version mit 198 kW (269 PS) Motorleistung und einer Batteriekapazität von 68 kWh. Mit der großen Batterie und einer Antriebsleistung von 216 kW (294 PS) werden wenigstens 54.475 Euro fällig.
Unsere allradgetriebene „Extended Range“-Topversion steht mit einem Basispreis von 62.900 Euro in der Liste. Hinzu kommen bei dem Testwagen 1200 Euro für die Metallic-Lackierung sowie 3000 Euro für das Technologie-Paket 2, das unter anderem das riesige Panorama-Glasdach, eine Soundanlage von Bang & Olufsen, einen adaptiven Tempomaten sowie ein Sitzmobiliar aus Kunstleder beinhalten. Damit endet aktuell aber schon die Liste der Optionen – die 19 Zoll-Räder sind ebenso Serie wie rot lackierte Bremssättel, Rückfahrkamera oder die Vorrüstung für eine Anhängerkupplung.
Der Spaß beginnt schon bei 36.000 Euro
Und natürlich gehen von dem Listenpreis noch Umweltbonus und Innovationsprämie ab. Mit der Förderung sinkt der Preis für das vollelektrische Basismodell (mit einem Nettolistenpreis von 39.411 Euro) auf etwa 36.000 Euro, der für das Topmodell (mit einem Nettolistenpreis von 51.000 Euro) auf etwa 55.000 Euro. Damit werden die elektrischen Wildpferde schon deutlich erschwinglicher und gerade zu einem Schnäppchen, wenn man sie mit den Haupt-Wettbewerbern vergleicht.
Der heckgetriebene VW ID.4 Max (150 kW/204 PS stark und mit einem 77 kWh-Akku an Bord) steht mit 55.250 Euro in der Preisliste, ist aber deutlich schwächer motorisiert. Und der allradgetriebene Jaguar i-Pace mit 90 kWh-Akku startet bei 77.300 Euro und bietet nur geringfügig bessere Fahrwerte. Aber trotz Facelift bietet der Jaguar immer noch eine schlechtere Ladeperformance als der Mustang.
Unser Fazit zum Elektro-Mustang
Das Fazit fällt entsprechend positiv aus: Auch wenn der Mustang der neuesten Generation mit dem Urtyp wenig gemein hat, so bringt er doch gute Voraussetzungen mit, um ein ähnliches Erfolgsmodell zu werden. Wie es heißt, verfügt Ford bereits über eine „sehr ordentliche“ Orderbank. Wer mit einem Kauf liebäugelt, sollte sich sputen. Sonst findet der erste Ausritt mit dem Mustang erst im nächsten Jahr statt.
Der Testwagen im Überblick
Antrieb: Dual-Elektromotor mit 258 kW (351 PS) Leistung; Lithium-Ionen-Akku mit 88 kWh Kapazität
Drehmoment: 580 Newtonmeter
Länge/Breite/Höhe: 4713/1881/1624 mm
Reichweite: 540 Kilometer
Höchstgeschwindigkeit: 180 km/h
0-100 km/h: 5,1 Sekunden
Stromverbrauch (nach WLTP-Norm): 18,7 kWh/100 km
Basispreis: 62.900 Euro
Geplante Varianten: Mach-E GT