Achtung, jetzt kommt’s dicke für die Deutschen. Denn wenn Kia im letzten Quartal dieses Jahres den EV9 an den Start bringt, ist das stolze SUV von glatten fünf Metern Länge nicht weniger als eine kolossale Kampfansage der Koreaner, die gleichermaßen Elektroautos wie dem VW ID.Buzz oder dem Mercedes EQS SUV gilt. Schließlich will das neue Flaggschiff der Hyundai-Schwester mehr als jeder andere Stromer in diesem Format Geländewagen und Großraumlimousine in einem sein. Und unser Eindruck nach ersten Testfahrten ist: Der große Koraner macht dabei beides besser als die beiden Protagonisten aus Deutschland. 

Das beginnt schon beim Design des kantigen und trotzdem schnittigen Flaggschiffs, das sich erfreulich nahe an der Studie von 2021 hält. Und es endet bei der Sitzlandschaft in einem bei 3,10 Metern Radstand angenehm großzügigen Innenraum. Die Loungesessel für das entspannte Warten beim Laden kennen wir schon, und von den beiden elektrisch versenkbaren Plätzen in der dritten Reihe, die serienmäßig an Bord sind, darf man natürlich keine Wunder erwarten.

Captain Chairs für alle

Doch für die zweite Reihe haben die Koreaner um so mehr Hirnschmalz aufgewendet. Neben der Dreierbank für die Großfamilie bauen sie deshalb gleich zwei unterschiedliche und – natürlich immer verschiebbare – Captain-Chairs ein. Entweder gibt es auch hier die Loungeliege. Oder man kann den Sitz um 270 Grad drehen, so dass man bequemer ein- und aussteigen, Babys leichter in ihre Sitzschale schnallen oder dem Gegenüber während der Fahrt ins Gesicht schauen kann. Dazu gibt’s auf allen Außenplätzen Ventilatoren in den Polstern, drei Klimazonen und mehr Steckdosen als Sitzplätze – die Außenbuchse fürs E-Bike oder den Campingkühlschrank sind da noch nicht mitgerechnet.

Und weil es eben nicht nur um Kinder geht, sondern auch um Koffer und all den anderen kleinen Kram auf großen Reisen, bleiben selbst bei voller Bestuhlung über 300 Liter Stauraum, bei versenkter Rückbank sind es über 800 und mit umgeklappter zweiter Reihe geschätzte 1500 Liter. Und dazu kommt noch der Frunk unter der Bughaube, der je nach Modellvariante weitere 90 Liter fasst.

100 kWh-Akku für 541 Kilometer Reichweite

Aufgebaut auf der globalen E-Plattform des südkoreanischen Großkonzerns gibt es den Hyundai EV9 bei uns nur mit einem 100 kWh-Akku, der trotz des stolzen Formats und der – nun ja, nicht eben windschnittigen Form eine Normreichweite von 541 Kilometer ermöglicht und dank seiner noch immer weitgehend konkurrenzlosen 800-Volt-Architektur auch beim Laden Bestwerte verspricht. Zwar nennen die Koreaner noch keine Ladeleistung, versprechen im besten Fall aber 239 Kilometer Reichweite in 15 Minuten. 

Flott ist der EV9 aber nicht nur an der Steckdose, sondern auch auf der Straße. Schon die Heckantriebsvariante mit vergleichsweise mageren 150 kW (204 PS) Antriebsleistung bekommt Auslauf bis 180 km/h. Und wer den Allradler bestellt, kann mit souveränen 283 kW oder 385 PS bis zu 200 km/h erreichen. Weil das maximale Drehmoment dabei kurzfristig von 600 auf 700 Nm angehoben werden kann, gelingt der Spurt auf Tempo 100 in 5,3 Sekunden. Selbst in so einem Koloss kommt da ein bisschen GT-Feeling auf. Damit fährt der EV9 auf Augenhöhe mit den meisten elektrischen SUV diesseits etwa des Tesla Model X – und stempelt den aktuell maximal 140 km/h schnellen VW ID.Buzz zum Schleicher.

Assistenzsysteme auf Mercedes-Niveau

Allerdings ist der Spaß nur wohl dosiert zu genießen. Denn natürlich kann der EV9 weder sein Format, noch sein Gewicht von deutlich über 2,5 Tonnen verbergen und die in dieser Klasse mittlerweile gerne genommene Hinterachslenkung war den koreanischen Kostenwächtern offenbar zu teuer. 

Deshalb haben sie nach alter Väter Sitte eine enge Verbindung zwischen Fahrer und Fahrzeug geschnürt, das Auto stramm und engagiert abgestimmt und so für ein wenig Leidenschaft auf der Landstraße gesorgt. Und wem das nicht passt, der kann sich das Steuer öfter aus der Hand nehmen lassen. Schließlich bauen sie im EV9 den aktuellsten Satz ihrer Aisstenzsyteme ein und bieten damit je nach Land und Gesetzeslage autonomes Fahren nach Level 3 an. Auch in dieser Disziplin fahren sie deshalb auf Augenhöhe mit Mercedes & Co.

Aber Kia düpiert die Deutschen nicht nur bei Variabilität, Assistenz, Antrieb und zumindest den VW ID.Buzz auch bei den Fahrleistungen. Sondern die Koreaner sind auch bei Bedienung und Materialauswahl ganz vorne dabei: Nachdem die so genannte Dual-Mode-Leiste für Klima und Infotainment aus dem Kia EV6 schon wieder Geschichte ist, findet man sich problemlos zurecht auf dem großen Touchscreen und den beiden Schalterleisten darunter.

Preise beginnen wohl bei 70.000 Euro

Davon kann sich VW eine dicke Scheibe abschneiden, genau wie von den klassischen Tasten am Lenkrad. Und was dem EV9 zum Mercedes EQS SUV an Finesse fehlt – und das ist zugegebenermaßen eine ganze Menge –  das macht er mit seinem guten Gewissen wett. Denn mehr denn je haben die Koreaner auf nachhaltige Rohstoffe und Recycling-Materialien gesetzt – sogar der nicht minder kolossale Schlüssel ist aus wiederverwertetem Kunststoff gegossen.

Ein stolzes Format, ein ambitionierter Antrieb, viel Platz auf allen Plätzen und Seriensieger beim Stühlerücken – so fährt der EV9 tatsächlich zwei so unterschiedlichen Autos wie dem VW ID.Buzz und dem Mercedes EQS SUV gleichermaßen in die Parade. Doch der Aufstieg hat auch seinen Preis. Denn schon für die Launch-Edition „Earth“ mit 150-kW-Heckantrieb und 99,8-kWh-Batterie werden wohl über 70.000 Euro aufgerufen: Bei Kia in Belgien steht das Fahrzeug mit 74.990 Euro in der Preisliste. Die Launch-Edition GT Line mit 283 kW starkem Allradantrieb und dem 99,8-kWh-Akku kostet im Nachbarland ab 83.890 Euro – hierzulande dürfte er kaum günstiger werden, da er nicht vom Umweltbonus profitiert.

Die geplante, besonders kW-starke GT-Variante dürfte da schon bei über 90.000 Euro liegen. Und mit ein paar Extras klettert der EV9 womöglich als erster Kia in sechsstellige Preisregionen. Dann kommt es nicht nur für die deutschen Konkurrenten dicke, sondern auch für die Kia-Kunden. 

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