Deutschland hat die Chance, im Jahr 2050 klimaneutral zu sein – wenn sie jetzt den Ausbau der Erneuerbaren Energie vorantreibt, den Verkehrs schnellstmöglich elektrifiziert, sämtliche Gebäude energetisch saniert und eine funktionierende Wasserstoffwirtschaft aufbaut. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Klimaneutrales Deutschland“, die von der Prognos AG zusammen mit dem Freiburger Öko-Institut und dem Wuppertal-Institut erstellt wurde. Auftraggeber waren die Denkfabrik Agora Verkehrs- und Energiewende sowie die Stiftung Klimaneutralität.

„Wir haben dieses Projekt aufgesetzt, als klar wurde, dass die Bundesregierung zwar die Klimaneutralität bis 2050 beschlossen, aber keinen Plan dafür hat“, sagte Patrick Graichen, Direktor der Agora Energiewende. Die Studie weist der Politik nun genau den Weg. Er führt im ersten Schritt zu einer 65-prozentigen Senkung der CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 – verglichen mit den Werten von 1990. Im zweiten Schritt würde sich die vollständige Umstieg auf klimaneutrale Technologien anschließen. Und was dann noch an Restemissionen übrig bleibt, soll dann abgeschieden und in die Erde verpresst werden. Ziel soll es sein, selbst bei einem insgesamt erhöhten Verbrauch bis zum Jahr 2050 den kompletten Strom mit Hilfe Erneuerbarer Energien zu erzeugen – ohne den Wohlstand in Deutschland zu schmälern.

„Dafür“, so Graichen, „müssen wir nun aber beim Ausbau der Wind- und Solaranlagen alles geben.“ Das sei nicht nur im öffentlichen Interesse, sondern diene „der nationalen und wirtschaftlichen Sicherheit.“

Laut der Studie wäre in den kommenden Jahren bei der Photovoltaik eine Verdreifachung der aktuell installierten Leitung von 50 auf 150 Gigawatt erforderlich. Die Stromerzeugung mit Hilfe von Windkraftanlagen auf See müsse bis zum Jahr 2030 von heute acht 25 Gigawatt steigen – dann sei eine Beendigung der Kohleverstromung schon in zehn Jahren möglich. Voraussetzung sei allerdings auch eine kräftige Erhöhung der Wasserstoffproduktion. Denn der Energieträger werde als Speicher benötigt, um in Dunkelflauten – wenn weder die Sonne scheint noch der Wind weht – einspringen zu können.

Benziner und Diesel ab 2035 überflüssig

Gefordert ist allerdings nicht nur die Energiewirtschaft. Auch der Verkehr muss sein Scherflein zur Dekarbonisierung beitragen. Die Voraussetzungen dafür seien gut, warb Christian Hochfeld, der Chef von Agora Verkehrswende. Im Personenverkehr könnten batterieelektrische Autos bis zum Jahr 2035 die klassischen Benziner und Diesel überflüssig machen. Und auch für die Elektrifizierung des Straßengüterverkehrs gebe es mit Batterie- und Brennstoffzellenantrieben sowie Oberleitungssystemen funktionierende Lösungen. Etwa 75 Prozent des heutigen Straßengüterverkehrs ließen sich damit bis zum Jahr 2050 darstellen. Der Rest der Verkehre lasse sich auf die Schiene verlagern oder durch die Verwendungen von synthetischen Kraftstoffen in Dieselmotoren klimaneutral darstellen.

Die ausführliche Version der Studie mit Szenarien für alle Sektoren soll am 9. November veröffentlicht werden. Die Zusammenfassung steht ab sofort im Internet zum Download bereits.

Energiewirtschaft drängt auf Netzausbau

Beim Bundesverband der deutschen Energiewirtschaft (BDEW) traf die Studie auf positive Resonanz. „Der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss deutlich beschleunigt werden, der Netzausbau ebenfalls“, hieß es dort in einer ersten Stellungnahme. Keine Illusionen macht man sich auch beim BDEW darüber, dass vor Politik und Wirtschaft noch ein „sehr hartes Stück Arbeit liegt – auch angesichts der vielen Widerstände vor Ort.“

Der Verband drängt vor allem auf einen raschen Einstieg in die Wasserstoff-Wirtschaft: „Hier stehen wir noch ganz am Anfang – umso mehr brauchen wir für diese Aufgabe Elan und Optimismus. Die Aufgabe von Politik und Energiewirtschaft muss es sein, dass Wasserstoff möglichst schnell, möglichst günstig und in möglichst großen Mengen zur Verfügung steht, damit dieser auch seinen Beitrag zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung leisten kann.“ Für den Erfolg der Energiewende sei es entscheidend, hier schnell voranzukommen.

Kritik kam hingegen vom Verband der Automobilindustrie. „Die Agora bleibt in ihren Darstellungen die Antwort schuldig, wie die neuen, noch ambitionierteren Ziele mit einem adäquaten Aufbau der Ladeinfrastruktur begleitet werden sollen. Ohne Ladeinfrastruktur wird es das notwendige Verbrauchervertrauen nicht geben“, sagte VDA-Präsidentin Hildegard Müller.

Sie verwies auch darauf, dass die Dekarboniserung des Verkehrs nicht allein durch die Förderung von Batterieautos gelingen kann. „Nicht die Antriebsart sollte dekarbonisiert werden, sondern der Energieträger. Wasserstoff – ob als Verbrenner oder Brennstoffzelle – wird ebenfalls eine wichtige Rolle in der Zukunft spielen. Auch der Einsatz regenerativer Kraftstoffe, wie Biofuels der zweiten und dritten Generation sowie E-Fuels, sind wichtig, um auch die Bestandsflotte und damit die Klimaziele bis 2050 zu erreichen.“

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