Vier Jahre ist es mittlerweile her, dass der damalige Vorstandsvorsitzende von Volkswagen Nutzfahrzeuge (VWN) – Thomas Sedran mit Namen – auf der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover unter dem Motto „Transportation your Future“ neue Lösungen für nachhaltige Mobilität für Güter und Menschen in urbanen Regionen vorstellte. Eine Konzeptstudie des ID. Cargo, einen Crafter Hymotion mit Brennstoffzelle – und ein dreirädriges Cargo-Bike, mit einem halben Kubikmeter Ladevolumen und einer Zuladung von 210 Kilogramm, einem 250 Watt starken Mittelmotor mit Automatikgetriebe und einer innovative Neigetechnik, mit der die Ladefläche immer waagerecht bleiben sollte.

„Unser e-Bike Cargo vereint alle bekannten Nutz- und Fahreigenschaften in einem perfekten Produkt“, warb Sedran damals für das stylishe Lastenrad, an dem sich auch der Innovationsfonds des VW-Betriebsrats finanziell beteiligt hatte. Auch Projektleiter Thomas Ludewig legte damals die Latte hoch, als er im Rahmen der Klima-Kampagne #Project1Hour ankündigte, mit dem e-Bike Cargo nicht weniger als „die urbane Mobilität verändern die Schadstoff-Emissionen signifikant reduzieren“ zu wollen.

Weltpremiere auf der IAA 2018 
Thomas Sedran, der damalige Chef von Volkswagen Nutzfahrzeuge, drehte auf der Messe eine Runde mit dem e-Bike Cargo.
Weltpremiere auf der IAA 2018
Thomas Sedran, der damalige Chef von Volkswagen Nutzfahrzeuge, drehte auf der Messe eine Runde mit dem e-Bike Cargo.

Der ID.Buzz ist inzwischen auf dem Markt, Thomas Sedran kümmert sich inzwischen als Finanzchef um die VW-Software-Tochter CARIAD. Vom VW Crafter Hymotion spricht in Hannover niemand mehr – die Brennstoffzellentechnik gilt im Konzern als Zeitverschwendung. Und das Projekt e-Bike Cargo von VW Nutzfahrzeuge? Wurde jetzt nach vierjähriger Entwicklungszeit ebenfalls gekippt. Wie das Unternehmen dieser Tage seinen Händlern mitteilte, lasse sich das Lastenrad finanziell nicht mehr realisieren. Schluss, Aus, ab ins Museum.

„Das Rad rechnet sich nicht mehr“

An mangelndem Interesse potenzieller Kunden lag es nicht. Wie ein VW-Händler berichtet, hat er immer noch mehrere Dutzend (unverbindliche) Vorbestellungen für das e-Bike Cargo vorliegen, das je nach Ausstattung und Aufbau zu Preisen von 4.990 und 5.500 Euro angeboten werden sollte. Doch die Preise ließen sich aufgrund der angespannten Lage auf dem Weltmarkt schon lange nicht mehr halten, heißt es nun bei VWN in Hannover. Ob Batterie, Motoren, Halbleitern und Aluminium – sämtliche Komponenten seien heute deutlich teurer als vor vier Jahren: „Das Rad rechnet sich nicht mehr. Wir mussten deshalb leider, leider einen Schlussstrich ziehen“, sagte auf Anfrage von EDISON ein Unternehmenssprecher.

Stylishes Design, anspruchsvolle Technik 
Das e-Bike Cargo von VW Nutzfahrzeuge sollte Lasten von bis zu 250 Kilogramm mithilfe einer ausgeklügelten Neigetechnik balancieren und mit einem kraftvollen Elektromotor mit Schaltautomatik durch Städte transportieren. Jetzt wurde das Projekt aus Kostengründen gestoppt. Fotos: VW Nutzfahrzeuge
Stylishes Design, anspruchsvolle Technik
Das e-Bike Cargo von VW Nutzfahrzeuge sollte Lasten von bis zu 250 Kilogramm mithilfe einer ausgeklügelten Neigetechnik balancieren und mit einem kraftvollen Elektromotor mit Schaltautomatik durch Städte transportieren. Jetzt wurde das Projekt aus Kostengründen gestoppt. Fotos: VW Nutzfahrzeuge

Hinzu kamen technische Probleme. Die innovative Kinematik der Vorderachse, die dafür sorgen sollte, dass sich das schwere Transportgut auf der Ladefläche stets waagerecht ausbalanciert wird, funktionierte im Alltagsverkehr wohl nicht so gut wie seinerzeit auf der Messebühne.

Prototyp mit Kippgefahr

Probefahrten auf einer Fahrradmesse offenbarten eklatante Schwächen, die Kritiken eines Testers fielen verheerend aus: „Selbst bei deutlich unter 15 km/h neigt das Dreirad sogar in weiten Kurven zum Kippen. Bei vollem Lenkeinschlag drohe das Aufschaukeln des Rads, schlimmstenfalls das Umkippen.“ Fazit: „In dieser Form ist das Rad schlicht nicht fahrbereit.“

Also zurück in die Entwicklungsabteilung. Mit der Folge, dass der sogenannte SOP – der „Start of Production“ – immer wieder verschoben werden musste. Von 2019 auf 2021, dann von 2021 auf 2022. Solange, bis gar nichts mehr ging. 2020 war allerdings schon Motorenlieferant Continental ausgestiegen, hatte die Produktion des „revolutionären“ 48-Volt-Antriebs, der im VW Cargo-Bike zum Einsatz kommen sollte, eingestellt. Die Umstellung auf einen Bosch-Antrieb warf erneut den Zeitplan von Projektleiter Ludewig über den Haufen. Auf der Webseite von VW Nutzfahrzeuge wurde es allerdings weiterhin beworben, als wäre es schon bald verfügbar. Und die Händler wurden gebeten, schon mal Ausstellungsflächen im Showroom vorzubereiten. Das war wohl etwas voreilig.

Kooperation mit Fahrradhersteller war keine Option

Das Aus für das Projekt kommt aber auch insofern nicht überraschend, als die klassischen Fahrradhersteller die Marktnische längst selbst erkannt haben – und inzwischen eigene Lastenräder auch für den Transport schwerer Güter auf den Markt bringen. Urban Arrow beispielsweise, Riese & Müller, die ZEG-Tochter A.N.T. oder Nikolai, Baboo hat mit dem Carve sogar eines mit Neigetechnik im Lieferprogramm. Allerdings geben auch Experten zu, dass der Bau eines Lastenrads mit Neigetechnik und hoher Zuladung „kein triviales Thema“ und schon gar „kein Selbstläufer“ sei – auch zulassungsrechtlich: „Eigentlich bräuchten solch schwere Lastenräder auch einen Rückwärtsgang“, findet Arne Bischoff vom „Pressedienst Fahrrad“ in Göttingen.

Wäre es da nicht einfacher gewesen, Volkswagen hätte sich gleich mit einem der professionales Fahrradhersteller zusammengetan, anstatt sich mit eigenen Kräften an einem Hightech-Lastenrad zu versuchen? Wie es in Hannover heißt, war Badge Engineering für das Team bei VWN eine Option: „Wir haben schließlich einen hohen technischen Anspruch.“ Und jetzt sicher etliche Millionen Euro in den Sand gesetzt.

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4 Kommentare

  1. Arne Behrensen

    Kleiner Hinweis: Die Vorstellung des nahezu unfahrbaren VW Prototypen durch Sedran war 2018 auf der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover – nicht auf der IAA in Frankfurt. Bericht von der damaligen Präsentation: http://www.cargobike.jetzt/vw-cargobike-auf-iaa-nutzfahrzeuge/

    Schon damals haben übrigens etablierte Lastenrad-Hersteller wie Urban Arrow auf der IAA Nutzfahrzeuge ausgestellt. Die meisten Medien haben aber nur über die offensichtliche Fehlkonstruktion von VW als „das weltweit modernste, elektrische Lastenrad“ berichtet, „dessen Nutz- und Fahreigenschaften fortan die Bestmarken im Wettbewerb setzen.“

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    • Franz W. Rother

      Danke für den Hinweis. Wird korrigiert.

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  2. Roland

    Eine wichtige Tatsache fehlt: Im Lastenradmarkt sehr stark ist Urban Arrow, eine Tochter der Niederländischen Pon Holdings, der seit Jahrzehnten VW-Generalimporteur ist und einen Anteil von 20% an allen in Deutschland verkauften Pedelecs hat (generell). Die Tochterfirma Ponooc betätigt sich als Risikokapitalgeber für Zweitad-Innovationen unter anderem auch mit dem vielleicht bekannten Autohersteller Porsche https://newsroom.porsche.com/de/2022/unternehmen/porsche-ausbau-engagement-ebikes-markt-fazua-ponooc-27330.html

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    • Franz W. Rother

      Urban Arrow ist genannt 😉

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