71 Kilometer schnurrt der Lexus NX bereits vollelektrisch durch die Landschaft. Und das nächste Zwischenziel ist nicht mehr fern, sagt der Bordcomputer. Doch zu früh gefreut: Als sich die Landstraße hinauf in die Berge zu winden beginnt, ist der Akku im Fahrzeugboden am Ende seiner Kräfte, ist es mit der Herrlichkeit des beinahe lautlosen und emissionsfreien Fahrens plötzlich vorbei: Der Vierzylinder-Benziner unter der Motorhaube springt an und übernimmt die Regie, lautstark brummend und jaulend zugleich. Denn das Zusammenspiel zwischen den beiden Elektromotoren und dem Verbrenner an Bord des neuen Plug-in Hybrid NX 450+ von Lexus regelt nicht nur eine ausgefuchste Elektronik, sondern auch ein stufenloses CVT-Getriebe, das so seine Probleme zu haben scheint, die richtige Drehzahl und den richtigen Ton zu treffen.
Schade, denn ansonsten schlägt sich der erste, 227 kW oder 309 PS starke Plug-in von Lexus ganz ordentlich auf den Testfahrten. Mit einer Kapazität von 18,1 Kilowattstunden ist der Lithium-Ionen-Akku im Fahrzeugboden deutlich größer und leistungsstärker als der in vielen anderen aktuellen Autos mit dieser Antriebstechnik. Zum Vergleich: Bei dem in etwa gleich großen Audi Q5 TFSI e quattro (220 kW/299 PS Leistung) kommt der Strom für den Elektroantrieb aus einem Akku mit 14,4 kWh Kapazität, was den Aktionsradius dieses PHEV im Schnitt auf 60 Kilometer begrenzt. Und beim Mercedes GLC 300e 4Matic 235 kW/320PS) reichen 13,5 Kilowattstunden Speicherkapazität bestenfalls nur für 45 Kilometer im Elektromodus – dann muss der Verbrenner ran.
E-Reichweite genügt bereits Vorgaben für 2022
Insofern ist der Lexus NX nicht nur der Konkurrenz ein Stück voraus, sondern auch der Gesetzgebung: voraus: Die Bundesregierung will Plug-in-Hybride ab 1. Oktober nächsten Jahres nur noch dann finanziell fördern, wenn diese wenigstens 60 Kilometer mit einer Akkuladung weit kommen – aktuell liegt die Förderschwelle bei 40 Kilometern. Und wie es bei Lexus heißt, ließe sich aus dem Akkupaket des NX sicherlich noch der eine oder andere Kilometer mehr herauskitzeln, um auf eine elektrische Reichweite von 80 Kilometern zu kommen. Dann würde das Modell auch nach in drei Jahren eine Förderprämie von bis zu 6750 Euro einstreichen können – so es die dann noch geben sollte.
Denn das Antriebskonzept des Plug-in-Hybrids ist ebenso wie die staatliche Stütze dafür nicht ganz unumstritten. Der Grund: Im Alltagsverkehr hängen viele der Teilzeitstromer viel zu selten an der Wallbox, wie nicht nur Fuhrparkmanager wissen. Auch eine Studie des International Council of Clean Transportation (ICCT) und des Fraunhofer-Instituts für System und Innovationsforschung (ISI) belegte das im vergangenen Jahr. Die Folge sind Benzinverbräuche deutlich über den beim offiziellen Prüfzyklus ermittelten Werten. Umweltschützer fordern deshalb schon seit längerem, die Förderung für PHEVS komplett einzustellen und auch die steuerlichen Vorteile für dieses Antriebskonzept zu streichen.
Der Lexus NX 450h liefert den Gegnern des Antriebskonzepts keine neue Munition, im Gegenteil: Mit einer elektrischen Reichweite von über 60 Kilometern dürften die meisten Berufspendler gut leben und den Alltagsverkehr gut meistern können. Und bei einer geschickten Nutzung der Fahrprogramme – und einer Nutzung der öffentlichen Ladestruktur lassen sich mit dem SUV auch längere Strecken sparsam und dabei sehr komfortabel zurücklegen: Die Testfahrten (mit moderaten Fahrgeschwindigkeiten und bei fleißiger Nutzung der Schaltwippen zur Rekuperation im Elektromodus) endeten nach gut 200 Kilometern mit einem Stromverbrauch von durchschnittliche 19 Kilowattstunden und einem Spritverbrauch von 3,4 Litern. Es gilt, wie man daran sieht, auch hier der gleiche Spruch wie der für Beton: Es kommt darauf an, was man daraus macht – und wie intelligent man die Technik einsetzt.
Ladeleistung von maximal 6 kW
Wünschenswert wäre allerdings eine höhe Ladeleistung – an der Wallbox daheim wie an der öffentlichen Ladesäule fließt der Wechselstrom maximal mit 6,6 kW in den Akku. Mehr gibt das Stromnetz in China nicht her, wo der SUV wohl in erster Linie angeboten werden soll. Zudem, so argumentieren die Lexus-Ingenieure, reiche die Ladeleistung völlig aus, um den Akku über Nacht daheim wieder aufzuladen. Aus dem gleichen Grund wurde eine Möglichkeit zum Schnellladen mit Gleichstrom gar nicht erst vorgesehen.
Und sonst so?
Ist alles vom Feinsten, muss sich der Lexus vor den Konkurrenten aus Ingolstadt und Sindelfingen nicht verstecken. Entsprechend selbstbewusst kommt der neue Lexus daher: Mit dem Markenzeichen im Kühlergrill, aber mit vollem Familiennamen auf der Heckklappe. Im Vergleich zur ersten Generation bietet der neue NX spürbar mehr Platz im Innenraum: Der Radstand wuchs um drei, die Länge und Breite um zwei Zentimeter, die Höhe um fünf Zentimeter. Das kommt hinten der Kniefreiheit, vorne der Kopffreiheit zu gute. Und beim Verstauen des Reisegepäcks sollte es bei einem Kofferraumvolumen zwischen 545 und 1436 Litern auch kein Problem mehr geben. Die PHEV-Version des Audi Q5 packt nur 465 Liter, wenn die Rücksitzbank mit Passagieren belegt ist, der Mercedes GLC 300e sogar nur 395 Liter – auch hier gibt der Lexus die Pace vor.
Feinste Verarbeitung und Materialien
Das gilt auch für die Güte der Verarbeitung und der eingesetzten Materialien. Während die deutschen Hersteller dem Kostendruck nachgeben und auch bei Teilen in Reichweite des Fahrers schon einmal Verkleidungen aus Hartplastik verbauen, hat Lexus bei dem NX spürbar noch einmal eins draufgelegt: Alles sieht nicht nur edel aus, sondern fühlt sich auch so an. Das gilt auch für die neuen elektromechanischen Türöffner. Und die Fensterheber surren so leise wie in wohl keinem anderen Auto nach oben und unten.
Die klassischen Tugenden spielen die Japaner auch an anderer Stelle aus, bei der nochmals feineren Abstimmungen von Fahrwerk und Lenkung. Vor allem aber bei der Ergonomie: Die Bedienung gibt keine Rätsel auf und ist auch ohne vorheriges Trockentraining oder Schulungen im Internet beherrschbar. Zwar wartet auch der Lexus mit einem 14 Zoll großen und reaktionsschnellen Touchscreen auf, mit Spracherkennung, Cloud-Navigation und all dem Digital-Gedöns, das heute angeblich ein gutes Auto ausmacht. Und gegen Aufpreis gibt es auch ein Head-up-Display, das die wichtigsten Fahr- und auch Verkehrsinformationen in Echtzeit in die Windschutzscheibe spiegelt. Aber daneben gibt es noch 45 physische Knöpfe und Schalter, über die wichtige Funktionen direkt gesteuert werden können. Einsteigen, starten, losfahren – das geht noch. Wer hätte das gedacht?
Nur an einer Stelle haben die Japaner übertrieben: Beim Innenspiegel. Den gibt es im neuen Modell gegen Aufpreis auch in einer digitalen Version. Soll heißen: Der kleine Monitor am Dachhimmel setzt das Bild aus Echtzeitbildern der Rückfahrkamera zusammen, so dass im Rückspiegel die Köpfe der Passagiere auf der Rücksitzbank nicht stören. Allerdings waren die Spiegel-Bilder auf der Testfahrt so stark verwackelt, dass sie eher irritierten als halfen – wir haben das System deshalb schnell wieder abgeschaltet. Unsere Empfehlung: Weglassen und Geld sparen.
„Knapp unter 60.000 Euro geht’s los
Denn der Lexus ist auch so schon ein recht teures Fahrzeug. „Knapp unter 60.000 Euro“ soll der NX 450+ kosten, wenn er zum Jahreswechsel nach Deutschland kommt. Das wären etwa 3000 Euro mehr als für einen (etwas karger ausgestatteten) Audi Q5e oder Mercedes GLC 300e – aber auch 15.000 Euro mehr als das 179 kW (244 PS) starke Schwestermodell 350h mit einem Hybridantrieb ohne Lademöglichkeit. Für den gibt es allerdings weder einen Umweltbonus noch E-Kennzeichen und steuerliche Vorteile.
Da sollte man schon wissen, was man mit dem Auto macht und wie man es einsetzt.