Für große Jungs ist der Hyundai Ioniq 5 N ein wunderbares Spielzeug. Nach Lust und Laune können sie hier das Elektroauto vor dem Start zu einer Runde auf dem Nürburgring (oder der Fahrt über die Autobahn ins Büro) in ein 650 PS starkes Rennauto verwandeln. Die Traktionskontrolle lässt sich in elf Stufen modifizieren, auch die Verteilung des Drehmoments auf die vier Räder bleibt dem Fahrer überlassen. Wer vorhat, auf nasser Fahrbahn mit dem Stromer ein wenig durch den Kreisverkehr zu driften, findet ebenso ein Fahrprogramm wie der Vertreter alter Schule, der Schaltvorgängen und Schaltruckeln nachtrauert. Und natürlich gibt es auch ordentlich was auf die Ohren – für den Fahrer wie für das staunende Publikum: Über acht Lautsprecher im Fahrgastraum und zwei außen werden Auspuffgeräusche simuliert.

Derzeit gibt es wohl kein anderes Elektroauto, das so viele Emotionen freisetzt. Entsprechend groß ist die Nachfrage nach dem Modell trotz des relativ hohen Einstandspreises von aktuell 74.900 Euro. Nissan würde den Koreanern gerne nacheifern. Mit einem Absatz von nur gut 20.000 Exemplaren auf dem deutschen Markt blieb der Absatz ihres vollelektrischen Topmodells Ariya deutlich hinter den Erwartungen zurück.

Formel E 
Modifizierte Stabilisatoren, Federn und Stoßdämpfer sollen für eine höhere Agilität bei höheren Geschwindigkeiten auf kurvenreichen Strecken sorgen, die optimierte Lenkung für mehr Feingefühl. Und der Heckdiffusor wohl eine Verbindung zum Motorsport herstellen.
Formel E
Modifizierte Stabilisatoren, Federn und Stoßdämpfer sollen für eine höhere Agilität bei höheren Geschwindigkeiten auf kurvenreichen Strecken sorgen, die optimierte Lenkung für mehr Feingefühl. Und der Heckdiffusor wohl eine Verbindung zum Motorsport herstellen.

Ende Januar haben sie der Allradversion des Modells deshalb ein „Nismo“-Paket verpasst. NISMO heißt die Rennsportabteilung von Nissan, die schon dem Sportcoupé GTR für das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring ordentlich Sporen gegeben hat und in der Formel E um die Weltmeisterschaft kämpft – derzeit mit besten Aussichten. Sowohl in der Fahrer- wie in der Teamwertung führt Nissan derzeit das Feld mit großem Abstand an.

Fast 100 kW mehr Leistung

Entsprechend hoch waren unsere Erwartungen, als eines Tages ein Ariya Nismo e-4ORCE auf den Firmenparkplatz rollte, in „dunkelgrau und „Stealth“-grauer Zweifarb-Lackierung und speziellen Leichtmetallrädern von Enkei im 20 Zoll-Format, mit großem Heckspoiler und Heckdiffusor sowie einem Frontsplitter mit sogenannten Enten-Flügeln, die gemeinsam den Anpressdruck verbessern sollen. Vor allem aber mit einer auf 320 kW oder 435 PS gesteigerten Antriebsleistung – der „normale“ Ariya in Allradausführung muss sich mit 225 kW oder 306 PS begnügen.

Da kann sich schon so etwas wie Nervenkitzen einstellen. Zumal auch der Innenraum des Ariya überaus rasant daher kommt, mit Sportsitzen, auf denen der Nismo-Schriftzug prangt, einem knallroten Startknopf sowie roten Nähten und einer roten 12-Uhr-Markierung am Lenkradkranz.

High Noon 
Die Zwölf-Uhr-Position ist am Lenkrad farbig markiert - für den Fall, dass der Fahrer bei wilden Drifts die Orientierung verliert.
High Noon
Die Zwölf-Uhr-Position ist am Lenkrad farbig markiert – für den Fall, dass der Fahrer bei wilden Drifts die Orientierung verliert.

Moderate 3.500 Euro mehr kostet das sportliche Nismo-Paket gegenüber einem allradgetriebenen Ariya mit dem eher komfortbetonten „Evolve“-Pack. An der Speicherkapazität des Lithium-Ionen-Akkus im Unterboden ändert sich darüber allerdings nichts: Netto 91 kWh bzw. brutto 87 kWh müssen auch der Sportversion genügen. Zu wählen gibt’s da nichts.

Motorsound nur im Innenraum

Und zu „spielen“ auch nur wenig: Es gibt wie im Großserienmodell lediglich drei Fahrprogramme, nur dass der „Sport“-Modus hier „Nismo“ heißt. Und auch hier wird der mit einem synthetischen Motorsound aus den Lautsprechern untermalt. Nur deutlich dezenter als im Ioniq 5N und dankenswerterweise auch nur auf den Innenraum beschränkt. Draußen hört das Publikum nur ein leises Summen aus den gesetzlich vorgeschriebenen Lautsprechern des AVAS-Systems, mit dem sehbehinderte Menschen vor einem nahenden Elektroauto gewarnt werden.

Freie Bahn 
Der Nissan Ariya lässt sich auch in der Nismo-Version ganz entspannt und sparsam bewegen. Aber natürlich lockt immer wieder das gleichnamige Sportprogramm, das für ein dynamisches Lenk- und Fahrverhalten sorgt - und den Stromverbrauch treibt.
Freie Bahn
Der Nissan Ariya lässt sich auch in der Nismo-Version ganz entspannt und sparsam bewegen. Aber natürlich lockt immer wieder das gleichnamige Sportprogramm, das für ein dynamisches Lenk- und Fahrverhalten sorgt – und den Stromverbrauch treibt.

So etwas wie Rennfieber mag da zunächst nicht so recht aufkommen. Auch auf den ersten Kilometern überrascht der Ariya Nismo erst einmal mit einer komfortablen Fahrwerksabstimmung – von Ioniq 5N waren wir da ganz anderes gewohnt. Mit dem 4,65 Meter langen und rund 2,3 Tonnen schweren Ariya lässt sich ganz entspannt über Landstraßen surfen oder auch zum nächsten Supermarkt rollen. Und auch wenn man irgendwann in den Nismo-Modus wechselt und ihm die Sporen gibt, lässt er nicht die Sau raus.

Schleudertrauma ist nicht zu befürchten

Lenkung und Fahrwerk straffen sich, der Antrieb reagiert spontaner auf Tritte des rechten Fußes auf das Fahrpedal. Aber es nicht so, dass der Fahrer ein Schleudertrauma befürchten müsste, wenn die Startampel auf Grün springt: Die Nackenmuskulatur kann die G-Kräfte locker auffangen. Ein Hyundai Ioniq 5N wäre da aber möglicherweise schon einige Wagenlängen voraus: Den Sprint auf Tempo 100 bewältigt der in 3,4 Sekunden, der Ariya Nismo braucht dafür 1,6 Sekunden mehr. Und er regelt auf der Autobahn auch schon bei Tempo 200 wieder ab – die Koreaner gönnen ihrem Elektro-Renner Auslauf bis zu 250 km/h.

Sonne im Akku 
An der Wallbox nimmt der Nissan Ariya Wechselstrom mit bis zu 22 kW auf. In der Disziplin übertrifft er den Hyundai klar. Am mit Gleichstrom betriebenen Schnelllader hingegen ist der Koreaner dank seines 800-Volt-Bordnetzes deutlich im Vorteil.
Sonne im Akku
An der Wallbox nimmt der Nissan Ariya Wechselstrom mit bis zu 22 kW auf. In der Disziplin übertrifft er den Hyundai klar. Am mit Gleichstrom betriebenen Schnelllader hingegen ist der Koreaner dank seines 800-Volt-Bordnetzes deutlich im Vorteil.

Aber bei solchen Geschwindigkeiten schmilzt natürlich die Reichweite wie das Speiseeis in der Sonne. Im europäischen Testzyklus WLTP sollen bis zu 417 Kilometer Fahrstrecke darstellbar sein – Hyundai gibt für den ähnlich großen und schweren Ioniq 5N eine Reichweite von 448 Kilometern an. Da nehmen sich beide wirklich nicht viel.

Schnelligkeit endet an der Ladesäule

Aber natürlich sind solche Werte für beide Sport-Stromer im Alltag illusorisch. Selbst dann, auch der Fahrer erfolgreich sein Temperament zügelt und den Nismo-Modus nur selten zuschaltet. Wir kamen mit dem Nissan Ariya im Alltagsverkehr auf einen Durchschnittsverbrauch von 24,6 kWh/100 Kilometer und dementsprechend nur knapp 350 Kilometer mit einer Akkufüllung weit. Meist war sogar schon nach 300 Kilometern eine Ladepause fällig. Auf ähnliche Werte kamen Kollegen beim Alltagstest eines Hyundai Ioniq 5 N. Allerdings kann der dank seiner 800-volt-Architektur an einer Schnellladesäule Gleichstrom mit bis zu 350 kW aufnehmen – beim Nissan, der auf der Plattform des Renault Megane E-Tech steht, sind maximal 130 kW drin.

Nissan sieht Rot 
Zahlreiche rote Elemente außen wie innen sollen die Sportlichkeit der Nismo-Version unterstreichen und für Nervenkitzel sorgen.
Nissan sieht Rot
Zahlreiche rote Elemente außen wie innen sollen die Sportlichkeit der Nismo-Version unterstreichen und für Nervenkitzel sorgen.

Selbst für einen 400-Volt-Stromer ist das inzwischen ein schlechter Spitzenwert, für einen Sportler eigentlich indiskutabel: An der Ladesäule braucht es demzufolge fast 40 Minuten, um den Ladestand von 10 auf 80 Prozent zu heben. Da ist der Hyundai schon längst auf der nächsten Runde – sein Boxenstopp dauert unter gleichen Bedingungen nur 17 Minuten. Dass der Ariya Wechselstrom mit bis zu 22 kW aufnehmen kann, ist da nur ein schwacher Trost.

Lohnt der Mehrpreis?

Ob die hohe DC-Ladeleistung des Hyundai sowie die besseren Beschleunigungswerte einen Mehrpreis von über 10.000 Euro gegenüber dem Nissan Ariya rechtfertigt, muss jeder mit seinem Finanzvorstand klären. Zumal nur die wenigsten Käufer die Gelegenheit haben werden, die Spielmöglichkeiten der N-Version eines Ioniq 5 auf einer Rennstrecke zu erproben. Nichtsdestotrotz scheint hier – wenn man auf die Verkaufszahlen schaut – das Rezept aufzugehen. Nissan hätte hier gleichziehen können, wird aber wohl durch die Möglichkeiten, die die CMF-Plattform von Renault bietet, technisch ausgebremst.

Viel Platz für Spielzeug 
415 Liter fasst der Kofferraum des Nissan Ariya auch in der Nismo-Version. Da passt nicht nur das Reisegepäck, sondern auch eine Carrera-Bahn ganz locker rein - wenn das Rennfieber denn auch im Urlaub aufgelebt werden soll. Fotos: Rother
Viel Platz für Spielzeug
415 Liter fasst der Kofferraum des Nissan Ariya auch in der Nismo-Version. Da passt nicht nur das Reisegepäck, sondern auch eine Carrera-Bahn ganz locker rein – wenn das Rennfieber denn auch im Urlaub aufgelebt werden soll. Fotos: Rother

Andererseits stellt sich auch die Frage, ob der Mehrpreis für die Nismo-Version des Ariya wirklich Sinn macht. Ja, das Mehr ans Leistung lässt sich schon in der einen oder anderen Verkehrssituation nutzen. Aber Top-Speed 200 gilt auch für die etwas schwächere Version des Ariya mit Allradantrieb. Und dafür gibt es dort auch das hübsche Panorama-Glasdach, das dem Nismo vorenthalten bleibt.

Und wenn das Elektroauto in erster Linie dazu dienen soll, dem Spieltrieb zu frönen: Eine volldigitale Carrera-Bahn gibt es schon für einen Bruchteil der Summe. Und die kann man im großen Kofferraum des Ariya dann auch noch locker mit in den Urlaub nehmen. Rennen hingegen sollte man den Profis überlassen. Zum Beispiel denen in der Formel E.

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