Wer die Düsseldorfer Schadowstraße entlang bummelt, stößt in ihrem mittleren Abschnitt auf ein großes, schwarzes Geschäftshaus mit eher konventioneller Glasfassade. Biegt er dann um die Ecke Richtung Schauspielhaus – erlebt er sein grünes Wunder. Reihe um Reihe bedecken Hainbuchen-Hecken das Dach und die schrägen Flanken des fünfstöckigen Gebäudes mit dem seltsamen Namen Kö-Bogen II. Insgesamt acht Kilometer Sträucher, zusammen 30.000 Pflanzen überziehen seit kurzem den Bau mit einem grünen Pelz. Europas größte Grünfassade, so die selbstbewusste Ansage des verantwortlichen Architekten Christoph Ingenhoven.

Er nimmt für sich in Anspruch, mit dem Gebäude eine Antwort auf den Klimawandel zu liefern – und gibt ihm damit eine Bedeutung, die weit über Düsseldorf hinausweist. Denn die heimischen Hainbuchen sollen helfen, das Mikroklima rund um den Bau zu verbessern. Ihre Blätter schirmen im Sommer die Sonnenstrahlen ab und verringern das Aufheizen des Betongebäudes, die Pflanzen speichern Feuchtigkeit und geben sie tagsüber wieder ab, was einen Kühleffekt hat. Sie binden beim Wachsen das Treibhausgas Kohlendioxid, erzeugen Sauerstoff und dämpfen Lärm. Und sie fördern die Artenvielfalt, weil auf ihnen Insekten, Vögel und andere Organismen leben können. Ihr ökologischer Nutzen soll dem von rund 80 ausgewachsenen Laubbäumen entsprechen.

Damit die Hainbuchen gedeihen, musste Karl-Heinz Strauch einigen Aufwand treiben. Der Professor an der Beuth Hochschule für Technik in Berlin ist für das Begrünungskonzept verantwortlich. Auf dem Dach wurzelen die Sträucher in normalen Pflanzenbeeten. Auf der Fassade wachsen dagegen je vier von ihnen in einem Kübel. In denen haben die Gärtner sie bereits seit 2016 aufgezogen, um ihnen genug Zeit zum Ausbilden eines ausreichend großen Wurzelsystems zu geben – dabei waren sie so zur Sonne ausgerichtet, wie es jetzt ihrer Position auf dem Gebäude entspricht. Eine Bewässerungsanlage versorgt die Pflanzen mit Wasser und Nährstoffen.

„Abkehr vom automobilen Zeitalter“

Ingenhoven berücksichtige bei seinem Entwurf nicht nur den Klimawandel, sondern sieht das Projekt auch als Beitrag zur „Abkehr vom automobilen Zeitalter“, wie er in einer Mitteilung formuliert. Denn noch bis 2013 verlief an dieser Stelle eine vielbefahrene Hochstraße, von den Bürgern „Tausendfüßler“ genannt, dahinter lag der Gustaf-Gründgens-Platz vor dem Schauspielhaus, der nicht mehr als der Betondeckel der darunterliegenden Tiefgarage war.

Architekt Christoph Ingenhoven
„Selbstbewusst, jedoch ohne in Konkurrenz zu treten“
Architekt Christoph Ingenhoven.
Foto: Ingenhofen Architects

Die Stadt verlegte den Durchgangsverkehr in einen Tunnel, so dass jetzt das Gelände rund um den Kö-Bogen II autofrei ist. Bauminseln, Sitzmöglichkeiten, Gastronomie und eine große, schräge dreieckige Rasenfläche gegenüber dem Hainbuchen-Haus sollen die Passanten zum Verweilen einladen, sobald die Außenanlagen fertiggestellt sind. Halbspöttisch heißt das Ensemble mittlerweile Ingenhoven-Tal.

Wirklich konsequent ist die Abkehr vom Auto allerdings nicht. Denn unter dem Geschäftshaus befindet sich eine riesige fünfgeschossige Tiefgarage mit 670 Stellplätzen, die wiederum Fahrzeuge mitten in die Innenstadt strömen lässt, immerhin direkt über den Straßentunnel.

Architekt Ingenhoven nimmt dem rund 27 Meter hohen Kö-Bogen II mit seinen immerhin fast 42.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche durch die begrünte, schräge Fassade etwas von seiner Wucht. Er spricht von einer „Verneigung“ vor dem denkmalgeschützen Schauspielhaus mit seiner weißen, geschwungenen Fassade. Das sich zudem schon immer gegen das mächtige, kantige Dreischeibenhaus daneben behaupten musste, das der Stahlkonzern Thyssen lange als Konzernzentrale genutzt hat. Sein Entwurf sei, lässt Ingenhoven verbreiten, „selbstbewusst, jedoch ohne in Konkurrenz zu treten“ gegen die beiden „Architektur-Ikonen der Nachkriegszeit“.

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