Wasser ist das Element von Philipp Sinn. Segeln, schwimmen und tauchen gehören zu seinen Leidenschaften. Sie verhalfen dem promovierten Ingenieur aus München eines Tages auch zu einer interessanten Idee: Die Kraft der Wellen zu nutzen. Bisher dienen die Giganten des Meeres den Menschen vor allem zum Surfen. Mit der richtigen Technik können sie jedoch umweltfreundlich Strom erzeugen. Wellenkraftwerke sind keine neue Erfindung. Sie haben sich bisher nur nicht durchgesetzt. Und die Gewinnung von regenerativer Energie aus Wind- und Solaranlagen hat ihnen längst den Rang abgelaufen. Aber das könnte sich bald ändern.

Denn mit der Dekarbonisierung des Energiesystems gewinnt die Kraft der Welle immer mehr an Bedeutung. Schließlich schlummert aufgrund der hohen Energiedichte in ihr ein gewaltiges Potenzial. Nach Berechnungen der Vereinten Nationen könnten darüber etwa 2.000 Terawattstunden (TWh) für die Stromerzeugung gewonnen werden. Inseln und große Städte in Küstennähe würden damit einen Teil ihres Strombedarfs klimaverträglich decken können.

Energie-Boje
Vor der Hawaii-Insel Oahu testet Ocean Energy gerade eine 826 Tonnen schwere schwimmende Energiefabrik, die bis zu 1,25 Megawatt Strom erzeugen kann. Zu sehen ist nur der Generator über den Wellen. Erzeugt wird der Strom hier nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren. Foto: Ocean Energy

Fast überall auf der Welt gibt es innovative Unternehmen, die die Wellen zur Stromerzeugung nutzen wollen. Dazu gehört auch die irisch-amerikanische Firma Ocean Energy. Vor der Hawaii-Insel Oahu hat sie Ende des vergangenen Jahres ein 826 Tonnen schweres, schwimmendes Kraftwerk mit einer Leistung von 1,25 Megawatt (MW) installiert, um es ersten Praxistests zu unterziehen.

Sinn setzt auf modulares System

Sinn geht einen völlig anderen Weg. Statt gewaltiger Kraftwerke, die oft nur im Dock einer Werft gebaut werden können, hat der Ingenieur aus Bayern ein modulares System entwickelt, das sich leicht in ISO-Containern transportieren und vor Ort aufbauen lässt und kein Fundament benötigt. Je nach Auslegung verfügt jedes einzelnes Modul über eine Leistung von 18 – 36 Kilowatt Peak (kWp).

Die Kraft der Welle zu nutzen, ist knifflig. Während Wind mehr oder weniger kontant weht, gibt es bei der Welle immer eine Auf- und Abwärtsbewegung, was den Wirkungsgrad sinken lässt. Zudem gleicht keine Welle der anderen. Verschiedene Höhen, verschiedene Kräfte und die unterschiedliche Dauer jeder Welle stellen eine große technische Herausforderung dar. Hinzu kommen Salzwasser und Stürme, denen der Schwimmkörper und die Elektronik unmittelbar ausgesetzt sind. „Das ist schon eine gewaltige Aufgabe, bei der unsere Prototypen sich einige Kerben zugezogen haben“, erklärt Sinn, der bereits während seines Studiums der Umweltenergietechnik an der TU München von Wellenkraftwerken fasziniert war und 2014 das Start-up „Sinn Power“ im bayrischen Gauting gründete. 

Nemos aus Duisburg erprobt Federsystem

Während eine Windenergieanlage immer aus einem Turm und einem Flügel besteht und immer nach demselben Prinzip funktioniert, werden bei der Wellenkraft unterschiedliche Ansätze verfolgt. So nutzt das Start-up Nemos aus Duisburg einen selbst entwickelten Federspeicher, um aus den pulsierenden Wellen einen gleichmäßigen Ertrag zu erzielen. Das Faserverbundsystem nimmt über die Spannung die Energie der Wellenbewegung auf, wovon ein Teil an den Generator geht und Strom erzeugt. Zieht sich die Welle zurück, wird die in der Feder verbleibende Energie genutzt, um den Generator weiter zu betreiben und so eine kontinuierliche Auslastung zu erreichen, was nach Angaben von Gründer Jan Peckolt die Kosten erheblich reduziert.

Test an der Hafenmole von Heraklion
Die Wellen setzen über Schwimmkörper große Hubstangen in Bewegung, die wiederum einen Generator antreiben. Foto: Sinn Power

Bei Sinn Power setzen die Wellen eine an jedem Modul angebrachte Hubstange in Bewegung, die wiederum einen Generator antreibt, der den Strom erzeugt. Mehrere Schwimmkörper, die wie überdimensionierte Donuts aussehen, werden zu einer starren Struktur kombiniert und verbunden, damit das Kraftwerke wie ein verankertes Schiff auf der Meeresoberfläche schweben kann. Damit das System modular und skalierbar ist, werden statt eines großen Generators viele kleine von Sinn Power patentierte Lineargeneratoren eingesetzt, die an die individuellen Kundenwünsche angepasst werden können.

Das Ziel des CEO ist eine günstige und stabile Technik, die der Umwelt nicht schadet. Eine Kombination, an die er zusammen mit seinem Team lange gearbeitet hat. So wurde Edelstahl durch das günstigere Aluminium ersetzt und auch das Problem mit der Korrosion hat das Unternehmen in  Griff bekommen. „Intensive Langzeittests der Struktur zeigen, dass unser Kraftwerk Wellen mit einer Höhe von bis zu sechs Metern standhält.“  Jetzt wird über eine Verbesserung der Regelungstechnik noch der Wirkungsgrad verbessert, um das Ziel von zehn Cent Stromgestehungskosten je Kilowattstunde zu erreichen. Für den Gründer war es ein langer Prozess mit einer hohen Lernkurve und vielen Patentanmeldungen, bis die Technik der Wellenkraft funktionierte.

Marktstart in zwei Jahren

Getestet werden verschiedene Prototypen im Hafen des griechischen Heraklion. Die Wellenkraftmodule funktionieren, Strom wird erzeugt und auch Stürme hat die Anlage überlebt. Überwacht und gesteuert werden die Module in Echtzeit von Land aus. Technisch ausgereift ist die Technologie jedoch noch genauso wenig wie alle anderen Wellenkraftwerke auf der Welt. Der ambitionierte Unternehmer rechnet mit weiteren ein bis zwei Jahren, bis sein erstes Kraftwerk auf den Markt kommt. Die größte Hürde ist die Wirtschaftlichkeit. Selbst die beste Idee ist nur so viel Wert wie die Höhe der Stromgestehungskosten. Und die können bei einer neuen Technologie wie der Wellenkraft mit der ausgereiften Technologie einer Windenergie- oder PV-Anlage nicht mithalten. 

Für den Ingenieur ein echtes Problem. Denn Sinn und sein Team wussten nicht, wie sie die noch teurer und nicht komplett ausgereifte Technik im Markt etablieren sollten. Aus dem ersten Frust entstand dann jedoch eine ungewöhnliche und weltweit einmalige Idee, die dem Unternehmen den Eintritt in den globalen Markt eröffnen soll: eine Ocean-Hybrid-Plattform.

Als Basis dienen die modular aufgebauten Schwimmkörper des Wellenkraftwerks. Anstatt sie mit der Technik für Wellenkraft auszustatten, werden sie vorerst je nach klimatischer Gegebenheit mit PV- oder Kleinwindenergieanlagen bestückt oder miteinander kombiniert. Die Technik für die Gewinnung von Strom aus Wellenkraft kann zudem nachgerüstet werden. „Damit bieten wir als erstes Unternehmen eine komplette netzunabhängige Energielösung an, um Menschen in Küstennähe weltweit mit erneuerbarer Energie zu versorgen“, so der CEO.

Dreimal Ökostrom auf einen Streich
Auf der schwimmenden Plattform von Sinn wird elektrischer Strom mit der vereinten Kraft von Wind, Wellen und der Sonnen gewonnen. Illustration Sinn

Der Clou, so Sinn, sei die im Unternehmen selbst entwickelte Leistungselektronik, die im Generator integriert ist, der eine Nennleistung von fünf Kilowatt (kW) erreicht. „Damit können wir den Einsatz von Kleinwindanlangen revolutionieren“, ist Sinn überzeugt. Die bisher für jede Anlage benötigte Verkabelung und Wechselrichter werden bei der von dem Unternehmen aus Süddeutschland entwickelten Technik überflüssig. Daran, so der CEO, seien bereits viele Hersteller von Kleinwindenergieanlagen interessiert.

Salzfeste Leistungselektronik

Außerdem ist die Leistungselektronik nicht nur salzbeständig, sondern auch so robust, dass sie unter der Erde vergraben werden kann. Das hat für den Einsatz auf dem Meer keine Bedeutung, wohl aber an Land bei PV-Anlagen. Die Leistungselektronik, die die Spannung und Frequenz regelt, ist hitzeempfindlich. Vor allem in Ländern mit hoher Sonneneinstrahlung wie Afrika oder Saudi Arabien ist das ein Problem. „Unter der Erde werden sie gekühlt“, erklärt Sinn den entscheidenden Vorteil, den er für ein zusätzliches Geschäftsmodell mit hohem Potential nutzt. Denn Leistungselektronik gilt als dominierender Baustein im Energiesystem der Zukunft.

Demonstriert wird die Ocean-Hybrid-Plattform zurzeit vor der Küste der griechischen Insel Kreta. Sinn möchte sie jedoch auch als Ergänzung zu Offshore-Windparks in der Nordsee einsetzen, wo es eine bereits bestehende Strominfrastruktur gibt. „Unsere Wellenkraftwerke können in Kombination mit Offshore Windparks eine zuverlässige erneuerbare Energieversorgung gewährleisten –  denn Meereswellen sind eine beständige Energiequelle.“

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