Herr Foerster, wann haben Sie denn Ihr erstes Mikroabenteuer erlebt?

Das war 2017. Damals bin ich einfach spontan mit dem Fahrrad von Hamburg nach Berlin gefahren, um dort einen Freund zu besuchen. Während eines Telefonats habe ich mich weit aus dem Fenster gelehnt und gesagt, „lass uns am Brandenburger Tor frühstücken, ich komme mit dem Rad“. Ich bin dann am Nachmittag aufgebrochen, die ganze Nacht gefahren, gefahren, gefahren. Irgendwann bin ich tatsächlich nach gut 300 Kilometern völlig fertig am Brandenburger Tor angekommen. Zurück habe ich die Bahn genommen.

Als ich, 24 Stunden nachdem ich losgefahren war, Zuhause meine Haustür aufschloss, hatte ich sinnbildlich ein Schlüsselerlebnis. Mir ist in dem Moment klargeworden: Ich muss nicht weit reisen, um etwas Besonderes zu erleben. Das war für mich auch die Antwort auf diese unerfüllte Sehnsucht nach Abenteuer in einer Lebensphase, in der ich nicht – anders als früher – weit weg konnte und wollte. Raus und machen, von der Haustür aus, das wurde daraufhin zu meinem Motto.

Aber hat da nicht ein altbekanntes Phänomen ein schickes neues Etikett bekommen?

Die Bezeichnung Microadventure hat als Erster der britische Abenteurer Alastair Humphreys im englischsprachigen Raum verwendet. Irgendwann bin ich über diesen Begriff gestolpert. Ich habe ihn als passend empfunden für meine Idee der Abenteuer von der Haustür aus und ihn ins Deutsche übertragen. Mein erstes Buch zu dieser Idee hieß dann auch Mikroabenteuer. Daraus ist hierzulande etwas entstanden, was viele mittlerweile als Bewegung bezeichnen.

Jetzt aber los
Christo Foerster (43) verdient heute als Sprecher, Coach und Buchauto sein Geld. Davor war er Sportchef der Zeitschrift „Fit for Fun“ und Chefredakteur des Magazins „Men’s Fitness“. In dieser Zeit entwickelte er sich zum Experten für persönliche Motivation und Lebensführung, wie er sich selbst beschreibt.
Foto: Anja Förster

Bei allem Respekt: Wenn Sie so etwas erlebt haben, wird es ja nun noch nicht sofort in der Gesellschaft auf Resonanz stoßen. Warum haben sich die Mikroabenteuer zu einem Trend entwickelt? Warum treffen Sie offenbar ein Lebensgefühl so vieler Menschen?

Das hat verschiedene Gründe. Zum einen leben wir in einer Zeit, in der wir uns aus unserem ursprünglichen Lebensraum – der Natur –, aus dem wir evolutionär kommen, sehr weit entfernt haben. Weil einfach die technische Entwicklung unseren Alltag sehr bestimmt und das Entdecken der Umwelt in den Hintergrund getreten ist.

Wir spüren aber: Es tut uns gut, in die Natur einzutauchen. Mikroabenteuer sind da auf einmal eine Lösung, die in einen Alltag passt, der ja immer schneller geworden ist, der uns immer weniger Zeit lässt für uns selbst. Sie sind eine Möglichkeit, das zusammenzubringen: nicht viel Zeit zu haben, aber auch nicht viel Zeit zu brauchen, um näher zu uns selbst zu kommen und uns in der Natur aufzuhalten.

Es ist ja kein Zufall, dass wir im Urlaub ans Meer oder in die Berge fahren. Oder dass wir einen Waldspaziergang machen, wenn wir uns gestresst fühlen. Uns geht es gut da draußen, wir sammeln neue Energie. Mikroabenteuer zeigen uns, dass das eben auch im Kleinen funktioniert.

Aber das ist doch alles nicht neu. Im Wald spaziergehen, am Wochenende Ausflüge unternehmen, mal am See zelten. Das haben wir doch immer schon gemacht.

Das stimmt, letztlich sind Mikroabenteuer keine neue Erfindung. Aber früher war unser Leben eben auch anders als heute, das dürfen wir nicht vergessen. „Da war alles besser” ist eine Falle, in die wir immer wieder tappen, genau wie „eigentlich bin ich ein Abenteurer, ich komme nur nicht mehr dazu”. Die Idee der Mikroabenteuer ist heute sicher relevanter als je zuvor. Sie gibt den kleinen Herausforderungen, den besonderen Erlebnissen vor der Haustür, einen Rahmen. Sie motiviert viele Menschen. Und darauf kommt es ja an, dass wir machen und nicht quastchen, träumen oder in Erinnerungen schwelgen. Ich würde aber auch nicht jeden Spaziergang schon als Abenteuer definieren. Dann würden wir den Begriff doch sehr inflationär gebrauchen.

Was macht dann einen Ausflug zum Mikroabenteuer?

Für mich bedeutet ein Abenteuer immer, neue Wege zu beschreiten, gewohnte Muster zu durchbrechen und das Ungewisse zu akzeptieren. Dass ich nicht weiß, wie es ausgeht, ob ich schon dafür bereit bin. Viele wollen bereits vor einem Abenteuer genau wissen, wie es abläuft. Dann ist es vom Prinzip her schon keines mehr.

All diese Kriterien lassen sich im Kleinen umsetzen und erleben. Es kommt nicht darauf an, wie weit ich gereist bin, sondern mit welcher Einstellung, mit welcher Haltung ich mich in eine Unternehmung oder eine Herausforderung begebe.

Von der Theorie zur Praxis
Claus Foerster hat zwei Bücher zum Thema Mikroabenteuer verfasst. Beide sind im Verlag HarperCollins erschienen. Zusätzlich produziert er regelmäßig einen Podcast namens „Frei Raus“. Foto: HarperCollins

Vor Corona gab es eine intensive Diskussion über Erderwärmung und Flugreisen. Auch das war ein wichtiger Beweggrund, nicht mehr so oft in die Ferne zu schweifen. Die Pandemie hat diese Debatte überlagert. Spielt Klimaschutz noch eine Rolle bei der Reiseplanung der Bürger?

Auch ich beobachte, dass Fernreisen in den Hintergrund treten. Was der Auslöser war, kann ich nicht sagen. Letztlich ist es auch der Erde und dem Klima völlig wurscht. Hauptsache, wir sind bewusster unterwegs. Corona hat uns noch einmal vor Augen geführt, dass es viele gute Gründe gibt, unser Reiseverhalten zu überdenken – und eben nicht nur einen einzigen.

Nachhaltiger, bewusster zu reisen, treibt auf jeden Fall viele um. Ein befreundeter Abenteurer hat mit Freunden zusammen den Begriff terran entwickelt. Nach dem Motto: Ich esse vegan, ich reise terran. Er meint damit vor allem den bewussten Abschied vom Fliegen und hat dafür ein positives Wort gesucht.

Denn Begriffe wie ‘klimaneutral reisen‘ oder gar `‘Flugscham‘ klingen nicht schön. Er wollte den Begriff positiv besetzen. Es geht ja nicht darum, auf irgendetwas zu verzichten, sondern etwas zu gewinnen.

Aber Fliegen ist nicht alles. Es geht beim nachhaltigen Reisen auch darum, wie ich mich vor Ort verhalte. Welchen ökologischen Fußabdruck ich hinterlasse, oder?

Unbedingt. Man darf sich nicht nur auf das Fliegen kaprizieren. Eine meiner persönlichen Regeln für ein Mikroabenteuer lautet, ich fahre kein Auto, ich nutze kein Flugzeug. Einfach, um mich selbst aus der Komfortzone herauszuholen, weil ich noch mehr in Möglichkeiten und Lösungen denken muss. Es ist ja sehr bequem, irgendwo hinzufahren, dort eine Runde zu wandern und wieder zurückzufahren. Aber ein Abenteuer ist nicht bequem. Was nicht heißt, dass ich nie Auto fahre: Ich habe einen alten VW-Bus mit Dieselmotor und bin also auch nicht frei von jeglicher Umweltsünde.

Lesen Sie im zweiten Teil des Gesprächs, welche drei Regeln ein echtes Mikroabenteuer für Foerster definieren.

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