Die Pläne waren ehrgeizig. Deutschland sollte zum Batterieland werden und in Kaiserslautern ein Produktionszentrum für die Energiespeicher entstehen. „Mercedes-Benz beteiligt sich an ACC und baut europäischen Batterie-Champion mit globalen Ambitionen auf“, ließ der schwäbische Autobauer vor gut drei Jahren verlauten. Weltweiter Big Player – darunter macht man es in Stuttgart-Untertürkheim nicht. Aus dem Grund – und um die Abhängigkeit von Lieferanten aus China zu reduzieren – stieg der Konzern auch beim Stellantis-Projekt Automotive Cells Company (ACC) ein.
Doch nun folgt die Ernüchterung: Der Bau der geplanten Gigafabrik in Kaiserslautern ist Anfang Juni gestoppt worden. Zumindest vorerst. „ACC passt seine Strategie zur Beschaffung von Batterien an, um sein Portfolio um neue, kostengünstige Zellchemikalien zu erweitern“, erklärte dazu ACC-Chef Matthieu Hubert in einem Interview. Hintergrund der Entscheidung sei auch „die veränderte Marktnachfrage“ nach kostengünstigeren Elektroautos.
Mercedes ohne glückliches Händchen
Mercedes hat bei seinen europäischen Batterieproduktions-Projekten nicht immer ein glückliches Händchen. Vor neun Jahren schlossen die Schwaben sang- und klanglos das als Vorzeige-Projekt geplante Werk von Li-Tec Battery im sächsischen Kamenz, das in einem Joint Venture mit Daimler die Zellen für die erste Generation des elektrischen Smart ForTwo produziert hatte. In der Retrospektive eine verpasste Chance.
Damals sah der Daimler-Konzern, die heutige Mercedes-Benz Group genauso wie andere deutsche Automobilhersteller Antriebsakkus als „Commodity“ – als eine Stangenware, die man leicht auf dem Weltmarkt beziehen kann. Doch das hat sich als krasse Fehleinschätzung erwiesen. In Zeiten drohenden Protektionismus und von Handelskriegen mit China ist einem ausländischen Batterieproduzenten das heimische Hemd näher als die Hose im fernen Ausland.
Auch bei BMW hat man bei zwei wichtigen Projekten der Batterieproduktion inzwischen den Stecker gezogen. Zum einen haben die Münchner einen Großauftrag beim skandinavischen Produzenten Northvolt storniert, weil man offenbar das Vertrauen in die technologische Zuverlässigkeit der Schweden beim Hochlauf der Serienproduktion verloren hat – das Werk soll zu viel teuren Ausschuss produzieren. Das sagt auch BMW zwischen den Zeilen: „Northvolt und die BMW Group haben gemeinsam beschlossen, die Aktivitäten von Northvolt auf das Ziel zu konzentrieren, Batteriezellen der nächsten Generation zu entwickeln. Die BMW Group ist weiterhin stark daran interessiert, dass sich ein leistungsstarker Hersteller von zirkulären und nachhaltigen Batteriezellen in Europa etabliert.“
BMW orientiert sich neu
Ein sinnvolles Anliegen. Doch das liegt in der Zukunft – und von konkreten Plänen ist in der Aussage keine Rede. Was aus der BMW-Sicht nur konsequent ist. Letztendlich handelt es sich bei den Skandinaviern immer noch um ein Start-up und bei einer derart wichtigen Modellreihe wie der „Neuen Klasse“ kann man sich keine Experimente leisten.
Die Serienfertigung von Batteriezellen in hoher Qualität ist eine große Herausforderung. Bei der sogenannten „Neuen Klasse“ gehen die Münchner ohnehin keine Kompromisse ein. Deswegen ist offenbar auch die Zusammenarbeit mit dem chinesischen Zellproduzenten SVolt – einer Ausgründung des E-Autobauers Great Wall Motor – und der Bau einer Fabrik im Saarland angeblich gestoppt worden. Hier sollen Lieferverzögerungen der Asiaten der Grund sein.
Statt dessen setzt man bei den Batteriezellen, die im gerade entstehenden Werk nahe Dingolfing zu Hochvoltspeichern montiert werden, auf „alte Bekannte“ – die beiden chinesischen Produzenten CATL und EVE Energy. Für Philipp Seidel, von der Unternehmensberatung Arthur D. Little ein fatales Zeichen. „Mit der aktuellen Zögerlichkeit bei EV und dem verhaltenen Aufbau der Batterieindustrie hierzulande versetzen wir aus meiner Sicht der europäischen Autoindustrie und damit allen Zulieferern und Dienstleistern, die daran hängen, den finalen Todesstoß“, stellt der Experte fest.
Versäumnisse der Vergangenheit
Die Frage ist, ob die deutschen Autobauer überhaupt willens und in der Lage sind, an einem Strang zu ziehen, um den technologischen Rückstand gegenüber China aufzuholen. Schließlich haben die Produzenten aus dem Reich der Mitte bei der Perfektionierung der Zellfertigung viel Lehrgeld bezahlt und profitieren jetzt davon. In Europa wächst zudem der Kostendruck. Das stößt bei Seidel auf Unverständnis. „Die deutsche Perspektive ist zu klein. Wir müssen das europäisch sehen und denken. Das sehen wir an den Wertschöpfungsketten und der geografischen Verteilung der Autoindustrie mit ihren Zulieferern und auch im Falle der Batterien. Auch die Volumina sind nur europäisch groß genug.“
Die Versäumnisse der Vergangenheit holen die deutschen Autobauer jetzt ein. Zu lange meinte man, aus einer Position der Stärke heraus zu agieren und mit den Batterielieferanten so umgehen zu können, wie man es in der jahrelangen Zusammenarbeit mit den hiesigen Zulieferern gewohnt war. Dieses Verhältnis war überspitzt formuliert von dem Grundsatz geprägt: Wer zahlt, schafft an.
„Leitanbieter“ aus China
Doch in der Welt der Elektromobilität funktionieren diese Mechanismen nicht mehr. Nicht umsonst ist mit BYD ein chinesischer Autobauer auf dem Vormarsch, dessen Expertise ursprünglich bei den Batterien lag. „Die europäische Batterieindustrie ist in einer Art Zwickmühle: Man müsste jetzt mit hohem Kapitalaufwand von allen Seiten zielstrebig und schnell Kapazitäten und Fähigkeiten aufbauen und in die Umsetzung kommen, bevor die Technologien veralten. Leider fehlt es dafür an Planungssicherheit“, stellt Branchenexperte Seidel fest.
Das alles sind keine guten Aussichten für den Automobilstandort Deutschland, der nach dem Willen der Politik Leitanbieter und Leitmarkt für Elektromobilität werden wollte. Philipp Seidel von Arhtur D. Little zeichnet ein düsteres Szenario, falls man jetzt nicht umgehend auf das Technologieturbo drückt: „Wir müssen uns ins Deutschland und Europa klar werden: Batterien sind neben Halbleitern eine Technologie, von der unser Wohlstand und unsere Industrie maßgeblich abhängig sind und sein werden. Entscheiden wir uns dagegen, diese Themen mit der nötigen Energie zu fördern und durchzusetzen, ist das de facto eine De-Industrialisierungsentscheidung und gefährdet langfristig unseren Wohlstand und unsere Sicherheit.“