Es summt wie vor einem Bienentock – auf dem Gelände des Ladeparks „Seed & Greet“ am Autobahnkreuz Hilden. Praktisch im Minutentakt biegen Elektroautos auf das Gelände ein, auf der Suche nach einer freien Ladestation füf das Fahrzeug und einer Stärkung auch für dessen Insassen: Neben Ladestrom gibt es hier auch frischen Kaffee und knackige Backwaren. An diesem Tag ist jedoch ein wenig Geduld mitzubringen: Fast alle Hyper- und Supercharger von Fastned und Tesla sind belegt. Zum großen Teil von E-Autos aus den Niederlanden, die hier auf dem Weg in die Ferien oder zurück in die Heimat eine Ladepause einlegen. Sie nutzen die Gelegenheit auch, um sich mit belegten Brötchen und Kuchen, mit frisch gebackenen Pizzen und Tartes zu stärken. Im Bäckereishop auf dem Gelände herrscht entsprechend großes Gewusel – sehr zur Freude von Roland Schüren. Der Bäckermeister und Tesla-Fahrer hat den Schnellladepark hochgezogen. Zum Ladetalk kommt er allerdings mit einem auf Elektroantrieb umgebauten Oldtimer – einem VW Bus aus den 1970er Jahren. Da gibt es also einiges zu besprechen.
Hallo Roland, ganz schön viel los hier an Deinem Ladepark. Ist das der normale Wahnsinn an einem Freitagnachmittag?
(Lacht) Nein, das ist ein nicht ganz normaler Freitag, sondern ein Freitag, an dem in den Niederlanden Krokusferien sind. Das bedeutet viel Reiseverkehr in den Süden – in zunehmendem Maße mit Elektroautos.
Die sich hier am Kreuz Hilden für die nächste Etappe einen ordentlichen Stromstoß holen. Wie viele Ladevorgänge finden hier an einem normalen Wochentag statt?
Etwa 400 bis 700, je nach Tag und Jahreszeit. Heute könnten es 700 bis zu 1000 werden.
Der Ladepark ist im Oktober 2020 eröffnet worden. Hast Du Dir damals schon vorstellen können, dass es hier mal so lebhaft zugehen würde?
Ja, das habe ich (Lacht).
Im Ernst?
Ja. Sonst hätten wir die Station auch nicht ausgebaut. Gestartet sind wir mit 20 Tesla Superchargern und acht Schnellladepunkten von Fastned. Heute haben wir auf dem Gelände 40 Supercharger sowie 22 Ladepunkte an Fastned-Säulen. Hinzu kommen noch einige Wechselstrom-Ladepunkte. In Summe kann an 107 Stellen Strom gezapft werden.
Der Ladepark „Seed & Greet“ dürfte damit einer der größten in Deutschland sein.
Je nach Zählweise. Nach der reinen Zahl der Ladepunkte ist der Ladepark am ICE-Bahnhof in Merklingen die Nummer Eins. Dort können theoretisch zeitgleich 259 Elektroautos laden. Da gibt es aber nur Wechselstrom und praktisch lädt da auch kaum jemand. Wenn man nach der Zahl der Schnellladepunkte geht, liegen wir noch vor dem Ladepark Zusmarshausen bei Augsburg.
Der Ladepark in Zusmarshausen wird von Sortimo betrieben, einem Ausrüster von Nutzfahrzeugen mit 1200 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 200 Millionen Euro. Du bist Bäckermeister in vierter Generation, der seit 1998 eine Bio-Backstube hier in Hilden betreibt und eine Bäckereikette in der Region mit 20 Filialen. Wie kommt man da auf die Idee, für acht Millionen Euro einen Ladepark für Elektroautos aufzuziehen?
Nun ja, der Grundstein für die Idee wurde gewissermaßen schon 2011 gelegt, mit unserem ersten vollelektrischen Lieferwagen auf Vito-Basis. 2012 kam ein Opel Ampera hinzu, 2013 ein Tesla Model S. Zudem habe ich mir noch einen gebrauchten Tesla Roadster zugelegt, weil er der Gamechanger war. Insofern habe ich die Entwicklung der Elektromobilität schon früh miterlebt, mit allen Licht- und Schattenseiten, was etwa den Aufbau der Ladeinfrastruktur anbetrifft. Hinzu kamen die Entwicklungen in unserer Backstube.
Welche?
Na ja, das Bäckerhandwerk ist die energieintensivste Handwerksbranche. Wenn man da sieht, was Photovoltaik und ein Stromspeicher, was Biomasse und Wärmerückgewinnung leisten können, kommt man schon ins Nachdenken. Daraus entsprang dann die Idee, die innerbetriebliche Sektorenkopplung, die ich in der Backstube umgesetzt habe, auf ein höheres Niveau zu heben.
Mit einem großen Ladepark für Elektroautos?
Ja, das lag einfach auf der Hand. Auf dem Grundstück hier am Autobahnkreuz Hilden bringen wir die drei klimarelevanten Sektoren Mobilität, Energieerzeugung und Lebensmittelherstellung zusammen. Ich habe quasi in der Bäckerei geübt und das Ganze hier dann eine Nummer größer umgesetzt.
Trotzdem: Auf so eine Idee muss man erst mal kommen. Der Impuls für das Engagement war demnach betriebswirtschaftlicher Natur? Oder geht es Dir bei Deinen Aktivitäten auch um Umwelt- und Klimaschutz?
Die betriebswirtschaftlichen Aspekte standen weder hier noch da im Vordergrund. Die Energie- und Kosteneinsparungen in der Bäckerei waren ein schöner Nebeneffekt. Mir ging es aber auch darum, etwas für den Klimaschutz zu tun. Und ich wollte auch zeigen, was mit kreativen Ideen geht.
Du warst 2017 auch Initiator der Selbsthilfegruppe „Bakery Vehicle One“, in der Du zusammen mit Berufskollegen aus Deutschland, Italien und den Niederlanden ein Lastenheft für einen Elektro-Transporter der Sprinter-Klasse entwickelt hast, um die Industrie zu fordern – damals war in der Gewichtsklasse zwischen 2,8 und 3,5 Tonnen noch nichts auf dem Markt.
In der Tat. 2017 gab es den ersten Prototypen, Anfang 2018 das erste Serienmodell auf Streetscooter-Basis.
Da hatte Dich die Elektromobilität bereits voll gepackt?
Ja. Die ersten Erfahrungen sammelte ich mit dem Opel Ampera. Das war noch ein E-REV, also Elektroauto mit Range Extender. Das war das erste Elektroauto, das man im Alltag genauso benutzen konnte wie jedes andere mit Verbrennungsmotor. Als das Model S von Tesla rauskam, war mir aber klar: Den Verbrenner muss ich nicht mehr rumschleppen und komme trotzdem überall hin.
Tesla bist Du seitdem treu geblieben?
Ja. Ich fahre immer noch ein Model S, aktuell bereits das fünfte.
Was fasziniert Dich an der Marke?
Lange Zeit war es Elon Musk persönlich. Das hat sich seit der Übernahme von Twitter geändert. Aber ich habe nach wie vor großen Respekt vor seiner unternehmerischen Leistung. Er ist ein Mensch, der den großen Laden Tesla eigentlich wie ein agiler deutscher Mittelständler führt. Mit hohem persönlichen Einsatz, mit Detailverliebtheit, auch mit Mut zum unternehmerischen Risiko.
Er ist diesbezüglich also eine Art Bruder im Geiste von Dir?
In der frühen Phase war er das tatsächlich.
Jetzt lädst Du hier aber gerade ein völlig anderes Auto: Einen historischen VW-Bus aus den frühen 1970 Jahren mit Elektroantrieb. Was hat es mit dem Bulli der Baureihe T2 auf sich?
Der erste Lieferwagen meiner Eltern sah 1975 so aus, als sie ihre erste Filiale eröffneten. Wir haben das Auto hier gebraucht und genauso lackiert, wie der meiner Eltern damals aussah. Es ist ein Fahrzeug aus dem gleichen Baujahr, das wir 2016 dann bei Broedersdorff & Koenzen hier in Hilden im Rahmen eines geförderten Forschungsprojekts elektrifiziert haben. Mit CCS-Anschluss für eine maximale Ladeleistung von 28 kW und der Möglichkeit zum bidirektionalen Laden. So wie es eigentlich auch das Bakery Vehicle One können sollte. Aber kein Automobilhersteller wollte damals mit uns kooperieren – heute wird es von denen selbst stark propagiert.
Den Bulli nutzt Du im Alltagsbetrieb?
Nicht täglich, nur für Nachlieferungen von Backwaren.
Der Bulli hat eine 43 kWh große Batterie. Der Aktionsradius dürfte nicht allzu groß sein. Reichweitenangst…
…gibt es nicht.
Sagt der Tesla-Fahrer.
Nein, auch der Fahrer dieses Bulli: Es gibt ja überall Steckdosen. Und das sind die Tankstellen von Elektroautos.
Im Notfall. Besser ist es, ein Ladepark wie dieser hier liegt auf der Strecke.
Richtig. Aber eine Not an Ladestationen besteht derzeit wirklich nicht. Wir haben ausreichend Ladestationen. Was wir brauchen, sind mehr Elektroautos. Was wir nicht brauchen, ist dieses Deutschlandnetz zum Nulltarif. Da wird nur Steuergeld verschwendet. Wenn es genügend Elektroautos gibt, entwickelt sich das Geschäftsmodell Ladestation von selbst – wie man hier und heute bei uns sieht. Und bei den Ladeparks von Tesla, von EnBW sowie den Schnellladestationen an den Tankstellen von Aral sieht man es auch.
Bei Dir funktioniert das Geschäftsmodell also schon?
Ja.
Womit verdienst Du hier Geld? Sicherlich nicht allein mit dem Verkauf von Brot und Pausensnacks. Erhältst Du einen Anteil am Stromverkauf oder erhältst Du eine Miete von Tesla und Fastned?
Das ist eine Kombination aus verschiedenen Einnahmen. Auch aus dem Brotverkauf.
Aber nicht nur.
Nein, grob gesagt haben wir – meine Co-Investoren und ich – den Grund und Boden hier an Tesla, Fastned sowie an Nio verpachtet.
Am Stromverkauf bist Du nicht beteiligt?
Doch, zum Teil schon. Denn einen Teil des Ladestroms hier erzeugen wir mit unseren Photovoltaik-Anlagen selbst. Ins Netz eingespeist wird davon gar nichts mehr. Unseren zwei Megawattstunden großen Speicher haben wir kürzlich umgestellt. Wir nutzen ihn nun nur noch für die Zwischenspeicherung zugekaufter Strommengen. Alles, was unsere 435 kW Peak große PV-Anlage an Sonnenstrom produziert, geht inzwischen sofort in die Autos.
Und wird dann mit den Betreibern der Ladesäulen verrechnet?
So kann man das sagen.
Die PV-Anlage hier ist riesig. Müsst ihr trotzdem noch Strom zukaufen?
Na klar, jede Menge. Ungefähr 80 Prozent kaufen wir zu, auch im Sommer, erst recht im Winter: Zähle mal die Autos, die hier gerade stehen und rechne die Kapazitäten ihrer Akkus hoch. Letztes Jahr hatten wir hier zum Höhepunkt einen Tages-Verbrauch von 36 Megawattstunden. Das schafft keine PV-Anlage in der Größe.
Die aktuell 107 Ladepunkte sind hier das Maximum?
Wir könnten noch ein paar AC-Ladepunkte hinzufügen, aber weitere Schnellladesäulen planen wir nicht.
Dafür ein fünfstöckiges „Seed &Greet“-Gebäude mit einer Vertical Farm.
Richtig, das soll hier mit Investitionen von knapp 18 Millionen Euro gleich nebenan entstehen, mit Backstube, Personalräumen und einer Farm, in der wir Salat, Rucola sowie Tomaten für den Eigenverbrauch im Laden ziehen werden. Der kleine Pavillon hier bekommt eine andere Funktion: Die Eingangstür ist extra so breit gebaut worden, dass ein Model X hindurchpasst. Das Gebäude ließe sich also leicht als Showroom für Elektroautos nutzen. Für welche Marke auch immer (lacht).
Wann beginnen die Arbeiten am großen Gebäude?
Das hängt ab von Kosten und Konditionen. Wir haben die Baugenehmigung quasi auf Abruf, aber gerade nicht den optimalen Zeitpunkt, was Zinsniveau und Baupreise betrifft.
Der Ladepark floriert, die Nachfrage nach neuen Elektroautos in Deutschland schwächelt nach dem Aus für den Umweltbonus aber etwas. Was könnte aus Deiner Sicht für neue Impulse sorgen? Ein neues Förderprogramm?
Eine ordentliche, stetig höhere CO2-Bepreisung der Energie. Dann kann sich jeder über seinen Verbrauch leicht ausrechnen, ab wann für einen persönlich der Betrieb eines Elektroautos günstiger ist als der eines Verbrenners. Das gilt übrigens auch für alle energieintensiven Unternehmen, die in neue Techniken investieren wollen. Durch die Corona-Zeit ist die Anhebung der CO2-Steuer leider verzögert worden. Und jetzt fällt sie auch sehr moderat aus. Nötig wäre eine Förderung jetzt nur noch für elektrische Nutzfahrzeugen und der Ladeinfrastruktur dafür, nicht für Pkw.
Ladepunkte für Lkw habt ihr hier noch nicht. Plant ihr einen Einstieg in das Geschäft?
Wir haben hier regelmäßig elektrische 40-Tonner zu Gast, die an unseren zwei Truck&Trailer-Plätzen vor den Fastned-Säulen laden. Ich habe der Stadt Hilden angeboten, auf der Zufahrtstraße zwei Lkw-Ladestationen zu bauen. Das hat die Stadtverwaltung aber leider abgelehnt.
Könntest Du Dir vorstellen, einen zweiten, vergleichbaren Ladepark wie hier anderswo in Deutschland zu realisieren?
Ich investiere selbst nur hier in Hilden. Als nächstes wollen wir hier unseren Neubau realisieren, für die wir gerade die Finanzierung mit Banken und privaten Investoren aufstellen. Aber wenn andere Leute etwas Vergleichbares bauen wollen, dann unterstütze ich sie gerne mit Rat und meinen Erfahrungen.