Der vollelektrische Kühl-Lkw, umgebaut vom Schweizer Elektromobilitäts-Spezialisten Designwerk in Winterthur, der zur Volvo-Gruppe gehört, kommt mit einem mächtigen 1000-Kilowattstunden-Batteriepack bis zu 760 Kilometer weit. Beinahe täglich ist er auf Norwegens Straßen unterwegs. Abends landet er nach maximal 560 Kilometern wieder im Heimathafen, um aufgeladen zu werden. Einfach so durch Europa fahren ist allerdings nicht drin. Denn es gibt aktuell bei weitem viel zu wenig Hochleistungs-Ladestationen für Elektro-Laster im Fernverkehr. Der Spediteur, der sie einsetzen würde, müsste stundenlange Ladepausen einkalkulieren – das wäre ruinös beim harten Wettbewerb im Straßengüterverkehr.
Wenn die Elektrifizierung des Lkw-Fernverkehrs gelingen soll braucht es an strategisch wichtigen Stellen des europäischen Autobahnnetzes hochleistungsfähige Ladestationen, an denen die Fahrzeuge schnell Energie aufnehmen können für die nächsten hinderte von Kilometern. Doch Säulen mit 350 Kilowatt wie im norwegischen Heimathafen des Kühl-Lkw – den es übrigens in zwei Exemplaren gibt, – sind derzeit nicht nur in Deutschland rar – und könnten das Problem auch nicht endgültig lösen. Denn derartige Stationen schaffen 80 Prozent der maximal möglichen Batterieladung in 1,7 Stunden.
Forscher am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe haben mit Hilfe des Open-Source-Tools CHALET von Amazon 20.000 potenzielle Standorte für Lkw-Schnellladestationen entlang europäischer Autobahnen analysiert, um eine möglichst flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. Das Ergebnis ist überraschend: 1000 Stationen würden reichen, um den für das Jahr 2030 erwarteten E-Lkw-Fernverkehr zu versorgen.
91-prozentige Abdeckung des Ladebedarfs
Jede Station müsste eine Leistung von bis zu zwölf Megawatt zur Verfügung stellen. Daran könnten gleichzeitig bis zu 20 Fernlaster Strom tanken. Für jeden stünde mit 600 Kilowatt also eine fast doppelt so hohe Leistung wie in Norwegen zur Verfügung. Die Megawatt-Ladestationen hätten insgesamt einen Anschlusswert von bis zu zwölf Gigawatt, das ist ein Drittel mehr als die gesamte installierte Leistung von Luxemburg.
Die Fraunhofer-Forscher gehen davon aus, dass 2030 etwa 15 Prozent aller Lkw-Fernfahrten von Batterie-Elektrofahrzeugen absolviert werden. Die 1000 Schnellladestationen würden dann für 91 Prozent aller Fahrten reichen.
Bei ihren Berechnungen gingen die Autoren konservativ vor: Sie nahmen kein Depotladen im „Heimathafen“ der Lkw an und legten eine Praxisreichweite von nur 400 Kilometern zugrunde, die einige neue Batterie-Lkw-Modelle bereits heute teilweise deutlich überschreiten – beispielsweise der umgebaute Volvo von Designwerk. Die Fraunhofer-Forscher, die im Rahmen des vom Bund geförderten Forschungsprojekts „Hochleistungsladen im LKW-Fernverkehr (HoLa)“ tätig waren, empfehlen, den Fokus auf stark befahrene Strecken an wichtigen Verkehrsknotenpunkten zu legen. Später könnten sukzessive Standorte auf weniger stark befahrenen Strecken hinzukommen.
Ohne Megawatt-Ladesysteme geht es nicht
Patrick Plötz, Leiter des Geschäftsfelds Energiewirtschaft am ISI, kommt zu dem Schluss, dass ein strategisch geplantes Netz auf der Grundlage von Megawatt-Ladestationen die Verbreitung batteriebetriebener Lkw in Europa stark fördern könnte: „Unsere Untersuchung legt nahe, dass Industrie und Politik die weitere Entwicklung und Einführung von Megawatt-Ladesystemen beschleunigen müssen. Denn dies ermöglicht etwa Logistikunternehmen, die keine Möglichkeit zum Depotladen haben, ihre Flotten zu elektrifizieren. Durch öffentliche Stationen könnten Herausforderungen etwa bei der Stromversorgung oder durch den Erwerb entsprechender Immobilien vermieden werden, die oft eine große Hürde für die Anschaffung von batteriebetriebenen Lkw sind.“
Batterieelektrisch betriebene Lkw sind trotz verschiedener Leistungsbeweise allerdings nicht unumstritten: Die Akkus der Designwerk-Fahrzeuge wiegen allein schon stolze 5,62 Tonnen. Bei einer Reichweite von 400 Kilometern, die die Fraunhofer-Forscher zugrunde legen, läge das Gewicht der Batterien allerdings nur bei gut der Hälfte, sodass das Minus an Ladekapazität nicht so stark ins Gewicht fiele.