Früher hat man den Kinder Geschichten erzählt, um ihnen auf der Fahrt mit dem Auto in den Urlaub ein wenig Unterhaltung zu bieten. Alternativ konnte man dem Nachwuchs auch ein paar Bilderbücher auf die Rücksitzbank reichen – dann herrschte dort zumindest für die eine oder andere Stunde Ruhe.
Bilderbücher, Erzählungen – das reicht schon lange nicht mehr. Die Kinder wurden größer – und anspruchsvoller. Eine Zeitlang leistete ein Sony „Walkman“ gute Dienste, dann diente der Gameboy von Nintendo dem Nachwuchs als Zeitvertreib. Und heute? Setzen sich die lieben Kleinen nach Fahrtbeginn vielleicht eine Virtual-Reality-Brille – und verschwinden dann für Stunden in virtuellen Fantasiewelten.
Auto wird zum Auto-Kino
So stellen sich jedenfalls manche Autohersteller die Zukunft vor: Was draußen passiert, ist mehr oder minder völlig egal – darum kümmert sich eine Künstliche Intelligenz. Niemand muss dank einer Heerschar von Sensoren mehr auf den Verkehr oder Hindernisse auf der Fahrbahn achten, auch der Ladestand des Akkus bereitet keine Sorgen mehr: Im Zeitalter eines immer höher automatisierten Fahrens kümmert sich darum der Zentralcomputer – der ohnehin viel intelligenter ist als der Mensch.
Auf der Techmesse CES – der früheren Consumer Electronic Show – malt die Autoindustrie die Zukunft des Mobilität mal wieder in den buntesten Farben. Ach was, Zukunft: Bei Audi ist das Auto bereits im Metaverse unterwegs, die Zukunft gewissermaßen bereits Gegenwart. Und dafür braucht es nicht einmal neue Autos: Die holoride GmbH, eine Ausgründung der Audi Electronics Venture GmbH, öffnet auf der CES das Fenster zur Extended Reality, der erweiterten Realität im Auto. Dazu verknüpft es Fahrzeugdaten wie die Geschwindigkeit, den Lenkeinschlag und die Position mit einem kleinen Rechner und einer VR-Brille, um dem Nachwuchs „perfekte bewegungssynchronisierte Reisen durch virtuelle Welten zu ermöglichen – während der Audi e-tron auf der Autobahn dem Urlaubsziel entgegenstromert.
Ballerspiele ohne Motion Sickness
Die Datenbank in der holoride-Cloud hält dafür aktuell zehn Titel parat, einfache Ballerspiele, aber auch virtuelle Bilderbücher. Und wer mag, kann mithilfe der Brille auch irgendwelche Hollywoodproduktionen (und irgendwann vielleicht auch die Sendung mit der Maus) betrachten, ohne von Störfaktoren wie den Eltern, dem Verkehr oder irgendwelchen Landschaftseindrücken abgelenkt zu werden. Und das Risiko von „Motion Sickness“ zu erleiden, also Übelkeit aufgrund der Vielzahl von Eindrücken, soll dabei deutlich geringer sein als beim Spielen oder der Filmschau auf einem Smartphone oder Tablet. Denn auf dem „Holoride“ bleibt die Bewegung in der virtuellen Welt im Einklang mit den Bewegungen des Fahrzeugs, erläuterte in Las Vegas Unternehmensgründer Nils Wollny.
Seit dem Herbst vergangenen Jahres sind bereits eine Reihe von Audi-Fahrzeugen, die mit dem modularen Infotainment-Baukasten und der neuesten Software von CARIAD ausgestattet sind, holoride-fähig. Nutzen lässt sich die Technik mithilfe eines 699 Euro teuren „Pioneers Pack“, der die VR-Brille, den Controler sowie ein Jahresabo enthält. Und seit dieser Woche können Eltern ihren Kindern das Erlebnis auch in älteren Fahrzeugen bieten. Und es muss nicht einmal ein Audi sein: Das so genannte „Retrofit-Kit“ funktioniert auch in Fahrzeugen anderer Fabrikate. Gegen Zahlung von 199 Euro. Der Zugang zur Software in der holoride-Cloud ist auch hier im ersten Jahr kostenlos, später kommen auf die Eltern monatliche Kosten von 14,99 Euro zu.
BMW definiert „Freude am Fahren“ neu
Und das ist erst der Anfang. BMW zeigtauf d in seiner Pressekonferenz die nächsten Schritte der Entwicklung auf. Im neuen BMW i7 fährt heute schon ein riesiger Monitor aus der Decke, wenn es den Passagieren zu langweilig wird – den jungen wie den älteren. Fast schon wie im Kino lassen sich auf dem Bildschirm dann Filme schauen. In naher Zukunft (der i7 wird in Deutschland noch in diesem Jahr hochautomatisiert auf Level 3 fahren können – soll sogar die Frontscheibe zur digitalen Leinwand werden. Das Auto wird darüber zu etwas wie einem rollenden Autokino. Weil die Jugend von heute möglicherweise keinen Führerschein mehr macht, Autos in zehn oder 15 Jahren über kein Lenkrad mehr verfügen und so teuer geworden sind, dass sie hauptsächlich von Flottenbetreibern wie Uber eingesetzt werden.
Freude am Fahren? Kommt dann auch im virtuellen Raum vor. Weil die Fahrt über deutsche Autobahnen wegen des dichten Verkehrs und der vielen Autobahnen und Tempolimits schon lange keinen Spaß mehr macht- Und weil in der ferneren Zukunft auf der Straße der Verkehr wegen der Vielzahl an Robotaxen hochgradig reglementiert sein wird.
Das Konzeptauto „i Vision Dee“ von BMW zeigt, dass es dann aber nicht zwangsläufig für alle Fahrzeuginsassen langweilig werden muss. Tachometer (wozu braucht es den eigentlich in Zukunft noch, wenn die Fahrgeschwindigkeit vielleicht von einem Rechner in der Straßenverkehrsbehörde vorgegeben wird oder das Auto automatisch die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit einhält?), die Landkarte und alle anderen Informationen werden in dem angeblich seriennahen Prototypen per Head-up-Display auf der Frontscheibe angezeigt. Angeblich soll das schon in der „Neuen Klasse“ von BMW möglich sein, die 2025 auf den Markt kommt. Dann soll man im hochautomatisierten Fahrmodus wählen können, ob und wie weit sich die digitalen Welten mit der realen Umgebung vermischen sollen. Das Ergebnis soll eine „Digital Emotional Experience“, eine hochemotionale digitale Erfahrung, sein, die weit über die Realität hinausgeht.
Auto fährt durch eine hybride Realität
BMW-Technikvorstand Frank Weber sprach bei der Vorstellung des Autos von „reinventing reality“, also von einer Neuerfindung der Realität. In einer späteren Entwicklungsstufe will man bei BMW in das Erlebnis sogar die Seitenscheiben des Fahrzeugs einbeziehen: Was draußen so vorgeht, kriegen alle Insassen dann gar nicht mehr mit. Die Zukunft, so könnte man da vermuten, stellen sich die Autoentwickler recht finster vor. Da hilft dem „hybriden Reality-Driver“ (Weber) dann nur noch die Flucht in virtuellen Welten – dem sogenannten Metaversum.